Kann digitales Sehtraining die Sehschärfe des schwächeren Auges verbessern? Das versuchen Forscher aktuell herauszufinden. Ein Zwischenbericht fällt ernüchternd aus.
Im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) untersuchen derzeit Wissenschaftler aus Deutschland und Österreich unter der Federführung des Instituts für Evidenz in der Medizin am Universitätsklinikum Freiburg die Frage, ob Kinder und Jugendliche mit entwicklungsbedingten Sehstörungen von einem aktiven Sehtraining profitieren können.
Vorläufiges Ergebnis: Anhand der vorliegenden Studien kann das Wissenschaftsteam keine eindeutige Aussage zum Nutzen eines aktiven Sehtrainings bei Kindern und Jugendlichen mit Sehstörungen treffen. Zwar zeigen einzelne Studien, dass mit digitalem Training die Sehschärfe des schwächeren Auges etwa bei Kurz- und Weitsichtigkeit verbessert werden kann – der nachgewiesene Effekt war aber so klein, dass er die Sehleistungen der Betroffenen nur geringfügig verbesserte.
Das scharfe und räumliche Sehen entwickelt sich bei Kindern bis zum vollendeten 9. Lebensjahr. Verschiedene Ursachen – wie etwa Schielen oder Kurzsichtigkeit – können dazu führen, dass sich das Sehen nicht richtig ausbilden kann. Augentraining soll die unterschiedlichen Teilbereiche des Sehens, wie Fixieren, Scharfstellen, Augenbewegungen und visuelle Wahrnehmung, durch gezieltes Üben fördern und so das Sehen insgesamt verbessern.
Das vom IQWiG beauftragte externe Wissenschaftsteam hat für seine Nutzenbewertung ausschließlich Studien zur Untersuchung der Wirkung von digitalem Sehtraining bei Amblyopie identifiziert. Dabei standen solche Trainings im Vordergrund, die ein mehrwöchiges digitales Sehtrainingsangebot (meist per Video) im Wohnumfeld der betroffenen Kinder vorsehen. Zum Nutzen von analogen Sehtrainings (ohne PC-Unterstützung) lagen keine verwertbaren Studienergebnisse vor.
Für das Kriterium „bestkorrigierte Sehschärfe des schwächer sehenden Auges“ fanden die Wissenschaftler in einzelnen Studien zwar einen Vorteil zugunsten des digitalen Sehtrainings im Vergleich zu keinem Training, einem Scheintraining oder zur Okklusionsbehandlung. Die gemessenen Sehschärfen-Unterschiede bei diesen Vergleichen waren aber so gering, dass sie die Sehleistungen der Betroffenen kaum verbesserten.
Für das Kriterium räumliches Sehen zeigte keine Studie einen Anhaltspunkt für einen höheren Nutzen des digitalen Trainings – weder im Vergleich zu keinem Training, noch zum Scheintraining oder zur Okklusionsbehandlung.
Auch die oft mangelnde Therapietreue der Kinder und Jugendlichen und die in den Studien oft zu kurze Beobachtungszeit (nur einige Wochen statt über die eigentlich notwendige langjährige Behandlungsdauer) führen dazu, dass die Wissenschaftler derzeit keine Aussage zum Nutzen des aktiven Sehtrainings bei Kindern und Jugendlichen mit Amblyopie treffen können.
Das IQWiG bittet um Stellungnahmen
Zu dem nun vorliegenden vorläufigen HTA-Bericht bittet das IQWiG bis zum 13. September 2022 um Stellungnahmen. Alle interessierten Personen, Institutionen und (Fach-)Gesellschaften können hier Stellungnahmen abgeben. Die Ergebnisse können zu Änderungen und/oder Ergänzungen des vorläufigen HTA-Berichts führen.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Zahra Amiri, unsplash