Hausgeburt oder Klinik, Kaiserschnitt oder vaginale Entbindung? Über die vermeintlich beste Variante wird mit Leidenschaft gestritten und gekämpft, nicht unbedingt zum Wohle des Kindes. Die risikogerechte Versorgung erscheint als passende Lösung für Mütter und Kinder.
Zwischen Gerichtssaal und Kreißsaal: Das Dortmunder Schwurgericht hat im Herbst eine Hebamme und Ärztin zu sechs Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Gegner werfen ihr vor, aus Ideologie eine Patientin nicht in die Klinik gebracht zu haben – Anhänger sprechen von einem „Hexenprozess“. Jetzt ist der Bundesgerichtshof am Zuge. Laien reagierten verunsichert – wie gefährlich sind Hausgeburten tatsächlich?
Dazu einige Fakten: In den Niederlanden stehen Hausgeburten hoch im Kurs. Grund genug für Amsterdamer Wissenschaftler um Ank de Jonge, nach möglichen Risiken zu fahnden. Sie werteten Daten von 146.752 Frauen aus. Von ihnen entschieden sich 92.333 (62,9 Prozent) für eine Niederkunft in trauter Umgebung. Weitere 54.419 (37,1 Prozent) gingen lieber in die Klinik. Bekannte Risiken wie Mehrlingsschwangerschaften, Beckenendlagen oder Kaiserschnitte in der Vorgeschichte hat de Jonge ausgeschlossen. Als schwere Zwischenfälle galten starke Blutungen, Eklampsien, das HELLP-Syndrom sowie Behandlungen auf der Intensivstation. In beiden Gruppen waren die Komplikationsraten mit 2,3 (Hausgeburt) versus 3,1 (Klinik) Ereignissen pro 1.000 Frauen niedrig. Bei Nullipara fand de Jonge keine statistisch signifikanten Unterschiede. Anders sah die Situation bei Multipara aus. Hier schnitten Hausgeburten mit einer Komplikation pro 1.000 Frauen signifikant besser ab als Niederkünfte im Krankenhaus (2,3 Ereignisse pro 1.000 Frauen). Statistisch betrachtet halbierte sich das Risiko. Eine mögliche Interpretation: Vielleicht haben sich Schwangere nach ihrer ersten traumatischen Geburt zu Hause beim nächsten Kind für das Krankenhaus entschieden. Informationen zum Body Mass Index (BMI) sucht man auch vergebens – Adipositas erhöht das Entbindungsrisiko. Vielleicht haben Ärzte stark übergewichtigen Frauen geraten, besser Kliniken aufzusuchen. Bleibt als Fazit: Bei risikoarmen Schwangerschaften spricht den Daten zufolge nichts gegen eine Hausgeburt. Zwei Jahre zuvor hatte Peter Brocklehurst, Oxford, weniger Erfreuliches zu berichten. Er wertete Daten von 64.538 Frauen aus. Insgesamt mussten 45 Prozent der Erstgebärenden während geplanter Hausgeburten stationär versorgt werden, weil Hebammen Komplikationen nicht mehr beherrschten. Bei Frauen ab der zweiten Geburt waren es noch 12 Prozent. Mit 9,3 versus 5,3 Komplikationen auf 1.000 Geburten waren Brocklehurst zufolge Niederkünfte außerhalb der Klinik deutlich riskanter als stationäre Alternativen. Wissenschaftler bleiben die Antwort, ob manche Komplikationen durch engmaschigere Untersuchungen vorhersehbar gewesen wären, schuldig. In vielen europäischen Ländern machen sich ohnehin gegenläufige Tendenzen bemerkbar. Beim kleinsten Anzeichen einer Gefahr raten Ärzte zur Sectio caesarea.
Dazu ein paar Zahlen: In Deutschland bringt knapp jede dritte Frau ihre Kinder per Kaiserschnitt zur Welt, berichtet das Statistische Bundesamt. Forscher fanden regional große Unterschiede, etwa 23,8 Prozent in Sachsen oder 38,1 Prozent im Saarland. Die Entscheidung für einen Kaiserschnitt hängt vor allem von Geburtshelfern ab. Gibt es vor Ort keine vollständig besetzte, notfallbereite Geburtsmedizin, etwa nachts und am Wochenende, präferieren Ärzte eine Sectio caesarea – aus Gründen der Planungssicherheit teilweise zwei oder mehr Wochen vor dem errechneten Geburtstermin. Und nicht selten wünschen Patientinnen diese Variante. Medizinische Argumente gibt es kaum. Selbst bei früheren Kaiserschnitten gelingt es heute, das Risiko gefürchteter Uterusrupturen sonographisch einzuschätzen. Ob bei Zwillingsschwangerschaften zum Skalpell gegriffen werden muss, untersuchten Forscher der internationalen Twin Birth Study Collaborative Group. Sie fanden 2.800 werdende Mütter mit entsprechenden Voraussetzungen. Einschlusskriterien waren unter anderem die Kopflage beim ersten Kind, ein geschätztes Geburtsgewicht von 1.500 bis 4.000 Gramm sowie eine Schwangerschaft in der 32. bis 38. Gestationswoche. Als Kontraindikationen galten Fehlbildungen, starke Größenunterschiede der Feten sowie monoamniotische Zwillinge. In der Gruppe mit geplanter Sectio caesarea führten Ärzte 90,7 Prozent aller Geburten per Kaiserschnitt tatsächlich durch. Geplante vaginale Geburten beider Kinder fanden in der Kontrollgruppe bei 56,2 Prozent der Frauen statt. In 39,6 Prozent aller Fälle mussten Ärzte zum Skalpell greifen. Statistisch signifikante Unterschiede hinsichtlich der Morbidität oder Mortalität gab es zwischen der Sectio- und Vaginalgeburt-Gruppe nicht. Ob neue Veröffentlichungen zu einem Umdenken führen, bezweifelt der Editorialist Michael F. Greene im „New England Journal of Medicine“. An mögliche Folgen denken Ärzte kaum. Operative Eingriffe führen bei der nächsten Schwangerschaft zu geringfügig erhöhten Risiken. Beispielsweise steigt die Zahl an Eileiterschwangerschaften an, und es kommt zu mehr Totgeburten. Nach fünf oder mehr Kaiserschnitten – in Deutschland eher eine Seltenheit – nehmen Geburtskomplikationen und Frühgeburten zu. Bleiben noch generelle Folgen: Kinder haben ein erhöhtes Risiko, an Typ 1- Diabetes, Asthma oder Allergien zu erkranken.
Viele Argumente, die sich nicht mehr ignorieren lassen. Jetzt werden Politiker langsam aktiv. In Baden-Württemberg hat Arbeits- und Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) eine Aufklärungskampagne zur natürlichen Geburt gestartet: bei risikolosen Schwangerschaften nach wie vor der beste Weg. Ob es sich um Hausgeburten oder Entbindungen im Krankenhaus handelt, ist zweitrangig.