Eine Kopfverletzung kann noch lange Probleme machen. Eine US-Studie zeigt, dass Schädel-Hirn-Traumata das Risiko für schwere Folgeerkrankungen wie Schlaganfälle und Demenz, aber auch für Diabetes und Hypertonie erhöhen.
Eine prospektive longitudinale Kohortenstudie aus Boston untersuchte prospektiv potenzielle Langzeitfolgen von Schädel-Hirn-Traumata (SHT) bei zuvor gesunden Menschen. Man nutzte dazu Registerdaten eines akademischen medizinischen Zentrums (MGB Research Patient Data Registry, RPDR) und konnte so im Gegensatz zu früheren Untersuchungen Personen mit präexistenten Komorbiditäten von der Analyse ausschließen. Patienten ab 18 Jahren, die ein leichtes oder moderates bis schweres SHT erlitten hatten, wurden über zehn Jahre prospektiv nachbeobachtet. Dabei wurden die Inzidenzen von 21 Erkrankungen in vier Organsystemen ermittelt und mit Kontrollen verglichen.
Dazu gehörten kardiovaskuläre Erkrankungen bzw. Risikofaktoren (z. B. Bluthochdruck, Hyperlipidämie, Adipositas, koronare Herzerkrankung), endokrine Störungen (z. B. Diabetes mellitus, Schilddrüsen-, Hypophysen- und Nebennierenfunktion, erektile Dysfunktion), neurologische Erkrankungen (z. B. Schlaganfall, Krampfanfälle, Demenzen) sowie psychiatrische Erkrankungen (z. B. Depressionen, Psychosen, Angst- und Schlafstörungen, Suizidalität, Substanzmissbrauch, z. B. von Schmerzmitteln/Opioiden, Alkohol).
Zu Vergleichszwecken wurden Kontrollpersonen, die kein SHT erlitten hatten, herangezogen und nach Alter, Geschlecht und anderen Merkmalen mit den SHT-Betroffenen gematcht. Die Erkrankungen waren nach den internationalen Klassifikationen ICD-9 oder ICD-10 definiert.
Insgesamt konnten in drei Gruppen je 4.351 Personen eingeschlossen und analysiert werden: Betroffene mit leichtem SHT (medianes Alter 45 Jahre), mit mittlerem bis schwerem SHT (medianes Alter 47 Jahre) und nicht-exponierte Kontrollen (medianes Alter 46 Jahre). In jeder Gruppe waren ca. 45 % der Teilnehmer weiblich. Patienten beider SHT-Gruppen hatten gegenüber der Kontrollgruppe ein signifikant höheres Risiko für kardiovaskuläre, endokrine, neurologische und psychiatrische Erkrankungen. So war das Hypertonie-Risiko mehr als doppelt so hoch (leichtes SHT: Hazard Ratio, HR 2,5 und moderat/schweres SHT: HR 2,4), das Diabetesrisiko war in beiden SHT-Gruppen ebenfalls fast verdoppelt (HR jeweils 1,9), das Schlaganfallrisiko nahm signifikant zu (HR 2,2 bei leichtem SHT und HR 3,6 bei moderat/schwerem SHT) und das Demenz-Risiko vervierfachte sich (HR 3,8 bei leichtem SHT und HR 4,2 bei moderat/schwerem SHT).
Patienten mit moderatem bis schwerem SHT hatten sogar ein gegenüber der Kontrollgruppe signifikant höheres 10-Jahres-Mortalitätsrisiko: In dieser Gruppe verstarben 432 Personen (9,9 %) gegenüber 250 Todesfällen (5,7 %) in der Kontrollgruppe. Dabei waren Hypertonie und Diabetes (je HR 1,3), koronare Herzerkrankung (HR 2,2) und Nebennieren-Insuffizienz (HR 6,2) mit einer höheren Mortalität assoziiert.
Nach Ansicht des Autorenteams sind die möglichen Erklärungen für die Zunahme der Risiken und beschriebenen Folgeerkrankungen nach einem SHT sehr komplex. So könnten veränderte Verhaltensgewohnheiten bzw. Lifestyle-Faktoren eine Rolle spielen, wie z. B. eine reduzierte körperliche Aktivität, ungesunde Ernährung, Schlafstörungen, regelmäßige Schmerzmitteleinnahme oder vermehrter Alkoholkonsum. Denkbar sind auch Einflüsse entzündlicher und immunologischer Prozesse bis hin zu einer veränderten Darmflora (z. B. nach Klinikaufenthalt oder durch Medikamente).
„Die wesentliche neue Erkenntnis der Studie ist, dass zuvor gesunde Erwachsene nach einem Schädel-Hirn-Trauma, egal welchen Schweregrades, auch ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre und endokrine Folgeerkrankungen zu haben scheinen, und das in allen Altersgruppen. Bisher war nur bekannt, dass nach einem SHT das Risiko für neurologische und psychiatrische Erkrankungen steigt“, kommentiert Prof. Hans-Christoph Diener, Essen, Pressesprecher der DGN.
Prof. Peter Berlit, DGN-Generalsekretär, verweist auf die Limitationen dieser Studie. So handle es sich um eine reine Assoziationsstudie. Verzerrungs- und Störfaktoren wie beispielsweise untererfasste präexistente psychiatrische Erkrankungen seien gerade bei monozentrischen Daten nicht sicher auszuschließen. Der sozioökonomische Status beispielsweise wurde gar nicht berücksichtigt.
„Dennoch liefert die Studie Signale, die ernst genommen werden müssen. Menschen mit Schädel-Hirn-Trauma sollten um diese Risiken wissen und konsequent auf eine gesunde Lebensweise zu achten, um das persönliche Diabetes-, Bluthochdruck- und Schlaganfallrisiko zu senken“, betont Berlit. „Auch sollten sie sich alle zwei Jahre hausärztlich untersuchen lassen, um zunächst symptomlose Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.“
Dieser Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Die Originalpublikation findet ihr hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Carolina Heza, unsplash