Manchmal passt ein Herzinfarkt einfach nicht zum Patienten. In solchen Fällen ist es wichtig, einen oft vernachlässigten Wert zu bestimmen: das Lipoprotein(a). Warum, lest ihr hier.
Zu hohe LDL-Cholesterin-Werte führen zu einem erhöhten Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. So weit, so bekannt. Deutlich weniger Beachtung findet aber unter Ärzten ein weiterer Risikofaktor: das Lipoprotein(a) (Lp(a)). Ein Grund für Dr. Christoph Altmann, Chefarzt an der Klinik für Herz-Kreislauf-Erkrankungen der MEDIAN Klinik Bad Gottleuba, sich dem oft vernachlässigten Plasma-Protein zu widmen.
Ein erhöhter Lp(a)-Spiegel ist meist erblich bedingt und gilt als unabhängiger Risikofaktor für die Koronare Herzkrankheit und Arteriosklerose – und doch wird er nur selten bei Patienten mit Herzinfarkten erfasst. „Lp(a) wird nur bei etwa 5 Prozent der Herzinfarkte überhaupt ermittelt“, so Altmann. Der Grund: Viele Ärzte sagten ihm, dass sie den Lp(a) nicht erfassen würden, „weil wir da sowieso nichts machen können“, sagt Altmann im Gespräch mit DocCheck.
Die Therapie bei einem erhöhten Lp(a)-Spiegel ist in der Tat nicht unkompliziert. Bisher gibt es keine zugelassene medikamentöse Behandlung, die wirklich zufriedenstellende Ergebnisse liefert. Bleibt die Lipidapherese, eine Form der Hämapherese, bei der LDL-Cholesterin, Lp(a) und Triglyzeride aus dem Blut entfernt werden können. Mit einer Behandlungsdauer zwischen 1,5 und 3 Stunden und einem ein- oder zweiwöchigen Turnus – je nach Höhe der Ausgangswerte – ist sie jedoch für viele Patienten nicht unbedingt umsetzbar oder wird erst gar nicht von der Krankenkasse übernommen. Aber deshalb erst gar nicht nachschauen?
Altmann versteht die Einstellung vieler Kollegen nicht. „Es ist wichtig, den Patienten zu informieren. Außerdem gibt es immer Möglichkeiten, zu reagieren – und wenn es die Vorsorge ist.“ Der Chefarzt und sein Team haben selbst erst vor ein paar Jahren angefangen, Lp(a) regelmäßig unter die Lupe zu nehmen. Seit etwa 10 Jahren ermitteln sie standardmäßig Lp(a) bei allen Herzinfarkt-Patienten unter 60 Jahren. „Manche Patienten passen einfach nicht in das typische Muster. Sie sind sportlich aktiv, relativ jung und haben wenige Risikofaktoren, rauchen nicht. Dort macht es besonders Sinn, mal nach dem Lp(a) zu gucken“, erklärt Altmann. Eine Trefferquote von 25 Prozent bei diesen Patienten gibt ihm Recht. „Oft sind wir aber die ersten, die Lp(a) bei diesen Menschen überhaupt bestimmen.“ Und das, obwohl die Empfehlung, bei jedem Erwachsenen wenigstens einmal im Leben das Lp(a) zu bestimmen, bereits seit 2019 in den Guidelines der European Society of Cardiology (ESC) und der European Atherosclerosis Society (EAS) aufgeführt wird (Klasse-IIa-Empfehlung).
Das Argument der fehlenden Therapiemöglichkeiten möchte der Chefarzt nicht gelten lassen. Nur weil es momentan nicht viele Möglichkeiten gebe, hieße das nicht, dass ein Patient nicht das Recht habe, zu erfahren, ob er ein erhöhtes Lp(a) hat. Mit dem Wissen könne er vorbeugende Maßnahmen ergreifen und beispielsweise nahen Verwandten raten, sich ebenfalls untersuchen zu lassen. Auch kann er sich selbst informieren und auf dem neuesten Stand bleiben, was die Verfügbarkeit von Medikamenten angeht. „Wir haben erkannt, wie wichtig es für den Patienten ist, dass er sich begleitet und informiert fühlt.“ Deshalb half Altmann vor einiger Zeit bei der Gründung der deutschlandweit ersten und bisher einzigen Lp(a)-Selbsthilfegruppe für betroffene Patienten.
Zunächst beriet er sich regelmäßig mit Kollegen – und merkte so, dass sie alle positive Erfahrungen machten, wenn sie Patienten ihre Diagnose mitteilten und Informationen an die Hand gaben. Also organisierte er Patienten-Treffen, bei denen über Lp(a) informiert wurde. „Die Patienten sind dankbar, dass sie Tipps an die Hand kriegen, zu ihren Möglichkeiten und dem aktuellen Stand der Forschung informiert werden“, so Altmann. Schließlich fanden sich ein paar Betroffene, um die Selbsthilfegruppe zu gründen. Auf ihrer Webseite finden jetzt Patienten – und auch Ärzte – wichtige Informationen und regelmäßige Schulungen von Spezialisten, um sich über das Thema Lp(a) zu informieren. „Wenn Ärzte den Zeitaufwand scheuen, ihre Patienten über Lp(a) zu informieren, können sie auch bei uns Flyer und Infomaterial zum Auslegen in der Praxis bestellen“, erklärt der Mediziner.
Außerdem sei die Forschung auf einem guten Weg dahin, dass Betroffenen bald mehr Möglichkeiten zur Verfügung stehen könnten. „Zunächst einmal sollte bei Patienten mit erhöhtem Lp(a) der Cholesterinspiegel heruntergedrückt werden. Außerdem gibt es faszinierende neue Lipidsenker, die im Abstand von Wochen oder Monaten gespritzt werden können. Die sind leider momentan noch nicht für die Behandlung von erhöhtem Lp(a) zugelassen, aber auch da lassen sich ja individuelle Lösungen finden, wenn man sich einen Erfolg verspricht.“ Altmann setzt sich regelmäßig für Betroffene ein, schreibt Ärzten oder Krankenkassen, damit Patienten eine Behandlung erhalten. Und einige neue Behandlungsansätze sind schon in der Pipeline. So wird mit dem Antisense-Oligonukleotid Pelacarsen momentan ein Medikament getestet, dass den Lp(a)-Spiegel im Mittel um 80 Prozent senken könnte. Erste klinische Studien sind vielversprechend.
„Es ist also nicht so aussichtslos, wie es scheint. Das sollte man den Patienten auch sagen“, sagt Altmann. Auch die Möglichkeit an klinischen Studien teilzunehmen sollten Ärzte den Betroffenen aufzeigen. Für die Zukunft würde Altmann sich wünschen, dass mehr Mediziner Lp(a) auf dem Radar haben, besonders, wenn ein Herzinfarkt nicht ganz zum Patienten passt. Nur so kann auch mehr Sichtbarkeit für den Parameter geschaffen werden. Auch für die Selbsthilfegruppe wünscht sich Altmann mehr Mitglieder, damit Betroffene nicht mit ihren Sorgen und Fragen alleine bleiben.
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