Am massenhaften Fischsterben in der Oder waren wahrscheinlich mehrere Faktoren beteiligt. Einer der Übeltäter scheint aber identifiziert zu sein: giftige Goldalgen. Wie wirkt das Gift?
Die Ursache für das Fischsterben in der Oder ist nach wie vor ungeklärt. Immer deutlicher wird allerdings, dass es wohl keinen alleinigen Übeltäter gibt, sondern die Umweltkatastrophe aus einem unglücklichen Zusammenspiel mehrerer Faktoren resultiert. Einer der Beteiligten: Prymnesium parvum, eine giftige Algenart, die sich in der Oder rasant entwickelt hat. „Gift im Wasser“ ist natürlich ein Stichwort, das schnell zu Sorgen und Unsicherheiten auch für die menschliche Gesundheit führt.
Bei der Mikroalge, gemeinhin auch unter dem Namen Goldalge bekannt, handelt es sich um eine ca. 10 Mikrometer große Brackwasseralge. Sie ist also üblicherweise im Bereich von Flussmündungen zum Meer zu finden, wo sich Süß- und Salzwasser vermischen – dementsprechend ungewöhnlich ist die massive Algenblüte, die in der Oder beobachtet wurde. Dr. Jan Köhler, Leiter der Arbeitsgruppe Photosynthese und Wachstum von Algen und Makrophyten am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), erklärt: „Prymnesium parvum ist in allen Proben sehr dominant. In der Oder stellt die Alge mindestens die Hälfte der Gesamtalgenbiomasse, selbst nach Verdünnung durch den Zulauf der Warthe sind es derzeit immer noch 36 Prozent. So eine Massenentwicklung wurde nach meinem Wissen noch nie in unseren Gewässern beobachtet. Vermutlich wurde sie ermöglicht durch Salzeinleitungen, reichlich Nährstoffe, hohe Wassertemperaturen und lange Verweilzeiten in Staustufen und im ausgebauten Fluss.“ Denn genau das benötigt die Alge zum Wachstum: Erhöhte Salzkonzentrationen und erhöhte pH-Werte, die ebenfalls in der Oder beobachtet wurden.
Die Alge ist weltweit verbreitet und stand schon öfter mit Fischsterben in Verbindung – beispielsweise im Süden der USA. Der Grund dafür sind von ihr produzierte Toxine, die sogenannten Prymnesine. Es handelt sich dabei um hochmolekulare Polyether, die bei Umweltstress von den Algen abgesondert werden. Eine genaue Strukturaufklärung und toxikologische Untersuchungen gestalten sich schwierig, da es zahlreiche dieser Verbindungen gibt und bisher – bis auf wenige Ausnahmen – nur Gesamtextrakte der Alge untersucht werden konnten, keine Reinverbindungen.
Dr. Elisabeth Varga, Forscherin am Institut für Lebensmittelchemie und Toxikologie der Universität Wien, forscht seit Jahren auf diesem speziellen Gebiet. Auf Anfrage der DocCheck News erklärt sie zur Wirkung dieser Toxine: „Den Prymnesinen und dem Gesamtextrakt insgesamt sind hämolytische, oder ganz allgemein lytische, Eigenschaften zugeschrieben. Das zytotoxische Potential ist relativ hoch, weshalb andere toxikologische Endpunkte bisher kaum untersucht wurden und vermutlich von geringerer Bedeutung sind.“ Ihre Eigenschaften ähneln denen der Saponine.
Bei Fischen kann dieses Gift, wenn es in genügend hoher Konzentration vorliegt, die besonders empfindlichen Kiemen angreifen: „Prymnesium parvum führt zu einer Lyse, sprich einer Schädigung der Zellmembran der Kiemenzellen. Als Abwehrreaktion wird vom Organismus Schleim produziert und die Fische sterben an Ersticken durch ihre eigene Abwehrreaktion“, erläutert Varga den Prozess. Dabei sei auch bekannt, dass Gesamtkulturen – also Wasser, dass nicht nur das Gift, sondern auch die Mikroalgenzellen selber enthält – auf die Fische toxischer wirke als Proben, aus denen die Algen per Filtration oder Zentrifugation entfernt wurden.
Welche weiteren Organismen über Fische und Weichtiere hinaus von der toxischen Wirkung betroffen sein könnten, ist bislang noch nicht abschließend geklärt. Auch welche Langzeitfolgen geringere, nicht tödliche, Prymnesinkonzentrationen auf Organismen haben, ist noch unbekannt. Laut Aussagen des Gewässerökologen Christian Wolter vom IGB gegenüber der Deutschen Presseagentur sei das Toxin für den Menschen ungefährlich. Toxikologin Varga gibt aber zu bedenken: „Wir wissen, dass prinzipiell auch menschliche Zellen durch die lytischen Eigenschaften der Prymnesine geschädigt werden können.“ Für die Einschätzung des Gefahrenpotentials müsse auch beachtet werden, „wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, mit diesen Giften in Kontakt zu kommen und mit welcher Exposition man rechnen kann“.
Das Problem für eine sichere Einschätzung ist folgendes: Bis vor einer Woche führten Alge und Toxin ein ziemliches Nischendasein. Somit wurde bisher nur wenig in ihre Erforschung investiert, weshalb viele Fragen schlicht ungeklärt sind. „Zum Beispiel, ob eine Gefahr für Mensch und Tier besteht, wenn belastetes Wasser für die Bewässerung von Pflanzen, z. B. Gemüse, verwendet wird“, sagt Varga. Brackwasser werde im Normalfall nicht für die Bewässerung eingesetzt, das Oderwasser hingegen schon – daher gewinnt die Frage nun an neuer Relevanz. „Ich persönlich gehe jetzt nicht davon aus, dass Prymnesine in der Nahrungskette angereichert werden, komplett ausschließen kann man es aber nicht und das muss noch gezeigt werden.“
Angesichts der vielen Fischkadaver wird den allermeisten der Wunsch nach einem Badetag an der Oder ohnehin vergangen sein; ganz davon abgesehen, dass das Land Brandenburg den Kontakt zur Oder einschließlich Angeln, Baden, Spazierengehen oder Wassersport bereits verboten hat. Und das ist auch gut so, denn spätestens jetzt, nachdem das Toxin eindeutig im Wasser nachgewiesen wurde, sollte man sich selbst und auch Tiere vom kontaminierten Wasser fernhalten. Varga: „Dies ist eine Empfehlung, um Vorsicht walten zu lassen. Wir wissen einfach noch zu wenig bzgl. der toxischen Eigenschaften der Prymnesine, um fundierte wissenschaftliche Aussagen treffen zu können.“
Klar ist jedoch: Auch wenn der menschliche Organismus nicht direkt betroffen ist, sind die indirekten Auswirkungen für das Ökosystem an der Oder verheerend. Und die aktuelle Situation gibt auch für die Zukunft zu denken. „Die von uns in den Proben gemessenen erhöhten Salzgehalte treten öfter in der Oder auf, sie werden befördert durch industrielle Belastungen im Oberlauf. Insofern könnte es, wenn die Salzkonzentrationen nicht sinken und wir weiterhin zu heiße und trockene Sommer erleben, zukünftig auch wieder zu solchen giftigen Massenentwicklungen kommen“, unterstreicht der IGB-Wissenschaftler Dr. Tobias Goldhammer.
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