Die ersten zwei Wochen einer Schwangerschaft sind oft entscheidend für die Entwicklung des Embryos. Genau diese Phase ist aber in der Foschung nur schwierig darzustellen. Ergebnisse aus einem Tiermodell könnten genau hier künftig weiterhelfen.
„Es ist nicht die Geburt, die Hochzeit oder der Tod, sondern die Gastrulation, welche in Wirklichkeit der wichtigste Zeitpunkt in deinem Leben ist.“ Diese Aussage wird dem berühmten Entwicklungsbiologen Lewis Wolpert zugeschrieben und bezieht sich auf einen komplexen Prozess in der frühen Entwicklung eines Embryos. Eine Gruppe von Entwicklungs- und Stammzellbiologen aus Großbritannien, Deutschland und Japan hat in einer jetzt veröffentlichten Studie die molekulare und räumliche Organisation der Gastrulation bei Primaten untersucht und die biochemischen Signale identifiziert, die die Entstehung der grundlegenden Körperstrukturen im Embryo steuern. Die Erkenntnisse tragen dazu bei, Missbildungen und Fehlgeburten beim Menschen zu verstehen.
Die Gastrulation ist ein hochkomplexer Strukturierungs- und Differenzierungsprozess in der frühen Embryonalentwicklung. Dabei werden aus unspezialisierten Zellen die Grundtypen von Zellen und Geweben angelegt, aus denen ein vollständiger Organismus besteht. Ohne Gastrulation könnten sich weder ein Gehirn, noch eine Leber oder ein Herz entwickeln. Die Gastrulation ist also der entscheidende Schritt von einer unspezialisierten befruchteten Eizelle hin zu einem vollständigen Organismus – mit all seinen unterschiedlichen Zelltypen und Geweben, die sich im Zuge der Embryonalentwicklung immer wieder nach einem genetisch gesteuerten Programm in einer faszinierenden Weise zu einem Lebewesen anordnen. Bislang war es jedoch nicht möglich, die Vorgänge dieses Prozesses im Mutterleib zu verfolgen.
In der aktuellen Arbeit, an der auch Forscher des Deutschen Primatenzentrums – Leibniz-Institut für Primatenforschung beteiligt waren, wurden Embryonen des Weißbüschelaffen während der Phase der Einnistung in die Gebärmutterschleimhaut untersucht. Das Team arbeitete mit dieser Affenart, da die Tiere dem Menschen in ihrer frühen Embryonalentwicklung sehr viel ähnlicher sind als beispielsweise Mäuse oder Schweine.
Durch eine Kombination modernster molekularer und mikro-anatomischer Methoden konnten die Wissenschaftler die anatomische Struktur, die Gewebetypen und die jeweilige aktuelle Genexpression in den Geweben der Embryos in sehr hoher räumlicher Präzision bestimmen. „Unsere Ergebnisse sind wissenschaftlich von großer Bedeutung, da wir neue Einblicke in die Regulation der Entwicklungsfähigkeit sowie in die Lokalisation von embryonalen Alleskönnerzellen bei Primaten gewinnen konnten“, sagte Rüdiger Behr, einer der Autoren der Studie.
Gewebe von Embryos ist schwer zu bekommen, es ist jedoch sowohl für die Testung von Medikamenten auf ihre mögliche Giftigkeit für den Embryo als auch für Therapien, bei denen aus Stammzellen Körpergewebe generiert wird, wie beispielsweise bei der Parkinson-Krankheit, von großer Bedeutung. „Unsere Studie liefert wichtige Erkenntnisse, um Embryonen-ähnliches Gewebe im Labor herzustellen“, sagt Rüdiger Behr.
„Diese Studie wird für künftige Arbeiten über die frühe Embryonalentwicklung und die embryonalen Ursprünge von Krankheiten wegweisend sein“, sagt Thorsten Boroviak, Wissenschaftler an der University of Cambridge und einer der Autoren. Insbesondere die zweite Woche der Schwangerschaft ist entscheidend für die Entwicklung eines Embryos. Fehler, die in dieser Phase passieren, sind Hauptursachen für Fehlgeburten und angeborene Missbildungen. Ausgerechnet diese Phase konnte bislang jedoch kaum erforscht werden, da im Labor künstlich befruchtete Embryonen spätestens am siebten Tag in die Gebärmutter eingebracht werden, damit sie sich normal entwickeln können. Zudem können Embryonen des Menschen in der Gebärmutter aus ethischen und rechtlichen Gründen nicht molekularbiologisch untersucht werden.
Die in dieser Studie von den Forschern entwickelte Methode erlaubt es, die molekularen Signale, die die Bildung der Körperachse während der Einnistung des Embryos in die Gebärmutter auslösen, zu untersuchen. „Unsere virtuelle Rekonstruktion zeigt die Entwicklung des Embryos und seiner Gewebe sowie ihre entsprechenden Genaktivitäten in den Tagen nach der Implantation in die Gebärmutter in unglaublicher Detailschärfe“, sagt Boroviak.
In Zukunft wollen die Wissenschaftler die neuen Erkenntnisse nutzen, um die Ursachen von Schwangerschaftskomplikationen und Fehlbildungen mit Hilfe von Stammzellmodellen im Labor zu untersuchen und um die Herstellung von Geweben aus Stammzellen als Ersatz für degeneriertes Gewebe bei Patienten weiter zu optimieren.
Dieser Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung des Deutschen Primatenzentrums GmbH (DPZ). Die Originalpublikation findet ihr hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Ali Kazal, unsplash