Von Apothekern ersehnt, von Ärzten verhasst – die pharmazeutischen Dienstleistungen stoßen nicht nur auf Gegenliebe. Nachdem sich die ersten wilden Wogen geglättet haben, ist es Zeit für einen Blick auf die Details.
Sie werden durch die Apothekenvertreter gefeiert, als könnten sie alleine die Probleme der Vor-Ort-Apotheken lösen: die pharmazeutischen Dienstleistungen. Sie sind zweifellos ein wichtiger Baustein, um die Patientensicherheit zu stärken und sie sind es ganz besonders dann, wenn ihre Ergebnisse mit den Ärzten geteilt werden, die Diagnosen stellen und Therapien festlegen. Für die Ärztevertreter sind die pharmazeutischen Dienstleistungen aber offenbar vor allem eines – ein neuer Keil, der zwischen die Berufsgruppen der Ärzte und Apotheker getrieben wird und der ihr Verhältnis belastet.
Die Apotheker haben lange darauf gewartet. Als mit der Verabschiedung des Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetzes (VOASG) Ende 2020 klar war, dass verschiedene pharmazeutische Dienstleistungen künftig honoriert werden sollen, schwankte man zwischen Begeisterung über die Chance, sich im Gesundheitssektor weiterhin profilieren und von den Versendern absetzen zu können und der Skepsis, ob diese Dienstleistungen überhaupt bezahlbar sein würden. Die ABDA hatte 2019 nämlich noch ein Spartopf von 300 Millionen Euro gefordert, der sich dann im Laufe der Zeit auf 150 Millionen Euro halbiert hat.
Das ist doch auch noch ein ganz erkleckliches Sümmchen, mag man sich denken. Nur bedeuten die zusätzlichen Angebote natürlich auch einen gestiegenen Arbeits- und Personalaufwand. Und das für umgerechnet 7.800 Euro pro Apotheke im Jahr, bei einem ohnehin recht großen Personalmangel. Hier wird bereits befürchtet, dass es sich nur die großen Apotheken mit viel Personal leisten können, eben diese Dienstleistungen breit anzubieten. Bei den kleineren Apotheken, bei denen es personalmäßig schlechter aussieht, kämen die zusätzlichen Vergütungen so gar nicht erst an.
Doch betrachten wir zunächst einmal die Dienstleistungen an sich genauer. Könnten sie die Arzt-Apotheker-Patienten-Beziehungen wirklich so empfindlich stören?
Dienstleistung 1–3 dürfen dabei nur von Apothekern durchgeführt werden, die eine entsprechende Fortbildung absolviert haben. Blutdruckpatienten und Patienten, die Inhalativa erhalten, können auch von weiterem pharmazeutischen Personal betreut werden. Aufgrund möglicher noch fehlender Fortbildungen der Apotheker in den jeweiligen Spezialgebieten können demnach nicht alle pharmazeutischen Dienstleistungen in allen Apotheken sofort beginnen. Machen wir also weiter mit den Details der einzelnen Leistungen.
Die Leistungsbeschreibungen in Kürze (hier im Detail zum Nachlesen):
Zu 1: Apotheker, die eine Fortbildung auf Basis des Curriculums der Bundesapothekerkammer „Medikationsanalyse, Medikationsmanagement als Prozess“ absolviert oder eine mindestens gleichwertige Fortbildung wie ATHINA, ARMIN, Apo-AMTS, Medikationsmanager BA KlinPharm, oder die Weiterbildung Geriatrische Pharmazie oder Allgemeinpharmazie durchlaufen haben, sind zur Ausübung dieser pharmazeutischen Dienstleistung berechtigt. Sie darf einmalig alle 12 Monate durchgeführt und abgerechnet werden – bei Patienten, die aktuell und voraussichtlich auch über die nächsten 28 Tage mindestens 5 Arzneimittel in der Dauermedikation einnehmen bzw. anwenden.
Die erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation besteht aus den Prozessschritten 3–7 der Leitlinie der Bundesapothekerkammer zur Qualitätssicherung: Medikationsanalyse einschließlich der dort aufgeführten Teilprozesse. Diese umfassen:
Nach der Datenerhebung wird die so erfasste aktuelle Gesamtmedikation im Rahmen der pharmazeutischen AMTS-Prüfung mindestens auf folgende in der Leitlinie genannten ABP geprüft:
Probleme, die sich hier in Sachen Einnahme mehrerer Wirkstoffe ergeben, sollen bewertet und Lösungsvorschläge erstellt werden. Diese werden wiederum bei Bedarf und Zustimmung der versicherten Person mit dem zuständigen Arzt und im Abschlussgespräch mit der versicherten Person besprochen. Hier liegt wohl das größte Konfliktpotential zwischen den Berufsgruppen. Bei Zustimmung der versicherten Person soll der so aktualisierte Medikationsplan und ggf. weitere relevante Informationen (z. B. mögliche Interventionen/Vorschläge) dem hauptbetreuenden Arzt außerdem vorzugsweise in elektronischem Format (KIM) schriftlich übermittelt werden.
Zu 2: Hier gelten die gleichen Voraussetzungen wie für Punkt 1. Anspruchsberechtigt sind versicherte Personen nach Organtransplantation, die mit einer immunsuppressiven Therapie ambulant beginnen oder deren immunsuppressive Therapie sich aufgrund einer Neuverordnung eines Immunsuppressivums ändert. Hat die versicherte Person in den letzten 6 Monaten diesen Arzneistoff laut Selbstauskunft nicht angewendet, handelt es sich um eine Neuverordnung im Rahmen dieser pharmazeutischen Dienstleistung. Folgende Leistungen sollen erbracht werden:
Auch hier ist das Potential eines Konfliktes recht groß, zumal es sicherlich nur schwer möglich sein wird, beispielsweise mit einem Arzt, der in einer Klinik tätig ist, überhaupt in Kontakt zu treten.
Zu 3: Voraussetzung ist wie bei Punkt 1 und 2 die Erbringung der Dienstleistung durch einen entsprechend ausgebildeten Apotheker. Das betrifft Kunden in der ambulanten Versorgung mit einer ärztlich verordneten oralen Antitumortherapie, wenn sie diese erstmalig ambulant beginnen oder eine weitere orale Antitumortherapie als Folgetherapie beginnen. Es gilt:
Zu 4: Pharmazeutisches Personal darf pro Patient, der ein Hypertensivum erhält, diese Leistung einmal in 12 Monaten durchführen und abrechnen:
Zu 5: Pharmazeutisches Personal darf für Kinder ab 6 Jahren und Erwachsene bei einer Neuverordnung von Inhalativa, bei einem Wechsel des Devices oder wenn nach dokumentierter Selbstauskunft die letzte Einweisung in den Gebrauch des Inhalativums länger als 12 Monate her ist, diese Leistung abrechnen:
Während der GKV-Spitzenverband noch darüber nachdenkt, eventuell Einspruch aufgrund der Höhe der Vergütung zu erheben, die ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening die Entscheidung der Schiedsstelle begeistert als „Meilenstein für die Patientenversorgung“ bezeichnet und die Apothekengewerkschaft ADEXA kritisiert, dass nicht noch mehr pharmazeutische Dienstleistungen erstattet werden, zeigen sich die Vertreter der Ärzteschaft nicht eben begeistert über die vermeintliche Einmischung in ihre Hoheitsgebiete.
Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, befürchtet gar neben einer „Zersplitterung der Versorgung“, dass die Apotheker eigenmächtig durch Änderungen der Dosierungen in die Therapie eingreifen. Hätte er die Leistungsbeschreibungen aufmerksam gelesen, hätte er gesehen, dass die Dosierungen nur überprüft und gegebenenfalls mit dem verordnenden Arzt besprochen werden sollen. Auch der Marburger Bund zeigt sich schockiert und bezeichnet es als „Unding, dass jetzt Dienstleistungen bezahlt werden sollen, die in die ärztliche Beratungstätigkeit fallen und für die Apotheken kaum der geeignete Ort sein können“.
Ich persönlich zeige mich nun ebenfalls schockiert – nämlich darüber, dass den Vertretern der Ärzteschaft nicht klar war, dass die Apotheken vor Ort bislang diese Beratungsleistungen (wenn natürlich auch nicht in diesem fest definierten Rahmen und in diesem Umfang) bereits seit Jahren erbracht haben und erbringen – nur eben, ohne dafür bezahlt zu werden.
Haben wir Blutdruck gemessen – na klar! Haben wir zu Neben- und Wechselwirkungen beraten, wenn die Patienten unsicher waren – selbstverständlich! Haben wir immer wieder aufs Neue gezeigt, wie die Inhalatoren funktionieren und was bei ihrer Anwendung zu beachten ist – natürlich! Denn dafür sind wir oft der erste Ansprechpartner. „Fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker“ ist schließlich nicht umsonst einer der bekanntesten Werbesprüche.
So lange das in den Apotheken aber nicht vergütet wurde, hat sich auch kein Ärztevertreter laut darüber geärgert. Jetzt aber, wo es abgerechnet werden darf, schlagen die Wellen hoch. Das erscheint irgendwie nicht ganz ehrlich. Wenn es darum geht, dass die Vergütung für die ärztliche Arbeit nach diesen ausgelobten Preisen für die pharmazeutischen Dienstleistungen nach oben korrigiert und der Vergütung der Apotheker angepasst werden sollen – das ist mehr als verständlich. Aber dieses Ziel würde man vielleicht auch auf eine andere Art erreichen als die, eine verwandte Berufsgruppe abzuwerten, oder nicht?
Ärzte und Apotheker werden lernen müssen, zum Wohle ihrer Patienten künftig enger zusammenzuarbeiten. Es ist eine Chance, die im Kleinen zwischen Hausarztpraxis und der Apotheke vor Ort häufig glücklicherweise besser funktioniert als in der Standespolitik.
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