Der häufigste Grund für eine Schilddrüsenunterfunktion ist die Hashimoto-Thyreoiditis. Hierzulande leiden vier bis neun Prozent daran. Experten sprechen inzwischen von einer neuen Volkskrankheit. Ist die lebenslange Substitutionstherapie mit Thyroxin der einzige Ausweg?
Solange die Schilddrüse gut funktioniert, wird sie von den meisten Menschen kaum wahrgenommen. Sie produziert die jodhaltigen Hormone Triiodthyronin (T3) und Tetraiodthyronin (Thyroxin, T4) für den Energiestoffwechsel in Körperzellen sowie das Peptidhormon Calcitonin für die Regulierung des Blutkalziumspiegels. Die Jodspeicher-Funktion des sogenannten Schmetterlingsorgans ist essenziell für den menschlichen Körper. Wenn Jod fehlt oder im Übermaß vorhanden ist, kommt es zu Erkrankungen der Schilddrüse. Bisher stellen noch die durch Jodmangel hervorgerufenen Schilddrüsenvergrößerungen und -knoten das häufigste klinische Bild aller Schilddrüsenerkrankungen dar. Die Jodversorgung in Deutschland wird jedoch durch den freiwilligen Einsatz von Jodsalz in der Lebensmittelindustrie und die Bewusstseinsförderung bei Verbrauchern stets besser. Deutschland ist laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft kein Jodmangelgebiet mehr. Struma diffusa und Struma nodosa kommen entsprechend seltener vor. Was den Endokrinologen seit einigen Jahren weltweit auffällt, sind steigende Inzidenzen von Autoimmunthyreopathien.
Zu den chronischen Schilddrüsenentzündungen, deren Ursache ein fehlfunktionierendes Immunsystem ist, gehören Riedel-Thyreoiditis, Ord-Thyreoiditis, Morbus Basedow sowie Hashimoto-Thyreoiditis. Letztere kommt am häufigsten vor und scheint weiter an Bedeutung zu gewinnen. Einige Experten sprechen mittlerweile von einer neuen Volkskrankheit. Laut des Vereins „Forum Schilddrüse“ gibt es innerhalb der deutschen Bevölkerung vier bis neun Prozent mit nachweisbaren Antikörpern. Dr. Reinhold Lunow, Leiter des Zentrums für Schilddrüsenerkrankungen in Bornheim, erläutert die Symptome und Schwierigkeiten bei der Diagnose. Oftmals werde die Unterfunktion als Burnout fehldiagnostiziert. Für die Hashimoto-Thyreoiditis ist also die Ersatztherapie mit T4 weiterhin die Behandlungsmethode der Wahl. Das bestätigten unter anderem Experten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, der Schilddrüsenliga und des Deutschen Schilddrüsenzentrums auf Anfrage. Der DocCheck-Experte Dr. Schützler sieht momentan leider keine ernsthaften Forschungsbemühungen für alternative Hashimoto-Thyreoiditis Therapien. Seiner Meinung nach sei die Kooperation zwischen verschiedenen medizinischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen, die neue Behandlungsmethoden ermöglichen könnte, unzureichend.
Was die Situtaion der Hashimoto-Patienten oftmals verschlimmert, sind zusätzliche Autoimmunerkrankungen. Barbara Schulte betreut seit vielen Jahren Schilddrüsenerkrankte und kann das bestätigten. Sie ist die Vorsitzende vom Verein Schilddrüsenliga, dem Dachverband der Selbsthilfegruppen für Schilddrüsenkranke und Angehörige. Die Perniziöse Anämie ist eine der häufigsten Begleiterkrankung, das nimmt auch Frau Schulte bei ihren Beratungen wahr. Oftmals bleibe der Cobalamin-Mangel lange unentdeckt. Sie sehe das Problem, dass zu wenige Ärzte von vornherein einen Mangel abklären lassen, da die Kosten nicht von den gesetzlichen Kassen getragen werden. Dann interpretiere man die Symptome schnell fälschlich in Richtung Psyche oder bei älteren Frauen in Richtung Wechseljahre, kritisiert Frau Schulte, die selbst von Hashimoto-Thyreoiditis betroffen ist. Generell wünsche sie sich, dass Ärzte oder Betroffene früher an die Schilddrüse denken. Es gebe mittlerweile dramatisch viele Neuerkrankungen bei Kindern, sodass sie sich beim Gemeinsamen Bundesausschuss für die Aufnahme der Messung des THS-Wertes in die U9 einsetzt. Andere autoaggressive Erkrankungen, die häufig mit auftreten und zu einem sogenannten polyglandulären Autoimmunsyndrom führen, sind Vitiligo, Diabetes mellitus Typ 1, Zöliakie, Morbus Addison sowie Rheumatoide Arthritis oder Lupus erythematodes. Durch gezielte Diagnostik mittels Laborwerten und Ultraschalluntersuchungen gilt es, mögliche Begleiterkrankungen frühzeitig aufzuspüren. Eine neue Metadatenanlayse über 55 Kohortenstudien ergab, dass eine Schilddrüsenunterfunktion ein erhebliches Risiko für koronare Herzerkrankungen und Herzinfarkte bedeutet. Diese Ergebnisse bestätigen einmal mehr die Relevanz von Schilddrüsenhormonen für die Homöostase des Herz-Kreislauf-Systems sowie die Dringlichkeit bei einer Hashimoto-Thyreoiditis auch die Auswirkungen für andere Organe neben der Schilddrüse regelmäßig zu kontrollieren.