Die Therapie der Multiplen Sklerose ist nicht ganz einfach – besonders bei progredientem Verlauf ohne Krankheitsaktivität. Eine neue Therapie macht Hoffnung, aber die Forscher brauchen einen langen Atem.
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmunerkrankung mit zwei wesentlichen pathogenetischen Faktoren: autoimmunentzündliche Aktivität und Neurodegeneration. Während die entzündliche Aktivität im Verlauf der Erkrankung abnimmt, nehmen die neurodegenerativen Abbauprozesse im Krankheitsverlauf zu. Man spricht auch von einer sekundär chronisch progredienten MS.
Aktuell existieren viele hochpotente immunmodulatorische Therapien, um die entzündliche Aktivität der MS in Schach zu halten. Ist jedoch bereits ein progredienter und damit vorwiegend neurodegenerativer Verlauf eingetreten, gibt es nur wenige Therapien, bei denen ein Nutzen bewiesen werden konnte. Und das gilt allein für die progrediente MS mit entzündlicher Aktivität – sprich, wenn zusätzlich zum fortschreitenden Krankheitsverlauf weiterhin Schübe auftreten oder neue entzündliche Läsionen im MRT nachgewiesen werden können.
Ist dies nicht der Fall, spricht man von der progredienten MS ohne Krankheitsaktivität. In diesem Stadium der Erkrankung existieren keine Therapien, die den fortschreitenden Krankheitsverlauf bremsen können und die therapeutischen Möglichkeiten sind auf symptomatische Therapien beschränkt.
Doch eine Gruppe mittlerweile gut erprobter Medikamente aus dem Bereich der Onkologie könnten dies bald ändern. Die Rede ist von den Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren (BTKi). Die Bruton-Tyrosinkinase (BTK) ist ein Enzym, welches eine wesentliche Rolle bei der Reifung von B-Lymphozyten spielt. Nicht verwunderlich also, dass dessen Hemmung einen interessanten Therapieansatz bei B-Zelllymphomen darstellt. So konnte erstmals 2007 Ibrutinib, ein irreversibler BTKi, synthetisiert werden. 2013 erfolgte dann die Zulassung zur Therapie der chronischen lymphatischen Leukämie und des Mantelzelllymphoms, später dann auch für den Morbus Waldenström.
Auch bei der MS spielen die B-Zellen eine wichtige Rolle in der Pathogenese. Einige der potentesten MS-Therapien beruhen auf einem B-Zell depletierenden Effekt, wie etwa die Stufe-3-Therapeutika Ocrelizumab oder Ofatumumab. Schon 2011 gelang Forschern der Nachweis, dass BTK-Inhibitoren auch eine positive Wirkung auf die MS-Erkrankung haben – zumindest im Tiermodell.
Doch das klassische Mausmodell der MS hat einen Haken: Es bildet eher die schubförmige, aktive MS ab und ist somit schwer auf späte, progrediente MS-Verläufe beim Menschen zu übertragen. Ein neueres Mausmodell, welches die progrediente Verlaufsform abbildet, soll dieses Problem nun beheben. Auf der diesjährigen ACTRIMS (Americas Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis) wurden vielversprechende Ergebnisse einer BTK-Inhibitor-Studie mit Evobrutinib vorgestellt. Anhand des neuen Mausmodells konnte gezeigt werden, dass Evobrutinib zu einer signifikanten Abnahme der Krankheitsschwere führte. Außerdem konnte eine Reduktion der entzündlichen Aktivität und der Demyelinisierung nachgewiesen werden.
Seit 2020 versucht man, an die Erfolge der Tierversuche anzuknüpfen. Aktuell laufen mehrere große Phase-II- und III-Studien mit verschiedenen BTK-Inhibitoren. Die Studien konzentrieren sich sowohl auf schubförmige Verläufe als auch primär und sekundär progrediente Verläufe, mit sowie ohne Krankheitsaktivität.
Die ersten Ergebnisse der Phase-II-Studien hatten zumindest bei schubförmigen Verlaufsformen eine Reduktion neuer MRT-Läsionen um bis zu 89 % gezeigt, womit sie der Wirksamkeit nach zu den Stufe-3-Therapien gezählt werden können. Die ersten Ergebnisse der aktuellen Phase-III-Studien diesbezüglich werden noch dieses Jahr erwartet. Die deutlich langsamer verlaufende progrediente MS macht es den Forschern nicht einfach. Therapieerfolge können erst nach längerer Zeit richtig bewertet werden. Daher sind diese Studien teilweise bis ins Jahr 2028 angelegt. Wir werden uns also noch einige Zeit gedulden müssen, bis die ersten Ergebnisse zur Anwendung von BTK-Inhibitoren bei der progredienten MS veröffentlicht werden.
Therapeutisch bieten die BTKi jedenfalls einige Vorteile gegenüber den etablierten Stufe-3-Therapeutika. Bei den bislang zur Verfügung stehenden Arzneien handelt es sich um monoklonale Antikörper (-mab), die aktuell nur als Injektionsformen verfügbar sind. Die BTK-Inhibitoren können auch oral verabreicht werden, was für einen Großteil der Patienten deutliche Vorteile bietet. Außerdem können BTKi die Blut-Hirn-Schranke überwinden und so auch auf die Mikroglia wirken, denen man bei der progredienten MS eine wichtige Rolle zuschreibt. Andererseits könnten so auch gefürchtete Komplikationen wie die progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) auftreten. Bislang wurden jedoch meist nur geringere Nebenwirkungen, wie etwa ein Leberwertanstieg, beobachtet.
Es bleibt also abzuwarten, ob die BTK-Inhibitoren halten, was sie versprechen. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend, beziehen sich aber bislang nur auf die schubförmige MS. Ob auch progrediente MS-Patienten von der neuen Therapie profitieren können, wird sich erst in den kommenden Monaten und Jahren zeigen.
Bildquelle: Sharon McCutcheon, Unsplash