Forscher können erstmals den physikalischen Mechanismus hinter einer neurologischen Autoimmunerkrankung bildlich festhalten. Was heißt das für die Zukunft der Diagnose und Behandlung? Lest es hier.
Mit Hilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie-Anlage der UT Southwestern haben Forscher zum ersten Mal Bilder eines Autoantikörpers aufgenommen, der an einen Rezeptor auf der Oberfläche einer Nervenzelle gebunden ist, und so den physikalischen Mechanismus hinter einer neurologischen Autoimmunerkrankung aufgedeckt. Die in der Fachzeitschrift Cell veröffentlichten Ergebnisse könnten neue Wege zur Diagnose und Behandlung von Autoimmunkrankheiten eröffnen, so die Studienautoren.
„Wir treten in eine neue Ära des Verständnisses der Funktionsweise von Autoimmunerkrankungen im zentralen Nervensystem ein“, sagt Dr. Colleen M. Noviello, Assistenzprofessorin für Neurowissenschaften an der UTSW. Noviello leitete die Studie gemeinsam mit Dr. Ryan Hibbs, u.a. außerordentlicher Professor für Neurowissenschaften und Biophysik sowie Harald Prüss von der Universitätsmedizin Berlin.
Kryo-Elektronenmikroskopie bestimmt die atomaren Strukturen von Autoantikörpern, die an den GABAA-Rezeptor gebunden sind. Dieser Rezeptor ist ein wichtiges Protein im Gehirn und ein Ziel bei Autoimmun-Enzephalitis. Credit: UT Southwestern Medical Center
Forscher beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit Autoimmunerkrankungen, bei denen das Immunsystem gesunde Teile des Körpers angreift. Die erste Autoimmunerkrankung, die sich gegen ein neuronales Rezeptorprotein richtet, wurde jedoch erst vor 15 Jahren entdeckt, erklärt Noviello. Seitdem haben Forscher über die Existenz einer Handvoll anderer Krankheiten berichtet, die in diese Kategorie fallen. Dazu gehört die Autoimmunenzephalitis – eine Erkrankung, die durch das plötzliche Auftreten schwerer Symptome wie Psychosen, Krampfanfälle, Bewegungsstörungen, Bewusstseinsstörungen und Probleme mit dem autonomen Nervensystem gekennzeichnet ist.
Forscher in Deutschland haben vor kurzem einen damals 8-jährigen Patienten identifiziert, dessen Autoimmunenzephalitis offenbar durch Antikörper verursacht wird, die den GABAA-Rezeptor angreifen. Die Aufgabe dieses Rezeptors besteht darin, die neuronale „Zündung“ zu hemmen und die elektrischen Signale auszugleichen, die von exzitatorischen Zellen ausgelöst werden, um eine gesunde Signalübertragung zwischen den Neuronen aufrechtzuerhalten.
Nachdem sie bestätigt hatten, dass zwei Arten von Antikörpern, die aus den Immunzellen des jungen Patienten stammten, problemlos an den GABAA-Rezeptor gebunden werden konnten, führten die Wissenschaftler eine Kryo-EM durch – eine Technik, bei der Proteine an Ort und Stelle eingefroren werden, um hochauflösende mikroskopische Bilder zu erhalten.
Die Bilder zeigen, dass die Antikörper sowohl zusammen als auch einzeln den GABAA-Rezeptor daran hindern, die neuronale Signalübertragung zu hemmen, wodurch die Neuronen zu stark elektrisch erregt werden und es zu Entzündungen, Zelltod und Krampfanfällen kommt, die für Autoimmun-Enzephalitis charakteristisch sind. Ein Screening auf diese Antikörper könnte zu einer besseren Diagnose dieser Erkrankung führen, so Noviello. Ebenso könnte die Suche nach Möglichkeiten, die Interaktion zwischen diesen Antikörpern und ihrem Ziel zu blockieren, zu besseren Behandlungsmöglichkeiten führen.
Hier gibt's noch ein Video mit den 3D-Aufnahmen:
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des UT Southwestern Medical Center. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Julius Drost, unsplash