Hat die aufwendige Diagnostik von Parametern in Blut und Urin bald ausgedient? Einfache Analysegeräte zur Untersuchung des Atems könnten etablierten Diagnoseverfahren den Rang ablaufen. Ein Überblick über das Forschungsfeld der Atemanalyse.
„Ich fühle mich in letzter Zeit so abgeschlagen, obwohl ich ausreichend schlafe. Woran kann das liegen?“ „Das werden wir gleich wissen. Pusten Sie doch bitte einmal kräftig in dieses Röhrchen hier.“ Wenige Sekunden später: „Ah ja, hier haben wir den Auslöser: Eisen- und Vitamin D-Mangel. Das bekommen wir schnell wieder in den Griff ...“ Im Moment ist ein Diagnoseverfahren über die Atemluft noch Zukunftsmusik, Atemforscher arbeiten jedoch mit Hochdruck daran, diese Technik bald für Routineanwendungen verfügbar zu machen. Wo Patienten und Ärzte bisher auf Laborwerte warten mussten, könnte dann ein unscheinbarer Kasten stehen, aus dem ein kleiner Schlauch ragt. Einmal tief Luft holen, in einen kleinen Schlauch pusten und schon analysiert ein kleines, portables Gerät alle gewünschten Metaboliten in der ausgeatmeten Luft. Dazu gehören auch viele Medikamente und deren Abbauprodukte, die den Körper über die Nieren oder zu einem geringen Teil auch über die Lunge und die Atemluft verlassen.
Bisher liefern vor allem Blut und Urin die nötigen Marker, um Krankheiten zu diagnostizieren oder Prognosen über einen Krankheitsverlauf treffen zu können. Auch in der Atemluft gibt es Biomarker. „Hier handelt es sich allerdings nicht um eine einzelne Substanz, sondern um ein Substanzgemisch – als wenn man das Bukett von einem Wein riecht“, erklärt Prof. Dr. Renato Zenobi, Leiter des Labors für organische Chemie der ETH Zürich. Zenobi und seine Kollegen arbeiten daran, die einzelnen Geruchskomponenten im menschlichen Atem zu identifizieren. Diese können Ärzte dann in ihre Diagnose einbeziehen, selbst wenn sie nur in äußerst geringen Konzentrationen vorliegen.
Hunde und Ratten konnten bereits derart trainiert werden, dass sie bestimmte Krankheiten wie ein Bronchialkarzinom erschnüffeln können. „Die Tiere stellen dabei relativ verlässliche Messergebnisse auf“, so Zenobi. Im Gegensatz zu Labormessgeräten können Tiere jedoch ermüden, Hunger oder schlichtweg keine Lust haben, Menschen bei der Diagnose einer Erkrankung behilflich zu sein. „Wir versuchen dieses Prinzip auf eine instrumentelle Basis zu stellen, die immer verlässlich funktioniert“, erklärt der Atemforscher.
„Bisher ist das zwar noch Zukunftsmusik“, so Zenobi, „doch das grundsätzliche Messprinzip steht bereits.“ Alle ausgeatmeten Substanzen können bereits heute gemessen werden. Das große Problem liegt darin, den Messwerten einen Sinn zu geben, denn viele der detektierten Signale können bisher noch nicht identifiziert werden. „Hier müssen wir noch viel Hintergrundarbeit leisten“, so Zenobi.
Die Atemanalysen werden mit Massenspektrometern durchgeführt. Um diese Technik in einer Arztpraxis oder einer Klinik zu etablieren, darf das Gerät nicht weniger leistungsfähig sein, muss dafür aber wesentlich einfacher zu bedienen sein. „Wenn man 100 Knöpfe hat, an denen man drehen kann, ist das für den Routineeinsatz viel zu kompliziert“, erklärt Zenobi. Außerdem muss das Messresultat einfach zu interpretieren sein. „Denn das Gerät soll ja Aufschluss darüber geben, ob der Patient an einer bestimmten Erkrankung leidet oder nicht.“ Wo heute ein recht kompliziertes Spektrum als Messergebnis steht, soll in Zukunft eine klare Aussage in Bezug auf eine Erkrankung erkennbar sein. Um diesen Schritt technisch umzusetzen, hoffen die Forscher auf eine geeignete Industriekooperation. „Wir versuchen unser Messverfahren den wichtigsten Geräteherstellern schmackhaft zu machen“, erläutert Zenobi den Stand der Dinge. Er ist sich sicher, dass sich für Atemanalyse-Geräte in Zukunft ein breiter Markt öffnen wird. Denn in der Datenauswertung läge kein großes Problem: „Man muss im Prinzip nur auf multivariable Statistik zurückgreifen, die bereits etabliert ist und lediglich an unsere spezielle Fragestellung angepasst werden müsste.“
Um potentielle Biomarker im menschlichen Atem zu identifizieren, muss außerdem klar sein, wie sich der physiologische, menschliche Atem zusammensetzt. Um das zu prüfen, haben Zenobi und sein Forscherteam bereits erste Atemanalysen an 11 Testpersonen durchgeführt. Die Messungen mit dem Massenspektrometer zeigten, dass sich der Atem bezüglich der darin enthaltenen flüchtigen Komponenten – in der Regel sind es Stoffwechselprodukte – individuell unterscheidet: Jeder Mensch hat einen charakteristischen „Fingerabdruck des Atems“, den die Forscher als „Breath-Print“ bezeichnen. Die Wissenschaftler um Zenobi untersuchten die Atemluft ihrer Probanden über einen Zeitraum von 11 Tagen in regelmäßigen Abständen. Ihre Messungen zeigten, dass das individuelle Atemmuster eines Menschen offenbar konstant bleibt – eine wichtige Voraussetzung, um Biomarker darin messen zu können. „Wir haben zwar geringe zeitliche Schwankungen im Tagesverlauf gesehen, das individuelle Muster bleibt jedoch konstant genug, damit es für die medizinische Anwendung brauchbar ist“, erklärt Pablo Martinez-Lozano Sinues aus der Forschungsgruppe von Zenobi. Würden Messungen nämlich im zeitlichen Verlauf stark schwanken, wären sie für die Krankheitsdiagnose unbrauchbar. Eine Stunde vor der Probenahme durften die Teilnehmer allerdings nichts essen, nicht rauchen, keine alkoholischen Getränke oder Kaffee trinken und auch nicht die Zähne putzen. Denn sonst würde das Messergebnis verfälscht werden. Ob der „Breath-Print“ wie ein echter Fingerabdruck auch lebenslang konstant bleibt, können die Wissenschaftler zum heutigen Zeitpunkt allerdings noch nicht sagen. Sich zunächst den Lungenkrankheiten zu widmen, liegt nahe, wenn es um Atemanalysen geht. Vor allem bei der Diagnose der chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) hat Prof. Zenobi mit seinem Team bereits gute Erfolge erzielt. Mit Hilfe der Atemanalyse ist es den Forschern beispielsweise gelungen, gesunde Raucher eindeutig von COPD-Patienten zu unterscheiden. Auch bei der richtigen Medikamentendosierung kann die Atemanalyse helfen. Mit einem massenspektrometrischen Verfahren konnten die ETH-Forscher direkt in der Atemluft die Abbauprodukte eines Epilepsie-Medikamentes messen - ein Schritt hin zu personalisierter Medizin.
„Die Atemluftanalyse bietet den Vorteil, dass sie nicht invasiv ist und ständig zur Verfügung steht. Das ist bei Blut und Urin nicht der Fall“, so Prof. Dr. Jörg Ingo Baumbach von der Fakultät Angewandte Chemie der Hochschule Reutlingen. Doch ganz so einfach ist eine Diagnosestellung mittels Atemanalyse dann doch nicht: „Die Biologie hat es leider nicht so eingerichtet, dass sich aus einer Substanz in der Atemluft genau auf eine Krankheit schließen lässt. So kann ein erhöhter Acetonwert beispielsweise ein Hinweis auf Diabetes sein. Oder auch einfach nur ein Zeichen, dass der Körper gerade Hunger hat“, weiß Prof. Baumbach. Denn wie manche Parameter im Blut oder im Urin, schwanken auch die Komponenten in der Ausatemluft bei einem gesunden Menschen im Tagesverlauf. Für jeden Cocktail ausgeatmeter Luft gebe es verschiedene Möglichkeiten als Ursache. Prof. Baumbach stellt einen Vergleich an: „Stellen Sie sich vor, ich öffne ihre Bürotür und strecke meinen hochroten Kopf herein. Das ist ein Biomarker, der auf einen drohenden Herzinfarkt hindeuten könnte. Sie greifen aber nicht sofort zum Telefon, um den Notarzt zu rufen, sondern ziehen noch eine andere Möglichkeit für das Auftreten des Biomarkers in Betracht: Vielleicht bin ich auch gerade nur die vier Stockwerke zu ihrem Büro nach oben gerannt, um meinen Termin nicht zu verpassen.“
Die Kunst der Atemanalyse bestehe darin, Signale exakt zu differenzieren. Wenn nun Asthmapatienten von Gesunden mittels Atemanalyse unterschieden werden sollen, muss zunächst geklärt werden, welche Signale in der Ausatemluft tatsächlich von der Erkrankung stammen und nicht etwa von einem Asthmaspray, erklärt Baumbach die Herausforderungen in der Praxis. So erhalten Asthmapatienten sehr häufig ein Medikament zur Inhalation, das die Atemanalysedetektoren erfassen können. „Bei einer solchen Untersuchung habe ich ja nicht die Kranken von den Gesunden unterschieden, sondern die Inhalierer von den Nicht-Inhalierern“, so Baumbach weiter.
Was bis vor wenigen Jahren noch zur Nischenforschung gehörte, hat sich mittlerweile zu einem eigenständigen Forschungsfeld etabliert. Im letzten Jahr war Baumbach Schirmherr der Internationalen Konferenz zur Atemanalyse, die 2014 bereits zum achten Mal stattfand. Auch ein eigenes Wissenschaftsjournal hat sich bereits bei den Atemluft-Forschern etabliert: das Journal of Breath Research. Neben der medizinischen Diagnostik könnte die Atemanalyse auch in anderen Bereichen das menschliche Leben bereichern. Prof. Baumann denkt dabei beispielsweise an einen Mundgeruch-Detektor, der anzeigt, inwieweit die Zahnbehandlung den müffeligen Atem vertreiben konnte. Auch beim natürlichen, morgendlichen Erwachen könnte ein Atemanalysegerät gute Dienste leisten. „Ein Forschungsgruppe aus Österreich hat herausgefunden, dass der Isoprengehalt in der Ausatemluft mit der Schlafphase zusammenhängt“, erklärt Baumann. Über die Atemluft ließe sich demnach auch steuern, genau dann geweckt zu werden, wenn man sich ohnehin in einer leichten Schlafphase befindet.