Freie Tests für alle? Fehlanzeige! Jetzt sollen die Bürger ihre Tests selbst bezahlen. Und die Apotheken können oft sogar die vulnerablen Gruppen nicht mehr testen. Ein Überblick zur aktuellen Lage.
Ende Juni ist die Zeit der kostenlosen Bürgertests für alle vorerst vorbei. Viele Apotheken werden sich vermutlich nun dazu entschließen, unter den neuen Voraussetzungen keine Tests mehr anzubieten und das Feld anderen zu überlassen. Zu viele Hürden sind im Weg und die Tests werden mit der kommenden Bürokratie nicht mehr für alle neben dem täglichen Apothekengeschäft stemmbar sein.
Was wird sich künftig ändern? Kostenlose Tests gibt es nur noch für bestimmte vulnerable Gruppen, nämlich:
Die Bundesregierung teilte dazu mit, dass alle Bürger zudem glaubwürdige Belege bei Zugehörigkeit zu einer der vulnerablen Gruppen vorlegen und in jedem Fall ihren Testanlass schriftlich begründen müssen. Wer sich auf Verdacht testen lassen möchte, weil er beispielsweise beruflich mit vielen Personen zu tun hat – also vielleicht Lehrer, Verkäufer oder Busfahrer ist, vorhat, eine Veranstaltung im Innenraum zu besuchen oder durch die Corona-App des RKI eine Warnung erhalten hat – der muss künftig für jeden Test einen Eigenanteil von 3 Euro bezahlen.
Hier haben wir direkt mehrere Probleme, mit denen sich die apothekenbetriebenen Teststationen nun auseinandersetzen müssen. Einmal muss es einen Platz geben, an dem die Menschen ihre schriftliche Begründung ausfüllen. Dort müssen Kulis bereitstehen, die zur Einmalnutzung gedacht sind, oder die nach jeder Benutzung desinfiziert werden. Und es muss auch jemand abgestellt werden, der die Menschen dabei unterstützt, dieses Formular auszufüllen – denn erfahrungsgemäß sind diese nicht immer so einfach formuliert, dass es jeder direkt versteht.
Ist das Formular ausgefüllt, muss es vor dem Test auch noch kontrolliert werden. Liegt ein Mutterpass vor? Befindet sich die Schwangere tatsächlich noch im ersten Trimester? Gibt es glaubhafte Belege dafür, dass sich im Haushalt des zu Testenden jemand mit Corona infiziert hat? Was braucht man dafür als Nachweis – zwei Personalausweise mit derselben Adresse? Was, wenn ein Arbeitskollege erkrankt ist, mit dem man sich den ganzen Tag ein Büro geteilt hat, ist man dann auch berechtigt? Und wie weist man das nach?
Viele Fragen, die aber nicht einfach übergangen werden dürfen. Denn mit dem Wechsel der Teststrategie hat die Bundesregierung auch verkündet, dass nun vermehrt die Teststationen überprüft und unter die Lupe genommen werden, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Man begibt sich also auf ganz schwieriges Terrain, verlässt man sich blind auf einen ausgefüllten Fragebogen und überprüft die Angaben dort nicht.
Wer nicht zur vulnerablen Gruppe gehört, sich aber trotzdem testen lassen möchte, der zahlt ab Juli also einen Eigenanteil von 3 Euro. Es sei denn, die Länder bieten sich an, diese – beispielsweise in Hotspots – zu übernehmen, um eine genauere Übersicht über den Ausbruch zu haben. Auch dürfen die Teststationen theoretisch hier eigene Preise machen und auf den Eigenanteil entweder verzichten, oder diesen reduzieren. Wer die Tests allerdings sorgfältig und gründlich durchführt, hat hier nichts zu verschenken. Profitieren werden von dieser Regelung vermutlich die Glücksritter, die bislang auch schon mit Aktionen wie „eine Packung Taschentücher und eine FFP2-Maske zu jedem Test“-Geschenken aufgefallen sind. Eben jene, bei denen ein Test darin besteht, ein Wattestäbchen für Bruchteile von Sekunden in den vorderen Nasenbereich zu stecken. Das Nachsehen werden die Teststationen haben, die ihre Testungen sorgfältig durchführen und die Eigenanteile kassieren.
Für Apotheken, die weiterhin Testungen durchführen, heißt das also: vermehrte Diskussionen, warum der Eigenanteil kassiert wird und zusätzlich das Problem, dass plötzlich an den Stationen mit Geld hantiert wird.
Die erhöhte Gefahr eines Überfalls, das Geldwechseln, das Desinfizieren von Kulis, die Hilfestellung beim Ausfüllen des Fragebogens und das Überprüfen der Berechtigung eines kostenlosen Tests wird es nötig machen, die Personalstärke in der Station aufzustocken. Außerdem gibt es weniger Geld für die Testung selbst, denn bisher hat der Bund 11,50 Euro je PoC-Test erstattet (8 Euro für den Abstrich und 3,50 Euro für das benötigte Material wie Testkits und Schutzkleidung). Ab Juli sind es nur noch 9,50 Euro (7 Euro für den Abstrich und 2,50 Euro für das Material). Wird ein Eigenanteil von den Bürgern getragen, dann werden nur noch 4 Euro für den Abstrich erstattet.
Das wird so für viele Apotheken nicht mehr leistbar sein, das kritisiert auch Tatjana Zambo, Präsidentin des Landesapothekerverbandes Baden-Württemberg. Sie befürchtet vor allem, dass sich viele Menschen gar nicht mehr testen lassen, denn die Hemmschwelle liegt natürlich höher, wenn die Tests in Zeiten hoher Inflationsraten selbst bezahlt werden müssen. „Aus Sicht des Infektionsschutzes – und das ist die Sicht, die wir Apotheker haben – ist die Entscheidung nicht nachvollziehbar.“ Das befürchtet auch unter anderem die Diakonie Niedersachsen, die die Kosten der Tests als nicht leistbar für Geringverdiener bezeichnet und für diese Gruppe andere Lösungen von der Politik fordert.
Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sieht diese Gefahr und ist mit der aktuellen Entscheidung offenbar nicht ganz glücklich. Doch scheiterte seine Idee, die Tests weiterhin für diejenigen kostenlos anzubieten, bei denen Verdacht auf eine Infektion besteht, die Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen betreten oder Großveranstaltungen in Innenräumen besuchen wollen an Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Dieser erklärte, dass das bisherige System, das etwa eine Milliarde Euro im Monat verschlungen hat, nicht dauerhaft finanzierbar sei: „Es kann nicht alles auf Dauer vom Bund gezahlt werden, weil unsere Möglichkeiten an Grenzen gekommen sind.“
Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) hält die Entscheidung, die Corona-Bürgertests mit Kosten für den Bürger zu verbinden, auch für die falsche Entscheidung. Sie äußerte sich direkt nach der Verkündung der neuen Strategie: „Ich halte diese Strategie auch im Hinblick auf einen möglicherweise schwierigen Herbst für falsch. Das Auslaufen der anlasslosen kostenlosen Bürgertests nimmt uns Sicherheit im Erkennen von Infektionen und bei der Unterbrechung von Infektionsketten.“
Die neue Verordnung tritt nach Verkündung im Bundesanzeiger in Kraft und endet mit Ablauf des 25. November 2022. Je nachdem wie hoch die Infizierten- und Hospitalisiertenzahlen in der Zwischenzeit angestiegen sind, wird sich zeigen, ob diese Teststrategie die richtige Entscheidung war. Die Teststationen, die dann allerdings ihre Arbeit angesichts des gestiegenen Personaleinsatzes wegen der überbordenden Bürokratie eingestellt haben, wird man nicht so schnell wieder zurückholen können.
Bildquelle: Maskmedicare Shop, unsplash