Viele Impfstoffe müssen während des Transports ständig gekühlt werden, damit sie wirksam bleiben. Doch in einigen Ländern der Welt ist das gar nicht so einfach. Ein Hydrogel soll helfen – ganz ohne Kühlung.
Beinahe die Hälfte aller produzierten Impfstoffe landen im Abfall. Grund dafür sind oft logistische Hürden beim Transport in die verschiedenen Regionen der Welt. Die meisten Impfstoffe müssen von der Herstellung bis zur Verabreichung in den Arm von Patienten ununterbrochen gekühlt werden. Und die Temperatur entlang einer Kühlkette konstant zu halten, ist bereits unter optimalen Bedingungen ein Kunststück. In Subsahara-Afrika und anderen Ländern des Südens ist dies jedoch kaum machbar, erschweren doch zum Beispiel die begrenzte Verkehrsinfrastruktur und die unzuverlässige Stromversorgung das Aufrechterhalten der Kühlkette und damit die Bereitstellung intakter Impfstoffe.
Wissenschaftler der ETH Zürich und Unternehmer des Start-ups Nanoly Bioscience aus Colorado haben deshalb eine Plattform entwickelt, um die thermische Stabilität von Impfstoffen zu erhöhen. Ihr Ziel ist, die Verbreitung von intakten Impfstoffen massiv zu verbessern und die Kosten von Kühlketten zu senken.
„Stellen Sie sich das wie ein Ei vor“, erklärt Bruno Marco-Dufort, Doktorand im Labor für Macromolecular Engineering von ETH-Professor Mark Tibbitt. „Bei Raumtemperatur oder im Kühlschrank behält das Ei seine zähflüssige Eiweissstruktur bei. In kochendem Wasser oder in der Bratpfanne ändert sich diese jedoch komplett.“
Ähnlich verhält es sich mit den Proteinen in einem Impfstoff: Sobald sie bestimmten Temperaturen ausgesetzt sind, verklumpen sie. Diese Verklumpungen lassen sich selbst dann nicht rückgängig machen, wenn der Impfstoff wieder in die Kühle kommt. „Man kann ein Ei auch nicht ‚entkochen‘“, betont Marco-Dufort. Der Forscher und sein Team entwickelten deshalb ein neuartiges Hydrogel, das in Science Advances vorgestellt wurde. Das Gel basiert auf einem biokompatiblen, synthetischen Polymer namens PEG. Dieses bildet eine Schutzhülle um sehr große, komplexe Moleküle, wie Proteine in Impfstoffen, Antikörper oder solche in Gentherapien.
Künstlerische Darstellung der Gele, die einen viralen Impfstoff einkapseln. Credit: Jonathan Zawada, ETH Zürich.
Die Verpackung funktioniert wie eine molekulare Tupperware, die die Proteine einkapselt und voneinander getrennt hält. Dadurch können Proteine größeren Schwankungen in einem höheren Temperaturbereich standhalten. Anstelle des herkömmlichen Bereichs von zwei bis acht Grad Celsius, der in einer Kühlkette eingehalten werden muss, ermöglicht die Verkapselung, Proteine in einem Bereich von 25 bis 65 Grad Celsius aufzubewahren. Um die eingekapselten Substanzen am Einsatzort unkompliziert freizusetzen, kann dem Hydrogel eine Zuckerlösung beigegeben werden.
Neben der Steigerung der Haltbarkeit von Impfstoffen liegt der Nutzen dieser neuen Hydrogel-Technologie in der potenziellen Reduktion von Kosten im Zusammenhang mit der Kühlkette. „2020 betrug der Gesamtmarkt für Kühlkettendienstleistungen von der Herstellung bis zum Vertrieb 17,2 Milliarden Dollar und es wurde mit einem weiteren Anstieg gerechnet“, sagt Marco-Dufort. Steigende Kosten können schwerwiegende Folgen für die öffentliche Gesundheit und das öffentliche Vertrauen haben, wenn Impfstoffe über eine beeinträchtigte Kühlkette zum Zielort gelangen.
„Die meisten Impfstoffe sind empfindlich gegen Hitze und Kälte. Dies stellt eine grosse Hürde für globale Impfkampagnen dar, da der Aufwand für die Impfstoffverteilung und die Verwaltungskosten die Produktionskosten übersteigen“, erklärt Marco-Dufort. Will man die Kühlkette verbessern und stärken, seien große Investitionen erforderlich. „Die Einkapselung ist hingegen eine kostensparende Lösung, sodass die Gelder dafür eingesetzt werden können, mehr Impfstoff zu produzieren – was mehr Leben retten könnte.“
Vor den Forschern liegt allerdings noch ein weiter Weg. Damit das Hydrogel tatsächlich für den Transport von Impfstoffen eingesetzt werden kann, braucht es mehr Forschung sowie Sicherheits- und klinische Studien. Eine unmittelbare Anwendung ist dennoch möglich und liegt zum Beispiel im Transport von hitzeempfindlichen Enzymen für die Krebsforschung oder von Proteinmolekülen für die Forschung im Labor.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Die Studie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Scott Rodgerson, Unsplash