„Gibt es denn keine Klinik, die Pubertät behandelt?“ – solche Fragen stellen mir überforderte Eltern in der psychotherapeutischen Praxis. Pubertät als Krankheit anzusehen, das ist doch lächerlich … oder etwa nicht?
In meinem klinischen Alltag als Psychologe und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut wird mir diese Frage von verzweifelten, besorgten, aber auch ganz entspannten Eltern gestellt.
Manchmal sogar nicht als Scherz gemeint.
Wie beispielsweise die Frage eines Vaters, der wissen wollte, ob es nicht Kliniken gibt, die „auf Behandlung der Pubertät spezialisiert“ sind. Ja, genau so: auf Behandlung der Pubertät spezialisiert, nicht auf Behandlung von Pubertierenden.
Dabei lässt sich die Frage der Störungswertigkeit, der Normabweichung pubertärer Phänomene nicht so leicht beantworten. Natürlich ist Pubertät keine „Krankheit“, ein physiologisch-hormoneller Ausnahmezustand jedoch durchaus!
Es ist unstrittig, dass die Pubertät mit zentralnervösen und hormonellen, teilweise massiven Veränderungen in der neuronalen Organisation assoziiert ist. Im klinischen Alltag sehen wir natürlich auch andere benachbarte Fachdisziplinen, die mit dieser Altersspanne zu tun haben – beschleunigte, augenscheinlich pathologische Symptome als Teil eines entwicklungsgerechten, genetisch gesteuerten Prozesses. Dabei darf man jedoch nicht nur den Genen und der Neurobiologie die alleinige Schuld für den entwicklungsbedingten Ausnahmezustand geben.
Die biologische Reifung ist ein summatives Ergebnis, bestehend aus multifaktoriellen, bio-psycho-sozio-ethnokulturellen Faktoren. Um die Sache noch etwas komplizierter zu gestalten: Die Einführung des Begriffs „biologische Reifung“. Er soll nicht verwirren, sondern die soziokulturellen Einflüsse auf Reifungsprozesse hervorheben.
Seit einigen Jahrzehnten wird teilweise eine Vorverlagerung des Pubertätsbeginns in industrialisierten Ländern verzeichnet. Auch frühere Stresserfahrungen führen zu einer Art „Notreifung“. Was hat jetzt aber Pubertät mit Psychotherapie zu tun? Ich würde sagen: einiges.
Wie bereits erwähnt, kann – nicht muss – diese Entwicklungsphase bei vulnerablen Personen, psychopathologische Prozesse beschleunigen. Wenn sich dies in einer klassifizierbaren psychischen Erkrankung niederschlägt, wie etwa Suchterkrankungen oder bipolare Störungen, dann erfüllt dies die Kriterien der Psychotherapie-Richtlinie. Laut dieser können psychotherapeutische Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung angeboten werden, um „eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern“ (modifiziert nach der Psychotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses, in der Fassung vom 19. Februar 2009).
Was ist aber mit subklinischen Formen, Befindlichkeitsstörungen und entwicklungstypischen problematischen Anpassungsprozessen, die den Tatbestand der Krankheit oder der Funktionsbeeinträchtigung nicht erfüllen?
Was machen wir mit der sogenannten Adoleszentenkrise? Ist das so etwas wie eine „Anpassungsstörung, ICD-10: F43.2“? So ganz passen tut es nicht, wenn man die ICD-10-Definition genau nimmt. Oder doch? Das würde dann doch dazu führen, dass die initiale Frage eine ernstzunehmende Existenzberechtigung bekommt.
Junge Menschen benötigen sehr wohl Unterstützung, manchmal professionelle Begleitung und Orientierung. Bei Fehlen einer manifesten Störung im Sinne der internationalen Klassifikationssysteme ICD und DSM und außerhalb des Geltungsbereichs der Psychotherapie-Richtlinie: Wer wäre dafür zuständig?
Wir alle als Gesellschaft? Wer ist das genau?
An wen sollen die Betroffene sich wenden – wenn sie nicht unterstützende, verständnisvolle und empathische Eltern, Familien oder Freunde haben? Oft fehlt es an unklinischen Beratungsstellen oder diese sind oft leider unbekannt.
Brauchen wir also doch Kliniken oder Behandlungszentren mit Schwerpunkt „Pubertät“?
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