Bisher wurde nur bei der Entstehung von Typ-1-Diabetes eine Beteiligung verschiedener Viren vermutet. Jetzt zeigt sich: Herpesviren könnten auch einen Typ-2-Diabetes begünstigen.
Eine aktuelle Studie, die in Diabetologia veröffentlicht wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass zwei weit verbreitete Herpesviren zu einem gestörten Glukosestoffwechsel und einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes (T2D) bei infizierten Personen beitragen können. Die Studie wurde von Dr. Tim Woelfle von der Ludwig-Maximilians-Universität und dem Helmholtz-Zentrum München durchgeführt.
Herpesviren gehören zu den am weitesten verbreiteten Viren beim Menschen, von denen derzeit acht Typen bekannt sind: die Herpes-Simplex-Viren (HSV) 1 und 2, das Varizella-Zoster-Virus (VZV), das Epstein-Barr-Virus (EBV), das Zytomegalievirus (CMV) und die menschlichen Herpesviren (HHV) 6, 7 und 8. Sie alle verursachen nach einer anfänglichen, meist milden oder asymptomatischen Primärinfektion lebenslange latente Infektionen in ihren Wirten. Es gibt viele bekannte verhaltensbedingte, umweltbedingte und genetische Risikofaktoren für T2D, aber bis vor kurzem wurde angenommen, dass Viren nur bei der Entwicklung von Typ-1-Diabetes eine Rolle spielen. Frühere Studien haben ergeben, dass die Inzidenzrate von T2D bei Menschen mit Prädiabetes (7,6 % pro Personenjahr) viel höher ist als bei Personen mit normaler Glukosetoleranz (0,6 % pro Personenjahr).
Die aktuelle Untersuchung basiert auf den Gesundheitsdaten von 1.967 Probanden der bevölkerungsbezogenen Gesundheitsforschungsplattform KORA (Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg) in Süddeutschland. Die Teilnehmer wurden zu Beginn (2006–2008) und bei der Nachuntersuchung (2013–2014) eingehend untersucht. Dazu gehörten Tests auf das Vorhandensein humaner Herpesviren, orale Glukosetoleranztests (OGTT) und die Messung des glykosylierten Hämoglobins (HbA1c). Das Durchschnittsalter der Studiengruppe lag bei Studienbeginn bei 54 Jahren, 962 (49 %) waren Männer und 999 (51 %) waren Frauen. Für die Inzidenzanalyse zur Entwicklung von (Prä-)Diabetes wurden die Daten der 1.257 Teilnehmer mit normaler Glukosetoleranz zu Studienbeginn verwendet (Durchschnittsalter 49 Jahre, 42 % Männer und 58 % Frauen [528 bzw. 729 Personen]).
Teilnehmer ohne vorherige T2D-Diagnose unterzogen sich einem Standard-OGTT, wobei der Diabetes-Status anhand der von der American Diabetes Association empfohlenen Schwellenwerte zugewiesen wurde. Weitere Analysen der Blutproben wurden durchgeführt, um das Vorhandensein von Antikörpern gegen 7 der 8 bekannten humanen Herpesviren nachzuweisen, was auf das Vorhandensein von sowohl primären als auch latenten Infektionen hinweisen würde. Die folgenden Variablen, von denen bekannt ist, dass sie mit dem Diabetesrisiko in Verbindung stehen, wurden ebenfalls zu Beginn der Studie untersucht: Geschlecht, Alter, BMI, Schulbildung, Raucherstatus, körperliche Aktivität in der Freizeit, Diabetes der Eltern und Bluthochdruck (definiert als Blutdruck von mehr als 140/90 mmHg).
Die Prävalenz von Prädiabetes (IFG und IGT) lag bei 27,5 % zu Studienbeginn und 36,2 % bei der Nachuntersuchung, während T2D bei 8,5 % der Teilnehmer zu Studienbeginn und 14,6 % bei der Nachuntersuchung vorlag. Von den 1.257 Freiwilligen mit normaler Glukosetoleranz bei Studienbeginn entwickelten 364 im Laufe der durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von 6,5 Jahren einen Prädiabetes und 17 eine T2D. Die Autoren fanden heraus, dass Alter, BMI, Rauchen und Ausbildungsjahre mit dem Risiko einer Person, sowohl Prädiabetes als auch T2D zu entwickeln, in Verbindung standen.
Bluttests zu Beginn der Studie ergaben, dass EBV das am weitesten verbreitete Herpesvirus war, wobei 98 % der Stichprobengruppe seropositiv waren, gefolgt von HSV1 (88 %), HHV7 (85 %), VZV (79 %), CMV (46 %), HHV6 (39 %) und HSV2 (11 %). Die Teilnehmer waren zu Studienbeginn im Durchschnitt auf 4,4 Herpesviren seropositiv, bei der Nachuntersuchung auf 4,7. Etwa ein Drittel (34 %) wurde am Ende des Nachbeobachtungszeitraums auf mehr Viren positiv getestet, 54 % hatten die gleiche Anzahl und nur 12 % waren auf weniger Viren positiv als zu Beginn der Studie. Obwohl Herpesviren in ihren Wirten persistent sind, können sie nicht immer durch Antikörper im Blut nachgewiesen werden. Die Infektion erfolgt in der Regel in der frühen Kindheit, kann aber auch in späteren Lebensjahren erfolgen, so dass es sich bei den beobachteten Serokonversionen zwar um neue Fälle handeln kann, sie aber eher auf die Immunreaktion auf ein zuvor unentdecktes Virus zurückzuführen sind. Ebenso kann eine Person, die ihre Seropositivität verliert, nicht als virenfrei angesehen werden, sondern befindet sich eher in einem nicht nachweisbaren Latenzzustand.
Von den sieben untersuchten Herpesviren wurden HSV2 und CMV mit der Inzidenz von (Prä-)Diabetes bei Personen mit normaler Glukosetoleranz bei Studienbeginn in Verbindung gebracht, unabhängig von anderen Risikofaktoren. Bei Personen mit HSV2 war die Wahrscheinlichkeit, an (Prä-)Diabetes zu erkranken, um 59 % höher als bei seronegativen Personen, während eine CMV-Infektion mit einer um 33 % erhöhten (Prä-)Diabetes-Inzidenz verbunden war. Die Studie ergab, dass sowohl HSV2 als auch CMV konsistent und komplementär zur Entwicklung von (Prä-)Diabetes beitrugen, selbst nach Berücksichtigung von Geschlecht, Alter, BMI, Bildung, Rauchen, körperlicher Aktivität, elterlichem Diabetes, Bluthochdruck, Lipidwerten, Insulinresistenz und Nüchternglukose. HSV2 wurde auch mit dem HbA1c-Wert in Verbindung gebracht, unabhängig von anderen Störfaktoren und der Prävalenz von (Prä-)Diabetes selbst.
Die Mechanismen, durch die diese Viren zur Entwicklung von (Prä-)Diabetes beitragen könnten, müssen noch entdeckt werden. Sowohl HSV2 als auch CMV verursachen chronische Infektionen, die das Immunsystem durch Stimulierung oder Unterdrückung seiner Aktivität modulieren könnten, was wiederum die Funktion des endokrinen Systems beeinflussen kann. Frühere Forschungen haben ergeben, dass es neben der Entwicklung des metabolischen Syndroms noch unbekannte Ursachen für T2D gibt.
Die Autoren schlussfolgern: „Diese Ergebnisse unterstreichen den Zusammenhang zwischen Viren und (Prä-)Diabetes und die Notwendigkeit weiterer Forschung zur Bewertung von Strategien zur Prävention von Viren im öffentlichen Gesundheitswesen, möglicherweise einschließlich der Entwicklung von wirksamen Impfstoffen gegen Herpesviren.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung. Die Studie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: CDC, Unsplash