Zellbiologen konnten die Struktur von Bactofilin aufklären – einem wichtigen Element des bakteriellen Zytoskeletts. Bactofilin verleiht beispielsweise Helicobacter-Bakterien die Schraubenform, durch die sie sich in die Magenschleimhaut bohren und dort Geschwüre auslösen können.
Bakterien galten lange als äußerst primitive Lebensformen – sie sind im Vergleich zu den Zellen höherer Lebewesen viel kleiner und erscheinen unter dem herkömmlichen Lichtmikroskop weitgehend unstrukturiert. Doch seit Zellbiologen mit modernen bildgebenden Verfahren zu immer feineren Strukturen vordringen können, wird klar, dass die Winzlinge in Wahrheit von komplexen Architekturen durchzogen sind. Lange Zeit ging man davon aus, dass Bakterien über keinerlei stabilisierendes Zytoskelett verfügen, wie man es bei den moderneren Zellen der Tiere und Pflanzen findet. Inzwischen aber hat man nicht nur die analogen Elemente zu den bereits bekannten Zytoskelett-Bausteinen gefunden, sondern sogar Skelettelemente, die exklusiv im Reich der Bakterien vorkommen. Eines dieser neuen Elemente hat nun Adam Lange mit seinem Team in Zusammenarbeit mit der Gruppe um Martin Thanbichler von der Philipps-Universität Marburg genauer erforscht. Es handelt sich um das Protein Bactofilin, das 2010 von Martin Thanbichler entdeckt wurde und das weit verbreitet in verschiedenen Bakterienarten vorkommt. Beispielsweise bildet Helicobacter pylori mit Hilfe von Bactofilin seine typische schraubenförmige Gestalt aus. Die Bakterien können sich so in die schützende Schleimschicht der Magenschleimhaut bohren – sie sind hier vor der ätzenden Magensäure geschützt und verursachen einen Großteil der Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre beim Menschen.
Generell lagern sich Baktofilin-Moleküle zu Filamenten zusammen, aus denen dann wiederum unterschiedliche höhergeordnete Strukturen entstehen können. Ihre Polymerisierung findet auch im Reagenzglas statt, was die Strukturaufklärung zu einer besonderen Herausforderung macht, denn Proteine, die sich weder in Flüssigkeiten lösen lassen noch Kristalle bilden, sind mit den gängigen Methoden nur schwer zu untersuchen. Für die Strukturaufklärung des Bactofilins wandte Adam Lange daher die noch relativ neue Technik der Festkörper-NMR an, die in den letzten zehn Jahren so weit entwickelt wurde, dass man damit auch komplexe Biomoleküle untersuchen kann. NMR steht für „Nuclear magnetic resonance“, auf Deutsch Kernspinresonanz. Das Besondere an der Festkörper-NMR besteht darin, dass die Probe in einem starken Magnetfeld sehr schnell rotiert werden muss, um die Bewegungen gelöster Moleküle zu simulieren.
Mittels der NMR-Technologie fand Langes Team heraus, dass die einzelnen Bactofilin-Moküle sich spiralförmig zu einer sogenannten Beta-Helix aufdrehen und sich dann Molekül für Molekül zu Filamenten aneinanderreihen. Stabilisiert wird dieses Strukturmotiv durch wiederkehrende hydrophobe Bereiche, die in den Bactofilin-Molekülen evolutionär konserviert wurden. Die äußerst feinen Protofilamente können sich dann weiter zu dickeren Bündeln oder auch gewebeartigen Strukturen zusammenlagern. Eine solche Beta-Helix hat man bislang noch bei keinem anderen Zytoskelett-Element gefunden – dafür aber interessanterweise bei dem Prionen-Protein HET-s, das in Pilzen vorkommt. „Mit dieser Arbeit fängt für uns die Erforschung des Bactofilins erst an“, sagt Adam Lange. „Wir wollen nun die Struktur weiter bis ins atomare Detail verfeinern.“ Die Erforschung des bakteriellen Zytoskeletts bietet dabei nicht nur einen spannenden Einblick in die Formenvielfalt der evolutionär gesehen erfolgreichsten Gruppe der Organismen, sondern ist auch medizinisch relevant. Zunehmend werden Antibiotika gegen Krankheitserreger durch Resistenzen wirkungslos – so auch bei Helicobacter pylori, dem Verursacher der Magengeschwüre. „Da Bactofilin ausschließlich in Bakterien vorkommt, ist es ein interessanter Ansatzpunkt für die Entwicklung dringend benötigter neuartiger Wirkstoffe“, sagt Adam Lange. Originalpublikation: β-Helical architecture of cytoskeletal bactofilin filaments revealed by solid-state NMR Vasa S. et al.; PNAS, doi: 10.1073/pnas.1418450112; 2014