Eine 22-Jährige Epileptikerin braucht eine sichere Verhütungsmethode. Das Problem: Sie darf nicht selbst entscheiden. Eine Beratungs-Odyssee beginnt.
Die 22-jährige Patientin stellt sich in der gynäkologischen Praxis im Beisein der Mutter vor. Im Kindesalter hatte sie ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten und ist seither mental beeinträchtigt. Sie lebt in einer sozialen Einrichtung und wird von der Mutter vormundschaftlich vertreten. Mit 15 Jahren hatte sie ihre Menarche, die Zyklen waren schon immer eher unregelmäßig und sie leide unter Dysmenorrhö. Außerdem sei eine angemessene Menstruationshygiene schwer vermittelbar. Wegen einer Epilepsie ist die Patientin gut mit Carbamazepin eingestellt.
Eine verbale Kontaktaufnahme mit der Patientin ist kaum möglich. Außer einem abdominalen Ultraschall kann keine gynäkologische Untersuchung durchgeführt werden, da die Patientin sich dagegen wehrt. Ein normaler Uterus und das rechte Ovar sind darstellbar.
Es erfolgt ein ausführliches Gespräch mit der Mutter über die Therapiemöglichkeiten. Ein Versuch der Zyklusregulierung durch Phytotherapeutika wird abgelehnt, die Mutter will aufgrund der Situation eine zügige hormonelle Einstellung für ihre Tochter. Da anamnestisch keine Kontraindikationen für eine kombinierte hormonelle Therapie besteht, wird ein Kontrazeptivum mit Levonorgestrel im Langzyklus verordnet. Wegen der bekannten Interaktionen zwischen Carbamazepin und Hormonpräparaten wird eine Überprüfung der Medikamenteneinstellung durch den behandelnden Neurologen vereinbart, um einer möglichen Wirkungsbeeinflussung des Antiepileptikums entgegen zu wirken. Eine Verhütung ist zu diesem Zeitpunkt nicht erforderlich. Die Mutter wird über mögliche Interaktionen und damit Abschwächung der kontrazeptiven Wirkung vorsorglich aufgeklärt.
Da Carbamazepin potentiell teratogen wirkt, ist eine verlässliche Kontrazeption entscheidend.
Carbamazepin induziert über Enzyme des CYP-450 Systems (v. a. CYP3A4) einen verringerten Plasmaspiegel anderer Arzneimittel. Hierunter fallen auch Steroidhormone. Enzyminduzierende Antiepileptika wie Carbamazepin können den kontrazeptiven Schutz von kombinierten Ovulationshemmern reduzieren oder ganz aufheben. Andererseits kann durch Steroidhormone der Metabolismus von Antiepileptika beeinflusst werden, so dass deren Wirkungsprofil verändert wird. Eine entsprechende Dosisanpassung durch den behandelnden Neurologen bzw. eine Umstellung auf ein anderes Präparat sind dann erforderlich.
„Enzyminduzierende Antiepileptika reduzieren ebenfalls die Wirksamkeit von reinen Gestagenpräparaten, oralen und parenteralen, erheblich“ so Prof. Thomas Römer in Kontrazeption mit OC, orale Kontrazeptiva in 238 Problemsituationen. Bei einer ausgeprägten Interaktion sind ein Kupfer-IUP oder ein levonorgestrelhaltiges Intrauterinsystem mögliche Alternativen. Da die Hormonspirale vorwiegend lokal wirkt, ist hier keine wesentliche Wirkungseinschränkung zu befürchten.
Ausschließlich Barrieremethoden sind insgesamt unsicherer und erfordern die nötige Compliance. In speziellen Fällen kann eine Sterilisation angeboten werden.
Bei einer Antikonzeption durch die 3-Monatsspritze (Depot-Medroxyprogesteronacetat: DMPA) gehen die Meinungen auseinander. „Es ist anzunehmen, dass DMPA und NET-EN unabhängig von enzyminduzierenden Medikamenten angewendet werden können, ohne dass die Wirksamkeit der Hormone reduziert ist“, so die Leitlinie Hormonelle Empfängnisverhütung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG).
In der entsprechenden Produktinformation heißt es allerdings: „Bei Frauen, die mit bekannten CYP3A4-Induktoren behandelt werden, sollte in Betracht gezogen werden, vorübergehend eine Barrieremethode zusätzlich zu DepoClinovir® anzuwenden. Diese zusätzliche Verhütungsmethode sollte während der gesamten Dauer und 28 Tage nach Ende der Behandlung mit Arzneimitteln, die mikrosomale Enzyme induzieren, eingesetzt werden.“ Die bekannte Reduktion der Knochendichte unter DMPA würde eine längerfristige Anwendung einschränken.
Bei der Kontrolluntersuchung wird eine gute Verträglichkeit des Kontrazeptivums bejaht, die Beschwerdesymptomatik besteht nicht mehr. Der Neurologe überprüfe regelmäßig die Dosierung des Antiepileptikums, es traten bisher keine epileptischen Anfälle oder verstärkte Nebenwirkungen auf.
Bei der Verabschiedung erklärt die Mutter nebenbei, nun sei nicht mehr auszuschließen, dass es doch zu sexuellen Kontakten käme und sie sei froh, dass ihre Tochter die Pille nimmt. Auch die Leitung der sozialen Einrichtung empfehle dringend eine sichere Verhütung für ihre Tochter.
Damit beginnt die Beratungs-Odyssee.
Alle Formen der Kontrazeption werden im Zusammenhang mit den möglichen Interaktionen unter Carbamazepin besprochen. Es werden als sicherste Alternativen eine IUP-Einlage oder eine Sterilisation empfohlen. Da eine IUP-Einlage in diesem Fall nur in Narkose möglich ist, stehen die Eltern der Empfehlung kritisch gegenüber. Eine Sterilisationsbewilligung erscheint schwierig. Die Umstellung auf ein anderes, nicht enzyminduzierendes Antiepileptikum, wird abgelehnt.
Die Kontaktaufnahme mit einer Universitätsfrauenklinik bestätigen den Beratungsinhalt. Es wird auch dort zu einer IUP-Einlage geraten, alle anderen Formen der Kontrazeption sind in diesem speziellen Fall unsicher oder nicht praktikabel.
Die Eltern stören sich insbesondere an den nötigen Narkosen für ihre Tochter, die in diesem Fall bei IUP-Einlage und IUP-Wechsel erforderlich wären. Bezüglich einer Tubensterilisation wäre nur eine einmalige Narkose nötig, wobei hier das Sozialgericht signalisierte, dass eine Bewilligung unter Vormundschaft sehr schwierig sei.
Die Eltern betonen immer wieder, sie wären sich der abgeschwächten Wirkung des oralen Kontrazeptivums in diesem Sonderfall zwar bewusst, möchten aber bei dieser Form der Kontrazeption für ihre Tochter bleiben. Sie würden dies auch schriftlich bestätigen und keinerlei Anklagen im Sinne haben. Aus seiner Erfahrung als Sachverständiger sieht Prof. Römer derartige Aufklärungen oft als juristisch unzureichend an.
Nach vielen Gesprächen, Abwägungen und Hinzunahme von Experten wollen die Eltern nochmals die juristische Situation prüfen lassen. Aus ihrer Sicht wären sie jetzt mit einer Sterilisation einverstanden, da eine Schwangerschaft auch aufgrund der starken mentalen Beeinträchtigung ihrer Tochter nicht zu vertreten wäre. Kurzen Sedierungen zur IUP-Einlage und IUP-Wechsel stehen sie aufgrund der nötigen Wiederholungen nach wie vor kritisch gegenüber, wollen es aber überdenken. Eine Umstellung des gut eingestellten Antiepileptikums kommt für sie nicht in Frage.
Da in diesem Fall eine Entscheidung der eigentlich Betroffenen nicht möglich ist, verkompliziert es die Situation zusätzlich zu den eingeschränkten Möglichkeiten. Manche Beratungssituationen in der Gynäkologie erfordern eben mehr Zeit.
Bildquelle: Sujal Patel, unsplash