Um die Beweglichkeit nach einer Lähmung wiederherzustellen, setzen Forscher auf intelligente Neuroprothesen. Über Roboterorthesen werden Hirnimpulse an Körperteile geleitet, per Feedbackschleife entstehen dadurch neue Verbindungen zwischen Hirn und Muskel.
Gelähmte Gliedmaßen mit Hilfe von Gedanken und Vorstellung wieder bewegen – das sind die Forschungsfelder der modernen Neuroprothetik. Der Einsatz technischer Hilfsmittel, wie beispielsweise intelligenter Orthesen, stand nun im Mittelpunkt einer Studie des Instituts für Neuromodulation und Neurotechnologie. Das Team um Prof. Alireza Gharabaghi konnte zeigen, wo und wie andere Hirnareale mit gelähmten Muskeln in Verbindung treten, um verlorengegangene Bewegungen wieder zu ermöglichen. Die Studienergebnisse wurden im Fachjournal Journal of Neuroscience veröffentlicht.
Um für die Betroffenen effektivere Therapien zur Neurorehabilitation auszuarbeiten, die die Beweglichkeit der gelähmten Hand verbessern, untersuchen die Tübinger den Einsatz intelligenter Neuroprothesen: Dabei werden Hirnimpulse, die bei der versuchten oder vorgestellten Bewegung entstehen, in kürzester Zeit an technologische Hilfsmittel wie Roboterorthesen übertragen, die ein Öffnen der gelähmten Hand ermöglichen. Auf diese Weise spüren die Probanden trotz ihrer Lähmung, wie sich ihre Finger tatsächlich bewegen, und nehmen dies nicht nur visuell wahr. Durch diese haptischen Eindrücke entsteht eine Feedbackschleife zwischen Gehirn und gelähmtem Muskel.
Bereits in einer kurz zuvor publizierten Studie konnten die Forscher und Kliniker aus Tübingen nachweisen, dass ausgedehnte Regionen in beiden Hirnhälften nach einem schweren Schlaganfall in Verbindung mit der gelähmten Hand stehen – diese Hirnareale waren umso größer, je schwerer die Patienten betroffen waren. Offenbar versucht das Gehirn nach einem Schlaganfall bereits von sich aus, alle geeigneten neuronalen Ressourcen zu aktivieren, um die Lähmung zu überwinden.
In ihrer aktuellen Studie konnten Gharabaghi und sein Team zeigen, dass diese neuroplastische Reorganisation durch das Training mit einer intelligenten Neuroprothese unterstützt werden kann – also wo und wie neue Verknüpfungen zwischen dem Gehirn und dem gelähmten Muskel verstärkt werden. Dabei synchronisieren sich die Gehirnneuronen dieser zusätzlichen Hirnareale mit den Rückenmarksneuronen, die für die Handöffnung zuständig sind. Je stärker diese Synchronisation im Frequenzband um 20 Hz stattfindet, desto bessere klinische Erfolge konnten anschließend beobachtet werden.
„Um solche innovativen Therapieansätze zu ermöglichen, ist nicht nur eine enge Verzahnung unterschiedlicher Disziplinen erforderlich, wir müssen auch im direkten Austausch mit den Betroffenen sein, damit etwas entsteht, was Ihnen wirklich hilft“, erläutert Gharabaghi. Hierzu haben das Universitätsklinikum und die Universität Tübingen im Jahr 2020 das Institut für Neuromodulation und Neurotechnologie eingerichtet, um Experten aus der Medizin, den Neurowissenschaften, der Medizintechnik und den Computerwissenschaften unter einem Dach zusammenzuführen. So können sie gemeinsam und integriert in die Krankenversorgung an intelligenten Technologien für bessere Therapien arbeiten. „Wir stehen noch am Anfang, verstehen nun aber besser, in welche Richtung wir schauen müssen, um das Licht am Ende des Tunnels zu sehen“, resümiert Gharabaghi.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums Tübingen. Die Originalpublikationen findet ihr hier.
Bildquelle: Izzie Renee, unsplash