Eine unverschämte Kundin kommt in die Apotheke und will „genau das, was der Arzt verordnet hat“. Blöderweise hat sie das Rezept nicht dabei. Ich habe keine Zeit für sowas – und langsam auch keinen Bock mehr.
Teil meiner Jobbeschreibung als Apothekerin sollte „Problemlöserin“ sein. Speziell für medikamentöse Probleme, natürlich. Aber außer der Beratung und Lösungsfindung fallen darunter auch die Entscheidung, ob etwas rezeptpflichtiges gebraucht wird und ob bzw. unter welchen Umständen ich das abgeben kann, Beschaffungsprobleme, Ersatzmöglichkeiten. Und daneben habe ich täglich mit Personalproblemen, Hard- und Softwareproblemen und einigem mehr zu tun.
Alles okay. Was mich aktuell allerdings immer mehr nervt: Die Leute scheinen nicht zu verstehen, dass ich grundsätzlich helfen will – es liegt meist auch in meinem Interesse, eine Lösung zu finden, etwas auf Rezept abzugeben oder zu verkaufen. Aber es gibt Grenzen. Gesetzliche und wirtschaftliche. Eine Apotheke ist auch Detailhändler – in einem sehr spezialisierten und stark geregelten Sektor. Und wenn ich „Nein“ sage, dann ist das so. Akzeptiert meine Lösungsvorschläge oder geht. Aber bitte diskutiert nicht. Ich habe keine Zeit dafür. Und langsam auch keine Nerven mehr.
Situation Freitagabend, kurz vor 19 Uhr. Wir sind noch zu zweit in der Apotheke – aktuell ich und die Apothekerassistentin im Praktikumsjahr. Ein Pärchen kommt rein, sie mit dick geschwollener Backe. Etwas mühsam erklärt sie mir nuschelnd, was sie will: Etwas mit Arnika sei ihr empfohlen worden. Zur besseren Heilung. Gut, wenn sie das denn will. Ich zeige ihr die Arnika-Globuli. Ich bin zwar nicht begeistert, aber … des Menschen Wille ist sein Himmelreich, oder so. Als ich sie frage, für was sie das braucht, zeigt sie auf ihre Backe. Das sei von heute, ihr Weisheitszahn musste herausgenommen werden, es schmerze zwar noch nicht, aber sie wolle gerüstet sein.
Ich empfehle ihr stattdessen ein richtiges schmerz- und entzündungshemmendes Mittel. Sagt sie: „Ja, mein Arzt hat mir auch etwas verschrieben. Das und ein Mittel zum Gurgeln. Ich habe das Rezept aber zu Hause vergessen und keine Lust, es zu holen.“ Ok, blöd, aber muss ja nicht sein, ich kann ihr beides auch ohne Rezept verkaufen. Plus: Hierzulande zahlt die Krankenkasse ja keine Zahnarztrezepte, also hätte sie sowieso zahlen müssen.
Will sie nicht, weil: „Es soll aber genau das sein, was auf dem Rezept steht.“ Gut, dann brauche ich das Rezept hier. Sie soll es holen. Das will sie nicht. Ich soll doch jetzt beim Arzt anrufen und das Rezept verlangen.
Nein. Das kann und will ich nicht. Es ist deutlich nach 17 Uhr an einem Freitagabend. Mir fehlt die Zeit dafür. Der Arzt ist wahrscheinlich schon im Feierabend. Wenn sie meine Ersatzvorschläge nicht akzeptieren will, nur „genau das Verschriebene“ will und nicht weiß, was es ist, dann kann sie das selber herausfinden. Ich drücke ihr unsere Visitenkarte in die Hand, wo (falls sie jemanden erreicht) das Rezept oder die Info hin soll und wünsche ihr viel Glück.
Es stößt etwas auf Unverständnis, dass ich das nicht mache. Ich weise sie noch einmal auf die Zeit hin, die Tatsache, dass ich das Personal dafür jetzt nicht habe und die Schlange aus 5 Personen, die sich in der Zwischenzeit hinter ihr gebildet hat. Sie will diskutieren. Schließlich wende ich mich dem nächsten Kunden zu, um weiterzumachen. Als ich nach weiteren 2 Kunden wieder schaue, was sie machen, sind sie nicht mehr in der Apotheke. Ich höre, nicht unerwartet, auch nichts mehr von ihnen.
Ich habe schon bei Ärzten angerufen wegen Rezepten – das bedingt aber eine gewisse Wichtigkeit und macht hier aus den verschiedenen erwähnten Gründen keinen Sinn. Außerdem: Dienstleistungen brauchen Zeit. Und Personal. Da es momentan an beidem mangelt, kann ich das nicht bieten.
Aber die Patienten und Kunden sehen das nicht. Bis so etwas für die Kunden merkbar wird, dauert es lange – denn wir kompensieren so gut wir können. Wir machen, was möglich ist, priorisieren – hauptsächlich auf die anwesende Kundschaft – während sich im Hintergrund viel Arbeit ansammelt, zu der man kaum mehr kommt. Ich wünschte, die Leute hätten etwas mehr Verständnis, auch für unsere Situation.
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