Immer wieder fordern Ärzte ein Dispensierrecht – vielleicht aus Neid auf die Apothekerschaft? Ihr Wunsch könnte zumindest bald für bestimmte Corona-Medikamente in Erfüllung gehen.
Der Ruf nach dem Dispensierrecht für Ärzte kam in den letzten Monaten immer wieder dann auf, wenn den Apotheken neue Tätigkeitsfelder durch die Politik angetragen wurden. Man hat es seitens der Ärzte gehört, als die Apotheken Masken verteilten oder als sie Impf- bzw. Genesenenzertifikate ausstellten. Und natürlich auch dann, als getestet werden sollte und die ersten Impfaktionen gegen Grippe oder Corona losgingen. Nun könnte dieser Wunsch erstmals Gehör finden: Das Dispensierrecht für die Corona-Medikamente Paxlovid® und Evusheld® soll in absehbarer Zeit verwirklicht werden. Aber, ist das sinnvoll? Und was sagt die Standesvertretung der Apotheker dazu?
Der Hintergrund der ganzen Aktion ist folgender: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat mehr als eine Millionen Dosen Paxlovid® eingekauft, damit die vulnerablen Gruppen – hier insbesondere hoch betagte Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen – vor einem schweren Krankheitsverlauf geschützt werden sollten. Die Idee dahinter war gut, doch es zeigte sich in der Vergangenheit, dass die Verordnungen nur sehr zögerlich kamen.
Das lag unter anderem vielleicht auch daran, dass die Beschaffung etwas umständlich erschien, denn die Apotheken durften weder Lagevrio® noch Paxlovid®auf Vorrat haben. Damit der erwartete reißende Absatz der Tabletten nicht zu Versorgungsengpässen in den stark betroffenen Regionen führt, wurde die Lagerhaltung unterbunden. Dafür gab es aber 8 Euro extra für die Botenlieferung an die Tür des Patienten. Das ist inzwischen anders, denn theoretisch darf man sich inzwischen so viele Vorräte anlegen, wie man möchte. Die meisten Apotheken haben dies aber nicht getan, denn viele haben bislang nicht eine einzige Verordnung in Händen gehalten. Bis dato seien nicht einmal 30.000 Rezepte über Paxlovid® ausgestellt worden.
Die Berichte in der Fachpresse lassen das Corona-Medikament zudem auch nicht besonders gut dastehen. Es ist die Rede davon, dass die Erkrankung bei manchen Patienten durch die Gabe nur verschleppt wird und nach Absetzung einfach wieder aufflammt. Dieses „Relapse-Phänomen“ wird derzeit noch genauer untersucht. Zudem deutet sich in den ersten in-vitro-Versuchen bereits an, dass sich gegen den Wirkstoff Nirmatrelvir Resistenzen bilden können. Außerdem sei die Behandlung älterer Menschen, die mehrere verschiedene Medikamente einnehmen, problematisch in Bezug auf das Risiko für Arzneimittelinteraktionen. Es scheint also, als sei die Ärzteschaft von seinem Nutzen nicht so überzeugt. Zumindest nicht so, als dass es in dem Maße verordnet würde, wie bei der Bestellung offenbar angenommen.
Hier erscheint der Politik offenbar nun das Dispensierrecht eine willkommene Gelegenheit zu sein, die Übervorräte des antiviral wirksamen Medikamentes loszuwerden, bevor sie verfallen. Wenigstens hat es für Außenstehende fast den Anschein, als wolle getestet werden, wie schnell hier die monetären Interessen die offenbar bislang bestehenden ärztlichen Bedenken gegen eine Verordnung von Paxlovid® davonspülen. Getarnt wird die Aktion mit der durchsichtigen Aussage: Es ginge darum, den Patienten schnellstmöglich zu versorgen. Wenn der Patient dem Arzt gegenübersitzt, dann ist das sicherlich der Fall. Wenn er aber – und das ist bei unseren Coronapatienten hier im Umkreis der Fall – zuhause bleibt, den Arzt telefonisch über seine Erkrankung informiert und darum bittet, das Rezept in der Apotheke seiner Wahl abzuliefern, die ihm das gewünschte dann nach Hause liefert, dann geht es ebenso schnell über die Apotheke.
Da kommen Fragen auf: Warum reicht eine Belieferung über den Sprechstundenbedarf nicht aus? Und warum muss man extra ein Dispensierrecht schaffen? Ist das möglicherweise ein Versuch, die über die pharmazeutischen Dienstleistungen erbosten Ärzte zu besänftigen? Eine Versorgung der Patienten wäre auch auf Basis des Sprechstundenbedarfs schließlich ebenso schnell möglich.
Die Antwort erschließt sich für mich schnell: Es lohnt sich finanziell nicht für die Ärzte. Sie würden es weiterhin nicht verordnen und das zu viel gekaufte Paxlovid® käme noch immer nicht an den Mann. Der Bundesgesundheitsminister scheint sich dagegen sicher zu sein, dass seine ärztlichen Kollegen für Geld eher dazu bereit sind, „experimentell“ an ihren Patienten vorzugehen.
Hier seitens der Apothekerverbände einen großen Aufschrei zu starten wäre vermutlich dennoch falsch. Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein, fordert: Apotheken sollten Paxlovid nach einem positiven PCR-Test auch ohne Rezept abgeben dürfen – selbst wenn die Versorgung der Patienten dann ebenso schnell funktionieren würde, wie bei der direkten Abgabe in der Arztpraxis.
Es gab nachvollziehbare Gründe, weshalb sich die Ärzteschaft bei der Verordnung bislang so stark zurückgehalten hat. Die Apotheken sollten nicht den Fehler machen, diese zu ignorieren. Paxlovid® ist bei Hochrisikopatienten sicherlich eine sinnvolle Medikation, aber es taugt nicht zur Abgabe an die breite Masse. Denn was passiert: Entweder bestellen die Ärzte Paxlovid® zur Abgabe an die Patienten und es läuft in den Arztpraxen still und heimlich im (nicht temperierten) Schrank ab; oder es wird plötzlich massenhaft abgegeben und das Streben nach maximalem Gewinn schlägt die anfängliche Zurückhaltung der Hausärzte bei der Verordnung aufgrund medizinischer Bedenken. Beides wäre nicht zum Schaden der Apotheken.
Man sollte nicht empört sein, auf Gegenwind der Ärzteschaft zu stoßen, wenn man sein Angebot erweitert – siehe pharmazeutische Dienstleistungen, wo den Apothekern in großem Stil alles Fachwissen von der hessischen Ärztekammer abgesprochen wird. Insbesondere dann nicht, wenn man im Gegenzug nicht bereit ist, auch einmal die Zügel zu lockern. Die ABDA ist nicht begeistert, und erwägt, ebenfalls eine Abgabe ohne Rezept einzufordern – wie es in den USA bereits praktiziert wird.
In meinen Augen ist das der falsche Weg.
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