Künstliche Süßungsmittel wie Aspartam sind überall. Eine Studie geht nun der heftig diskutierten Frage auf den Grund: Erhöht der Verzehr tatsächlich das Krebs-Risiko?
Zu viel Zucker ist ungesund, das weiß jedes Kind. Gewichtszunahme, Karies und Diabetes – es gibt genügend Gründe, eine übermäßige Zuckeraufnahme zu meiden. Wenn es nur nicht so lecker wäre … kalorienbewusste Personen, die auf Süßes nicht verzichten mögen, greifen dementsprechend gerne zu den entsprechend vermarkteten Light-Versionen von Soft-Drinks und Süßspeisen. Durch den Einsatz künstlicher Süßstoffe wie Aspartam, Sucralose und Acesulfam K kann das Verlangen nach Süßem gestillt werden, ohne dass es in der Kalorienzahl zu Buche schlägt (so zumindest die Idee). Doch auch in traditionell ungesüßten Produkten, wie Kartoffelchips, lassen sich Süßungsmittel inzwischen finden.
Die künstlichen Süßstoffe stehen dabei durchaus in der Kritik: Beispielsweise könnten sie durch eine appetitsteigernde Wirkung die Entstehung von Übergewicht begünstigen; auch eine Beeinträchtigung der Darmflora bei häufigem Verzehr wird diskutiert. Studien brachten die Süßstoffe auch mit einem erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes in Verbindung. Zweifelsfrei belegt sind diese Zusammenhänge jedoch nicht.
Ist die Rede von künstlichen Stoffen, steht schnell das Wort mit K im Raum. Ob die Süßstoffe tatsächlich das Krebs-Risiko erhöhen, ist ebenfalls nicht eindeutig belegt. Experimentelle Studien in Zellkulturen oder Tiermodellen lieferten zwar insbesondere für Aspartam entsprechende Hinweise (wenn auch nicht unumstritten), robuste epidemiologische Daten fehlen allerdings bisher. Daher versuchte nun ein Forscherteam der Universität Paris, Klarheit zu schaffen.
Als Grundlage für ihre Untersuchung nutzten sie Daten von 102.865 Probanden der populationsbasierten NutriNet-Santé-Kohorte. Die Teilnehmer gaben im Zeitraum von 2009 bis 2021 in regelmäßigen Abständen von 6 Monaten umfassende Auskünfte zu Gesundheitszustand, soziodemographischen Charakteristika, Lifestyle und Ernährung.
Die Informationen zur Ernährung wurden durch 24-Stunden-Ernährungstagebücher erhoben, in denen alle Lebensmittel und Getränke angegeben wurden, die die Probanden konsumiert hatten. Aus den Informationen zu Portionsgrößen und Markennamen von industriellen Produkten konnten Daten zur qualitativen und quantitativen Süßstoff-Aufnahme ermittelt werden.
Die Studienteilnehmer waren in der überwiegenden Mehrheit Frauen (78,5 %). Das mittlere Alter betrug zu Beginn der Studie 42,2 Jahre. 36,9 % der Teilnehmer gaben an, künstliche Süßstoffe zu sich genommen zu haben. Im Vergleich zu den Nicht-Konsumenten war die Gruppe der Konsumenten weniger körperlich aktiv, umfasste mehr Raucher und hatte eine höhere Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Typ-2-Diabetes. Ihre Ernährung zeichnete sich weiterhin durch eine geringere Aufnahme von gesättigten Fettsäuren, Ballaststoffen, Obst und Gemüse aus sowie eine höhere Aufnahme von Natrium, Zucker und Milchprodukten.
Den größten Anteil am gesamten Süßstoff-Konsum hatte Aspartam (58 %), gefolgt von Acesulfam K (29 %) und Sucralose (10 %). Sie wurden von jeweils 28 %, 34 % und 14 % der Studienteilnehmer verzehrt, hauptsächlich in Form zuckerfreier Softdrinks (53 %), Tafelsüßen (29 %) und künstlich gesüßten Joghurts (8 %). Dabei überschritten die Probanden mit wenigen Ausnahmen aber nicht die erlaubten Tagesdosen (Aspartam: 40 mg/kg KG, Acesulfam K: 9 mg/kg KG, Sucralose: 15 mg/kg KG). Ko-Konsum verschiedener Süßstoffe kam häufig vor. Der Anteil derer, die alle drei Hauptstoffe zu sich nahmen, war mit 7,1 % allerdings gering.
Im durchschnittlichen Follow-Up-Zeitraum von 7,7 Jahren (708.905 Personenjahre) wurden insgesamt 3.358 neu aufgetretene Krebsfälle diagnostiziert, davon 982 Fälle von Brustkrebs und 403 von Prostatakrebs. Das durchschnittliche Alter bei der Diagnose lag bei 59,5 Jahren.
Verschiedene bekannte Risikofaktoren, u. a. Alter, Geschlecht, BMI, Raucherstatus, Diabetes und auch Ernährungsfaktoren wie der Zuckerkonsum wurden von den Forschern in der Auswertung berücksichtig. Nach der statistischen Korrektur fiel auf, dass diejenigen, die höhere Mengen Süßstoff verzehrten (> 19 mg/Tag bei Frauen, > 17,44 mg/Tag bei Männern), im Vergleich zu Nicht-Konsumenten ein leicht erhöhtes Risiko für Krebs hatten (HR = 1,13, 95 % CI 1,03–1,28). Insbesondere galt dies für Aspartam (HR = 1,15, 95 % CI 1,03–1,28) und Acesulfam (HR = 1,13, 95 % CI 1,01–1,26). Für Sucralose konnte kein statistisch signifikanter Zusammenhang festgestellt werden.
Aufgeschlüsselt nach Krebsarten ergab sich ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs bei Konsum von Aspartam (HR = 1,22, 95 % CI 1,01–1,48) und ein erhöhtes Risiko für Krebsarten, die im Zusammenhang mit Übergewicht stehen, wie beispielsweise Kolorektalkarzinome oder Magenkrebs (HR 1,13, 95 % CI 1,00–1,28; bei Aspartam: HR = 1,15, 95 % CI 1,01–1,32). Für Prostatakrebs konnte keine Assoziation gefunden werden. Auch diejenigen, die wenig Süßstoff konsumiert hatten, hatten ein leicht erhöhtes Krebsrisiko im Vergleich zu Nicht-Konsumenten. Für das Krebsrisiko machte es auch keinen Unterschied, ob nur einer oder 2 bis 3 verschiedene Süßstoffe konsumiert wurde.
„Unsere Ergebnisse sprechen nicht für die Verwendung von künstlichen Süßstoffen als sichere Alternative zu Zucker in Lebensmitteln oder Getränken und liefern wichtige und neue Informationen, um die Kontroversen über ihre potenziellen gesundheitsschädlichen Auswirkungen zu klären“, stellen die Autoren abschließend fest. Sie verweisen allerdings darauf, dass die Studie keine direkte Kausalität nachweisen könne und weitere Störfaktoren nicht ausgeschlossen werden könnten. Auch seien die Ergebnisse nicht unbedingt auf die Allgemeinheit extrapolierbar; die Kohorte unterschied sich deutlich von der Durchschnittsbevölkerung. Die Studienergebnisse müssten nun durch andere große Kohorten bestätigt werden, fordern die Forscher. Im Zusammenhang mit der laufenden Neubewertung künstlicher Süßstoffe durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit seien diese Ergebnisse trotzdem von Bedeutung.
Auch nicht beteiligte Wissenschaftler äußerten sich zu der Studie. Dr. Michael Jones, leitender Wissenschaftler im Bereich Genetik und Epidemiologie am Institute of Cancer Research London, verweist auf die inkonsistente Dosis-Wirkungs-Beziehung: „Bei einigen Ergebnissen war das Krebsrisiko in der niedrigeren Verbrauchergruppe höher als in der höheren Verbrauchergruppe, obwohl die höheren Verbraucher einen zehnmal höheren Gesamtverbrauch an künstlichen Süßungsmitteln meldeten als die niedrigeren Verbraucher.“ Dies deute darauf hin, dass das Krebsrisiko womöglich eher an der Art Person hänge, die viel Süßstoff konsumiert, als am Süßstoff selber.
Prof. Tom Sanders, emeritierter Professor für Ernährung am King’s College London, erinnert auch daran, dass in epidemiologischen Studien aus den USA bislang kein Zusammenhang zwischen Süßstoffkonsum und Brustkrebs nachgewiesen werden konnte – obwohl dort der Konsum von Süßstoffen deutlich höher sei als in Frankreich.
Wäre es besser gewesen, wenn die Probanden doch lieber klassisch mit Zucker gesüßte Produkte gegessen und getrunken hätten? Unwahrscheinlich. Die gleiche Forschergruppe zeigte in einer vorangegangenen Studie der gleichen Kohorte bereits, dass auch der Verzehr von Zucker mit erhöhtem Krebsrisiko assoziiert war (HR = 1,17, 95 % CI 1,00–1,37 für das 4. Quartil). Passend dazu zeigt auch eine Subgruppenanalyse in der aktuellen Studie, dass es keinen Unterschied für das Krebsrisiko machte, ob die Probanden viel Süßstoff, aber dafür wenig Zucker, oder umgekehrt viel Zucker, aber keinen Süßstoff zu sich nahmen.
Dr. Duane Mellor, Ernährungsberaterin an der Aston University und nicht an der Studie beteiligt, kommentiert: „Die ideale Antwort ist wahrscheinlich, von beidem wegzukommen.“ Auf süße Softdrinks zu verzichten und von heute auf morgen komplett auf Wasser umzusteigen, sei für viele Patienten aber keine beliebte Gesundheitsbotschaft. „Vielleicht wäre also ein schrittweiser Ansatz besser, bei dem man versucht, den Zuckergehalt stetig zu reduzieren und gegebenenfalls kleine Mengen von Süßstoffen nur als kurzfristige Maßnahme oder als Sprungbrett zu verwenden, um schließlich die Aufnahme von Zucker und Süßstoffen zu verringern.“
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