Mit Multipler Sklerose zu leben kann für Betroffene sehr belastend sein; verschiedene Health-Apps versprechen Besserung. Das IQWiG untersuchte nun, ob sie auch halten können, was sie versprechen – mit ernüchternden Ergebnissen.
Im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) untersuchten Wissenschaftler des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und der Medizinischen Hochschule Hannover, ob Mobile-Health-Anwendungen wie Apps Menschen mit multipler Sklerose (MS) bei der Bewältigung ihrer Krankheit helfen können.
Multiple Sklerose ist eine chronische, entzündliche, nicht heilbare Erkrankung, bei der das eigene Immunsystem Nervenbahnen in Gehirn und Rückenmark schädigt. Die Erkrankung beginnt meist im jungen Erwachsenenalter. Im Jahr 2015 waren in Deutschland ca. 240.000 Personen erkrankt. Bei etwa 85 Prozent der Betroffenen verläuft die Erkrankung anfangs schubweise mit beschwerdefreien Intervallen zwischen den akuten Krankheitsphasen; im späteren Krankheitsverlauf kommt es zu einer individuell chronisch fortschreitenden Verschlechterung der Erkrankung.
Der chronische, oft schubartige Verlauf, die körperlichen und psychischen Symptome, die Unsicherheit über den weiteren Verlauf und die teilweise auch mit Nebenwirkungen verbundene medikamentöse Therapien führen oft zu einer großen Belastung und Verunsicherung der betroffenen Personen.
mHealth-Anwendungen sind in der Regel Apps, die auf Smartphones oder Tablets installiert werden und die Patienten beim Selbstmanagement unterstützen sollen. Sie können beispielsweise ein Aufzeichnungssystem für persönliche Gesundheitsdaten beinhalten, den Informationsaustausch mit anderen Betroffenen unterstützen und an die Einnahme von Medikamenten erinnern. Sie können auch an Termine erinnern, zu körperlichen Aktivitäten auffordern oder Gesundheitsinformationen bereitstellen.
Einzelne mHealth-Anwendungen können von Ärzten per Rezept verordnet werden, die Kosten übernehmen dann die gesetzlichen Krankenkassen. Diese Apps werden als digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) bezeichnet und erfüllen bestimmte, vorwiegend technische Mindestanforderungen. Darüber hinaus gibt es einen großen Markt an oft kostenfreien Anwendungen, die beispielsweise über App-Stores heruntergeladen werden können.
Vor diesem Hintergrund stellte ein von MS-Betroffener beim IQWiG-ThemenCheck Medizin die Frage, ob die Nutzung von mHealth-Anwendungen zu einem besseren Selbstmanagement bei MS führen könne.
Die vom IQWiG beauftragten Wissenschaftler konnten elf randomisierte kontrollierte Studien in ihre Bewertung einschließen. Diese Studien untersuchten vor allem Anwendungen mit Erinnerungsfunktion und solche, die depressive Beschwerden lindern, sowie die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit verbessern sollen. Dabei stellte das Autorenteam fest, dass die vorhandenen Studien nicht sehr aussagekräftig sind und stufte auch das Verzerrungspotenzial für alle Studien als hoch ein.
Betroffene richten hohe Erwartungen an mHealth-Anwendungen. Der vorliegende HTA-Bericht (HTA = Health Technology Assessment) zeigt aber, dass die Evidenzbasis zum Nutzen von mHealth-Anwendungen zur Förderung des Selbstmanagements bei MS-Patienten unzureichend ist; ihre Wirksamkeit lässt sich daher (noch) nicht sicher beurteilen.
Dennoch setzt das Autorenteam Erwartungen in die Weiterentwicklung von Apps eines bestimmten Zuschnitts: So sieht es einen Anhaltspunkt dafür, dass Erinnerungs-Apps (Messaging-Apps) dabei helfen, im Alltag an die regelmäßige Einnahme von Medikamenten zu denken. Zudem gebe es einen Anhaltspunkt dafür, dass verhaltenstherapeutisch orientierte Online-Programme depressive Beschwerden lindern könnten.
Ob mobile Gesundheitsanwendungen Vorteile haben können, bleibt letztlich unklar. Beispielsweise bleibt offen, ob Apps helfen können, die mit einer MS-Erkrankung häufig einhergehenden körperlichen und geistigen Erschöpfungszustände zu lindern, die Konzentration zu verbessern, körperliche Aktivität zu unterstützen oder Arbeitsunfähigkeit zu vermeiden. Zudem untersuchten die vorliegenden Studien unerwünschte Wirkungen kaum.
Derzeit laufen aber weitere Studien zu dem Thema, sodass sich die Vor- und Nachteile der Anwendungen in einigen Jahren voraussichtlich besser beurteilen lassen werden.
Das abschließende Fazit lautet also: Für einen belastbaren Nutzennachweis von mHealth-Anwendungen bei MS reicht die derzeitige Datenlage nicht aus, weil die vorhandenen Studien wenig aussagekräftig sind. Die Wissenschaftler formulieren dennoch die Erwartung, dass Erinnerungs-Apps (Messaging-Apps) dabei helfen können, im Alltag an Verhaltensweisen zu denken, die für Betroffene wichtig sind (zum Beispiel die Einnahme von Medikamenten). Daneben verweisen sie darauf, dass verhaltenstherapeutisch orientierte Online-Programme depressive Beschwerden lindern könnten.
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung der Technischen Universität Dresden. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Jonas Leupe, unsplash.