Es ist vollbracht: Nach mehr als zwei Monaten endet der längste Streik an NRWs Unikliniken. Aber bringt der neue Tarifvertrag wirklich die Erlösung?
Dass das Eckpunktepapier, in dem die Entlastung schriftlich festgehalten ist, von Seiten der Politik begrüßt wurde, ist indes noch nicht zwangsläufig ein Qualitätsmerkmal. Auch Verdi spricht eher von einem „Etappensieg“ – bekanntlich also noch kein Finish. Dennoch ist man zufrieden – und auch an vorderster Front sind die Betroffenen froh über das Ergebnis.
„Ja, für den Moment sind wir zufrieden. Es ist vieles erreicht worden. Nicht alles, was wir uns vorgestellt haben, aber es ist ein guter und hoher Sockel von dem man aus weiterarbeiten kann. Nicht zuletzt ist es für die Meisten eine echte Besserung“, resümiert Peter Lanzl, Fachkrankenpfleger für Anästhesiologie und Intensivmedizin, vom Universitätsklinikum Bonn nach Abschluss der Gespräche.
Doch wie sieht die Besserung nun konkret aus, für die die Klinikbeschäftigten 77 Tage auf die Straße gingen und in 25 Verhandlungsrunden stiegen (wir berichteten)? Zentrale Elemente des Tarifvertrags „Entlastung“ sind ein „schichtgenaues Zahlenverhältnis von Beschäftigten“ auf den Stationen sowie – sollte dieses Verhältnis nicht eingehalten werden können – Belastungsausgleiche.
Für diese Belastungsausgleiche existiert nun ein eigenes Modell. Arbeitet ein Beschäftigter nun in einer solchen unterbesetzten Station, erhält er für diesen Arbeitstag einen „Belastungspunkt“. Sammelt die Person insgesamt sieben solcher Punkte, gibt’s einen freien Tag. Im ersten Jahr nach der Umsetzung können auf diesem Weg 11 freie Tage gesammelt werden, im zweiten Jahr 14, im Dritten 18.
Als weiterer Punkt auf der Habenseite von Gewerkschaft und Arbeitnehmer ist ein weiteres bundesweites Novum. Erstmals werden Beschäftigte in der Radiologie, in den Betriebskitas und im Einsatz bei Therapeuten mit Mindestvorgaben für den Personaleinsatz bedacht – der Rahmen also weiter gefasst als anderen Bundesländern.
Und doch geht es noch besser, wie Lanzl meint: „Wir dürfen trotz der Ergebnisse nicht vergessen, dass es auch um den Gesamtkomplex Krankenhaus geht. Hier ist noch Luft nach oben, vor allem bei den Personengruppen. Wir hätten uns beispielsweise gewünscht, dass alle Bereiche – unabhängig von den Finanzierungswegen – bedacht werden. Namentlich zum Beispiel auch Physios mit aufgenommen werden.“
Dass die Verhandlungsführer auch die nächste Generation bereits im Blick hatten, machen die Mindeststandards deutlich, die für Auszubildende schriftlich festgehalten wurden – aber eben auch nicht mehr sind als das – Mindeststandards. Zwar erhalten auch diese nun ihre Freitage nach hoher Belastung. Ob aber mehr Freizeit der richtige Anreiz in einer praxisorientierten Lernphase ist, steht auf einem anderen Papier – bzw. auf keinem.
Davon, wie man es in Zukunft praxisnah besser machen kann, hat Lanzl klare Vorstellungen: „Man muss sich in der Gesundheitsversorgung endlich einmal darauf besinnen, was sinnvoll ist. Dazu gehört, dass man alte Ideologien und Dogmen über Bord wirft und gemeinsam zusammenarbeitet – ohne Selbstbereichungsabsichten bestimmter Gruppen und fachlich auf Augenhöhe. Erst wenn man ohne Vorbehalte miteinander am Tisch sitzt, findet man die praktikabelsten, medizinisch sinnvollsten und auch verwaltungstechnisch günstigsten Lösungen.“
Doch das Kriegsbeil mag nun einmal begraben sein und der Fokus auf den zweifelsfrei großen Besserungen liegen, die das Uniklinikpersonal nun erfährt. Doch es wäre nicht das deutsche Gesundheitswesen, wenn sich nicht aus einer Änderung heraus ein anderes Loch auftäte.
So berichtet Essens Klinik-Direktor Jochen Werner von einer „Sog-Wirkung“, die nun einsetze. Das Personal aus den umliegenden Krankenhäusern in die mit besseren Tarifverträgen ausgestatteten Unikliniken abwandern könne. Auch wenn in Berlin bereits Pläne für eine allgemeine Krankenhausreform ausgearbeitet werden, kann auch Lanzl diese Möglichkeit nicht ganz vom Tisch weisen:
„Wer das bessere Fahrrad verkauft, verkauft auch mehr Fahrräder. Andere Krankenhäuser müssen sich diesem oder ähnlichen Modellen anschließen und gleiche Bedingungen schaffen. Das ist ganz klar und menschlich nachvollziehbar, dass man für sich das beste will. Die Arbeitgeber/nehmer-Verhältnisse müssen halt an vielen Stellen im 21. Jahrhundert ankommen. Und klar, die Politik muss die Grundlagen in Form eines einheitlichen Versorgungsprinzips vorgeben.“
Ob es nun zu einer Völkerwanderung kommt, die Fackeln an anderen Häusern entzündet werden oder ganz einfach nichts passiert, bleibt abzuwarten – ebenso wie die nordrheinwestfälische Erfolgsgeschichte „Tarifvertrag Entlastung“.
Umsetzung folgt … 2023.
Bildquelle: Dan Edwards, unsplash