Heparin oder nicht Heparin – das ist hier die Frage. Wie sollten Patienten, die nach einer Corona-Impfung eine Thrombose entwickeln, im Idealfall behandelt werden?
Prof. Tamam Bakchoul und sein Team vom Institut für Klinische und Experimentelle Transfusionsmedizin (IKET) am Universitätsklinikum Tübingen untersuchen die Eignung von Antikoagulantien bei Patienten, die nach der Impfung gegen SARS-CoV-2 eine Thrombose an ungewöhnlichen Stellen entwickeln. Mit Hilfe der Studienergebnisse hoffen die Forscher, neue Ansätze zur Behandlung dieser seltenen, aber ernstzunehmenden Erkrankung zu finden. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Blood veröffentlicht.
Mit der wachsenden Zahl an Impfungen gegen SARS-CoV-2 gingen Berichte über sehr seltene, aber schwerwiegende Nebenwirkungen der Impfung einher. In einigen der schwersten Fälle kam es zu lebensbedrohlichen thrombotischen Ereignissen an ungewöhnlichen Stellen (VITT).
Heparin wirkt sehr schnell, ist kostengünstig und verfügbar, weshalb es eines der am häufigsten verwendeten Antikoagulantien zur Vorbeugung und Behandlung von thrombotischen Ereignissen ist. Allerdings hat sich gezeigt, dass die Pathophysiologie der VITT der Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT) ähnelt und mit Thrombozyten-aktivierenden Antikörpern gegen den Thrombozytenfaktor 4 (PF4) zusammenhängt. Aufgrund der Ähnlichkeiten zwischen VITT und HIT wird bei VITT-Patienten von der Verwendung von Heparin zur Behandlung von Thrombosen daher abgeraten.
In der vorliegenden Studie untersuchten Dr. Anurag Singh und das Team um Bakchoul die Rolle von Antikoagulantien, unter anderem Heparin bei VITT. Die Wissenschaftler analysierten die Bindung zwischen VITT-Antikörpern und PF4, die Aktivierung von Blutplättchen durch Serum von VITT-Patienten und die VITT-Antikörper-vermittelte Thrombusbildung.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Wechselwirkung von Heparin mit VITT-Antikörpern nicht mit der von HIT vergleichbar ist. Im Gegensatz zu HIT kann Heparin die Thrombusbildung durch VITT-Seren in vitro bremsen und zwar zum Teil durch die Hemmung der Interaktion von VITT-Antikörpern mit PF4 und der anschließenden Thrombozytenaktivierung. Bakchoul erklärt: „Wir konnten nachweisen, dass die VITT-Antikörper in Gegenwart von Heparin nicht die gleiche Wirkung zeigen wie Antikörper von HIT. VITT-Antikörper zeigten keine erhöhte Bindung mit Heparin, und die Antikörper-PF4-Komplexe wurden durch Heparin erfolgreich abgebaut.“
Auf der Grundlage dieser Ergebnisse könnten die Richtlinien für die Verwendung von Heparin bei VITT-Patienten überdacht werden. „Es gibt einige kleine Kohortenstudien und klinische Berichte, die eine erfolgreiche Behandlung von VITT-Patienten mit Heparin belegen“, erläutert Singh. „Da Heparin das am weitesten verbreitete Antikoagulans ist, werden weitere klinische Studien zu einem besseren Verständnis und einer einfacheren Handhabung dieser Erkrankung führen – auch in Krankenhäusern, in denen Antikoagulantien ohne Heparin nicht ohne Weiteres verfügbar sind.“ Dies bedarf allerding prospektive klinische Studien, um die Wirksamkeit von Heparin bei VITT-Patienten zu verifizieren, so Bakchoul.
Die zugrunde liegenden Mechanismen der Wechselwirkung zwischen den Anti-koagulantien und VITT- bzw. HIT-Antikörpern und die Beteiligung anderer Immunzellen an der anschließenden Thromboinflammation werden nun in weiteren Studien untersucht.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums Tübingen. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Pawel Czerwinski, unsplash.