Es kam, wie es kommen musste: Auch im Kabinettsentwurf von Karls Kassengesetz ist das Ende der Neupatientenregelung ein Eckpfeiler. Doch das ist nur einer der Kritikpunkte. Wird es ein heißer Herbst?
Das Ende der Neupatientenregelung ist zwar rein vom finanziellen Umfang her nicht der alles entscheidende Punkt, um das voraussichtliche Defizit der GKVen von 17 Milliarden Euro auszugleichen. Neben anderen fraglichen Bestandteilen der Finanzreform ist er aber einer der strittigeren.
Dass der Minister, dem vehementen Widerstand von kassenärztlicher Seite zum Trotz, die extrabudgetäre Vergütung von Neupatienten streicht, nimmt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zum Anlass für eine konkrete Positionierung. „Die Maske ist gefallen. Karl Lauterbach will die Versorgung der Bürger einschränken. Dieses Gesetz ist ein Schlag ins Gesicht der Patientinnen und Patienten in Deutschland. Und das müssen wir den Menschen auch so sagen“, kommentierte Dr. Andreas Gassen, KBV-Vorstandsvorsitzender.
Besonders kontrovers ist die Begründung, mit der der Minister die Streichung der entsprechenden Regelung aus dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vornimmt. Laut Lauterbach geben „empirische Arbeiten […] keinen Hinweis darauf, dass auch nur ein einziger Patient zusätzlich behandelt wurde wegen dieser Regelung.“
Zu einem gänzlich anderen Ergebnis kam jetzt eine Datenauswertung des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi). Demnach belegen die Zahlen, dass
Nicht nur, dass „durch die Kehrtwende der Bundesregierung […] der vertragsärztlichen Versorgung nach unseren Berechnungen rund 400 Millionen Euro entzogen [würden], die in der medizinischen Versorgung der Patient:innen fehlen werden“, so Dr. Dominik von Stillfried, Vorstandsvorsitzender des Zi. Vielmehr passiere nun das, was laut Koalitionsvertrag unbedingt vermieden werden sollte – eine echte Leistungskürzung für Patienten.
Dass Ärzte nach dem gefühlten Verrat an ihrer ärztlichen Bereitschaft und der damaligen Umstrukturierung ihr Terminangebot jetzt wieder zurückfahren, wäre zumindest eine denkbare und logische Konsequenz – und sie ginge zu Lasten der Patienten. Das Gegenargument des Ministers wäre schon auf dem Weg: Es heißt Gesundheitskioske, soll Patientenströme lenken, Praxen entlasten und auf diesem Weg auch terminlich Abhilfe schaffen (wir berichteten).
Kritik gibt es aber auch an fast allen übrigen Punkten im Kabinettsentwurf. Stichwort Krankenkassen: Dass deren finanzpolitische Autonomie mit dem zwangsweisen Abschmelzen ihrer Geldreserven untergraben werde und die Möglichkeit zur Innovationsinvestition stark eingeschränkt werde, schien nicht genug Gewicht zu haben, um den Minister zum Umdenken zu bewegen. Entsprechend blieben der „kassenübergreifende Solidarausgleich“ von rund 4 Milliarden Euro Reserven sowie 2,4 Milliarden Euro aus dem Gesundheitsfonds.
In das Stakkato der Widerworte reiht sich auch die Pharmabranche ein. Mit den Plänen zur Erhöhung des Herstellerrabatts und einem verlängerten Preismoratorium sieht die Industrie „ein innovationsschädliches Signal an die forschenden Unternehmen“, sagt Iris Plöger, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung. Während mit diesen Einschnitten lediglich temporär Geld freigemacht werde, würden deutsche Unternehmen zunehmend Schwierigkeiten im internationalen Wettbewerb auf sich zukommen sehen, der Markt für Gesundheitsleistungen in Deutschland dramatisch ausgedünnt, die Patienten gar von Versorgungsengpässen betroffen sein – ganz im Sinne des Koalitionsvertrags also?
Mit welchen (weiteren) Punkten Lauterbach die Kassen konsolidieren möchte, einmal zur Übersicht.
Immerhin hat der Minister am Ende des Tages ein Kunststück vollführt, das nicht jeder schafft: Den Unmut nahezu aller Player im deutschen Gesundheitswesen auf sich zu ziehen. Bleibt abzuwarten, ob sich die bisher verschonten Krankenhäuser nach den zu erwartenden Energiepreissteigerungen noch in die Liste eintragen oder ob die Krankenhaus-Kommission eine funktionierende Reform auf die Beine stellt. Dass mit dem aktuellen Gesetz einer immer wieder geforderten Ambulantisierung nicht gerade Vorschub geleistet wird, da sind sich die Kritiker einig.
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