Unabhängig von Alter und Konstitution genesen manche Patienten nach einer OP sehr schnell, andere brauchen deutlich länger, um wieder auf die Beine zu kommen. Daten aus einer Blutprobe könnten künftig Licht ins Dunkel um den voraussichtlichen Heilungsverlauf bringen.
„Können Sie mir sagen, wann ich aus dem Krankenhaus entlassen werde und wann ich wieder zur Arbeit gehen kann?“ Fragen wie diese hören Ärzte wohl am häufigsten von ihren Patienten. „In der Regel dauert die Genesung ...“ So oder so ähnlich lautet meist die Antwort, basierend auf der Erfahrung mit Patienten mit ähnlichen Leiden in der gleichen Altersgruppe. Eine schnelle Heilung nach einer Operation bedeutet aber nicht nur für den Patienten Wohlbefinden, sondern auch einen ökonomischen Vorteil durch geringere Pflegekosten und weniger Verlusttage bei der Arbeit. „In der Regel“ bezeichnet aber selbst bei Patienten mit ähnlichen Voraussetzungen oft eine große Spanne. Wie schnell der frisch Operierte in diesem Zeitraum wieder auf die Beine kommt, war bisher kaum vorherzusagen. Eine Zusammenarbeit zwischen Anästhesisten und Immunologen von der Harvard University hat nun dazu geführt, dass es vielleicht in Zukunft verlässliche Marker gibt, die einen Schnell- vom Langsamgeneser unterscheiden. Zumindest dann, wenn sich die Ergebnisse dieser vorerst kleinen Studie bestätigen.
Fest steht, dass das Immunsystem bei einem Verletzungstrauma wie einer schweren Operation eine bedeutende Rolle bei der Heilung spielt: Innerhalb weniger Stunden rekrutiert die Körperabwehr Neutrophile Granulozyten und Monozyten. Die dazu gehörigen Botenstoffe heißen bezeichnenderweise „Alarmine“, wie etwa HMGB1 (High-Mobility-Group-Protein B1). In der Folge tauchen dann auch Zytokine wie TNFα, IL-1ß und IL-6 auf. Zusammen mit Signalen aus der Umwelt sorgen sie für die Wundheilung und Erholung des Körpers. Bisher wusste man ungefähr, welche Stoffe dabei im Kreislauf die wichtigen Signale überbringen und welche Immunzellen eine besondere Rolle spielen. Bisher ließ sich wegen fehlender Werkzeuge nicht sagen, was dabei im Einzelnen vor sich geht. Martin Angst und Garry Nolan haben sich zusammengeschlossen und relevante Zellen durch Einzelzell-Massenzytometrie analysiert. Die erst vor wenigen Jahren entwickelte Technik ist eine Art Kombination der gut etablierten fluoreszenzgestützten Durchflusszytometrie und einer massenspektrometrischen Analyse mit stabilen Metall-Isotopen.
Die Wissenschaftler suchten sich ein klinisches Modell, das mit einem starken Eingriff und relativ großer Gewebezerstörung verbunden ist. 32 Patienten mit einer Hüftendoprothesen-Implantation spendeten eine Blutprobe eine Stunde vor der Operation sowie drei Proben einen, drei und 30 bis 40 Tage danach. Aus den Antworten auf einen Fragebogen an den Patienten errechnete das Forscherteam dann das Tempo seiner Rehabilitation. Der Studienteilnehmer dokumentierte darin das Ausmaß seiner Schmerzen, Erschöpfung/Fatigue und die Funktion des neuen Hüftgelenks. Die Massenzytometrie charakterisierte parallel dazu die Immunzellpopulationen aus den Blutproben. Besonders fiel den Forschern dabei die Monozyten-Population mit den Oberflächenantigenen CD11, CD14, CD33 und HLA-DR(low) auf. Obwohl diese Zellen nur ein bis zwei Prozent der gesamten Leukozyten ausmachen, hängt es anscheinend von ihrer Aktivität ab, wie schnell sich der Patient von der Operation erholt. Marker dafür sind vor allem die Transkriptionsfaktoren STAT-3 (Signal transducer and activator of transcription 3), CREB (cAMP response element-binding protein) und NFκB (nuclear factor kappa-light-chain-enhancer of activated B cell). Schon 24 Stunden nach der Operation steigt der Anteil dieser Zellen auf ein Vielfaches an. Bei der Analyse der Zell-Signalwege anhand von Protein-Phosphorylierungsreaktionen zeigten alle Patienten ein weitgehend einheitliches, typisches Muster. Soweit die Gemeinsamkeit unter allen Teilnehmern. Unterschiedlich war jedoch die Aktivierung ihrer Monozyten-Population. Je stärker diese Zellen ihren Metabolismus schon kurz nach dem Trauma ankurbelten, desto länger dauerte es, bis der Patient sich von der OP erholte, gemessen in Schmerzen, Müdigkeit und Funktion der neuen Hüfte. Die Unterschiede bei den Transkriptionsfaktoren trugen zu etwa 40 bis 60 Prozent der Variabilität beim Heilungsprozess bei.
Eine solche gleichzeitige Analyse vieler Parameter in ganz unterschiedlichen Zellpopulationen war mit den bisher etablierten Methoden kaum möglich. Während die Durchfluss-Zytometrie maximal 12 bis 15 Parameter analysieren kann, erlaubt die Massenzytometrie 50 und mehr. Statt mit Fluoreszenzmarkern werden dabei die Antikörper und Bindungsproteine mit stabilen Isotopen von seltenen Erden markiert. Ein geeignetes Massenspektrometer kann dann die Marker auf den einzelnen Zellen genau differenzieren. Überlagerungseffekte oder Kreuzreaktionen mit zelleigenen Proteinen wie bei der Fluoreszenz kommen dabei nicht vor. Bei diesen Experimenten „konnten wir nicht nur die Identität der Immunzellen genau beobachten, sondern auch ihre Gesinnung“, beschrieb Garry Nolan bildlich den Fortschritt in dieser Richtung. Die Antwort des Körpers auf ein Trauma scheint demnach sehr strukturiert zu verlaufen. Dabei fährt der Körper bei der Erholung zuerst die erlernte Immunabwehr und das angeborene Immunsystem hoch. Erst in einer späteren Phase haben dann spezifische B- und T-Zellen einen erleichterten Zugang zur Wunde.
16 Millionen mal lag 2013 ein Patient auf dem OP-Tisch einer deutschen Klinik. Fast jeder zweite davon ist älter als 65 Jahre. Nicht nur im ökonomischen Sinn spielt die Zeit bis zur vollständigen Genesung eine wichtige Rolle, sondern auch im Hinblick auf eine bessere Lebensqualität nach einer Operation. In den letzten Jahren sind die Klinikaufenthalte auch nach schwereren Eingriffen immer kürzer geworden - dank abgestimmter Pflege und optimierter nachoperativer Therapie. Die Arbeit aus „Science Translational Medicine“ zeigt nun auf einen konkreten physiologischen Marker, der auf eine schnelle oder langsame Rehabilitation hinweist. Das Team aus Harvard verlautete, als nächsten Schritt nach präoperativen Markern zu suchen, die mit einem schnellen oder langsamen Heilungsprozess zusammenhängen. Möglicherweise, so spekulieren die Autoren beim Blick in ihre Glaskugel, könnte man eines Tages sogar in den entsprechenden molekularen Mechanismus eingreifen, um so zu noch schnellerer Erholungszeit zu kommen.