„Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Ihre Ärztin“ – bitte, was? Der Kleinkrieg zwischen Ärzten und Apothekern geht in die nächste Runde. Das kann so nicht weitergehen.
Als das Dokument des Hausärzteverbandes Hessen erstmals in verschiedenen Internetforen geteilt wurde, dachten viele noch an einen schlechten Scherz. Es kann doch nicht sein, dass der hessische Ärzteverband die Apotheker samt und sonders als Berufsgruppe betitelt, die sich „ohne tiefere medizinische Kenntnisse und ohne ein entsprechendes Studium“ in die medikamentöse Therapie der Ärzte einmischt, das Arzt-Patienten-Verhältnis stört und die Krankenkassen unnötig schröpft – zu Lasten der Allgemeinbevölkerung! Die Antwort darauf: Doch, er kann.
Was der hessische Hausärzteverband hier von sich gegeben hat, ist gelinde gesagt eine Unverschämtheit und grenzt schon fast an Rufmord. Die Apotheker sind jedoch geteilter Ansicht, wie sie auf dieses Dokument reagieren sollten.
Zunächst aber einmal hier der Stein des Anstoßes:
Die Patienten werden also dazu aufgefordert, die pharmazeutischen Dienstleistungen – wie beispielsweise die Medikationsanalyse, die Beratung zur korrekten Inhalationstechnik sowie die Überwachung des Blutdrucks – nicht wahrzunehmen.„Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Ihre Ärztin“ ist also die Ansicht des Ärzteverbandes, die er in diesem Dokument kundtut. Die Apotheker haben demzufolge offensichtlich auch kein ernstzunehmendes Studium hinter sich gebracht, in dem sie „tiefere medizinische Kenntnisse“ erlangen konnten. Da bleibt einem doch die Spucke weg.
Man könnte meinen, die Ärzteschaft hätte Angst davor, dass noch mehr ihrer Behandlungsfehler offenbar werden würden, denn kürzlich erst hat der Medizinische Dienst dazu aktuelle Zahlen veröffentlicht. Diese lassen die Ärzte nicht als die perfekten Saubermänner dastehen, wie es der hessische Ärzteverband wohl gerne hätte. Denn, siehe da: Auch Medikationsfehler kamen vor. Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes, geht außerdem von einer hohen Dunkelziffer aus, die „höchstwahrscheinlich ein Vielfaches“ davon ausmacht.
Auch die WHO hat festgestellt, dass weltweit alle 5 Minuten ein Mensch aufgrund einer fehlerhaften medizinischen Behandlung stirbt. Das soll jetzt nicht als Vorwurf gewertet werden, denn wo gearbeitet wird, da werden auch Fehler gemacht – das ist (leider) nur menschlich. Aber weshalb wehrt man sich dann gegen das Vier-Augen-Prinzip? Das hatte inzwischen ja auch in Kliniken so gute Erfolge gezeigt, dass das Land Niedersachsen zu Beginn des Jahres die flächendeckende Einführung von Stationsapothekern beschlossen hat. Überhaupt hat man den Eindruck, dass sich die Ärzte in den Krankenhäusern allgemein weniger um ihr Ansehen sorgen, wenn Apotheker in die Patientenberatung mit einbezogen werden, als die Hausärzte.
Wie nötig diese Beratung beispielsweise für Asthmatiker und COPD-Patienten ist, die Inhalativa benötigen, hat vor Jahren bereits die VITA-Studie der ABDA nachgewiesen. Bereits eine einmalige strukturierte Beratung in der Apotheke kann demnach den Anteil der Patienten, die ihr Medikament bislang fehlerhaft angewendet hatten, um 65 % reduzieren.
Und es ist ja nicht so, dass bisher in den Apotheken nicht beraten wurde. Die apothekerliche Beratungspflicht ist sogar gesetzlich im § 20 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) festgeschrieben. Zu einer guten und umfassenden Beratung gehört auch immer schon, dass sich das pharmazeutische Personal, das die Medikamente ausgibt, nach der individuellen Situation des Patienten erkundigt. Dann folgen unter anderem Hinweise zu Art, Dauer und Häufigkeit der Arzneimittelanwendung sowie zu potentiellen Risiken, die relevante Neben- und Wechselwirkungen und Kontraindikationen umfassen. Darüber hat sich bis dato noch kein Ärzteverband beschwert – es scheint vielmehr so, als seien diese Beratungsleistungen erst jetzt ein Stein des Anstoßes, da sie intensiviert und auch zusätzlich honoriert werden sollen.
Von Beginn an gab es einen Aufschrei der Ärzteschaft, die pharmazeutischen Dienstleistungen würden besser vergütet als die Beratungsleistung durch den Arzt. Doch die Honorierung wurde genau von diesem Ärztesatz abgeleitet und sogar noch deutlich reduziert, da die Dienstleistungen teilweise – bei der Aufnahme der Patientendaten etwa – auch von PTA erbracht werden dürfen. Und zur Frage im Dokument der hessischen Ärztekammer, ob es denn noch um den Patienten oder nur noch ums Geld verdienen geht, diesen Ball kann man trefflich wieder zurückspielen.
Corona-Testungen der Patienten in Pandemiezeiten zu verweigern, weil man unsicher ist, ob man dafür auch das Geld bekommt, spricht doch eine ganz eindeutige Sprache, nicht wahr? Und das, obwohl auch hier vor nicht allzu langer Zeit eine große Empörungswelle von seiten der Ärzte durchs Land ging, dass die Testungen eine originär ärztliche Tätigkeit seien. Die Apotheken testen weiter, trotz Unsicherheiten. Eben weil ihnen das Wohl der Patienten am Herzen liegt.
Und wie geht es nun weiter mit der unschönen Auseinandersetzung zwischen den beiden verwandten Berufsgruppen? Ist Entspannung in Sicht? Nicht, wenn es nach den Vertretern der hessischen Ärzteschaft geht. Diese scheinen vielmehr zum Großangriff gegen die Pharmazeuten zu blasen. Die KV Hessen hat auf ihrer Website die Aktion des Hausärzteverbandes ausdrücklich begrüßt, das gegen die Apotheken gerichtete Dokument an die Hausarztpraxen zur Verteilung zu senden. Sie gehen dabei aber sogar noch einen Schritt weiter.
Nachdem die enge Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheke als schwerer Fehler bezeichnet wird, werden ihre Mitglieder zu folgenden Aktionen aufgefordert:
Es wird einerseits fälschlicherweise so dargestellt, dass jede Blutdruckmessung mit 11,20 Euro vergütet wird – und nicht nur die intensivierte Überwachung, die einmal alle 12 Monate durchgeführt werden darf und von der auch gar nicht klar ist, ob das Geld überhaupt ausgezahlt wird, wenn zu viele Apotheken diese pharmazeutische Dienstleistung anbieten. Andererseits wirkt das Blatt sogar wie eine Erpressung, denn es sollen die Apotheken mit dem Verlust des Sprechstundenbedarfs bedroht werden, wenn sie Kunden die neuen Dienstleistungen anbieten.
Bespitzelung, Verleumdung und Bedrohungen – ich hoffe, das ist nicht der Tenor, mit dem sich die beiden Berufsgruppen künftig begegnen werden. Denn sie sind tatsächlich, auch wenn die hessische KV davon weit abrückt, Schwesternkörperschaften, die sich gegenseitig unterstützen sollten. Es wäre schade und für das Patientenwohl unverzeihlich, würden jetzt im Gegenzug auch die Apotheken anfangen, kleinkrämerisch jeden Fehler der Hausärzte in ihrer Umgebung zu dokumentieren und weiterzuleiten. Auf einen solchen Kleinkrieg sollten sich weder Hausärzte, noch die Apotheken vor Ort einlassen.
Wenn die Verbände aufeinander einhacken wie eifersüchtige Hühner, ist das doch schon schlimm genug. „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“ – es wäre für alle Beteiligten das Beste.
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