Sie sind etablierte Medikamente, bergen aber bei längerer Einnahme auch Risiken. Benzodiazepine machen schnell abhängig und erschweren die Kommunikation zwischen Zellen in unserem Gehirn.
Benzodiazepine sind synthetische Medikamente, die etwa bei Angst- und Schlafstörungen und akuten Erregungszuständen angewandt werden. Teils dienen sie zudem in der Neurologie zur Muskelentspannung und helfen bei epileptischen Anfällen. Ursprünglich wurden sie in den 1950ern entwickelt und als sichere Alternative zu Barbituraten angepriesen – doch um 1980 wurden einige Probleme offensichtlich, wie etwa eine erhöhte Gefahr der Abhängigkeitsentwicklung.
Mittlerweile ist es unumstritten, dass Benzodiazepine auch die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigen können. „Akut machen sich vor allem Auswirkungen auf die Konzentration, Aufmerksamkeit und das Reaktionsvermögen bemerkbar“, erklärt Dr. Philipp Heßmann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Oberarzt an der Oberberg Tagesklinik Kurfürstendamm. Dazu kommt eine erhöhte Tagesmüdigkeit oder Schläfrigkeit. „Vielfach diskutiert und wissenschaftlich untersucht ist zudem, ob eine langfristige Einnahme von Benzodiazepinen auch das Demenzrisiko erhöht“. Tatsächlich deuten die meisten Studien auf ein solches Risiko hin – wobei es aufgrund der verschiedenen Methoden schwierig ist, einen direkten Zusammenhang zwischen den Benzodiazepinen und der Demenz festzustellen.
Wissenschaftler um Prof. Jochen Herms und Dr. Mario M. Dorostkar vom Zentrum für Neuropathologie und Prionforschung an der Universität München haben nun versucht, den Wirkmechanismus von Benzodiazepinen genauer zu untersuchen. Dazu verabreichten sie vier bis fünf Monate alten, genetisch veränderten Mäusen Diazepam, ein gebräuchliches Benzodiazepin. Mit einer Reihe von Verhaltenstests, histochemischen und bildgebenden Methoden zeigten die Forscher, dass Diazepam an ein bestimmtes Protein namens TSPO (translocator Protein) bindet und dadurch letztendlich die Signalweiterleitung zwischen den Nervenzellen beeinträchtigt.
„Solche Studien zu den Wirkmechanismen im Gehirn helfen uns, die langfristigen Effekte von Benzodiazepinen besser zu verstehen“, sagt Philipp Heßmann. Perspektivisch könne man so gegebenenfalls auch genauer entscheiden, welche Menschen mit bestimmten Risikoprofilen keine Benzodiazepine erhalten sollten. In der Münchner Untersuchung zeigte sich außerdem, dass die Veränderungen zwar lange anhielten, letztendlich aber reversibel waren. Das würde eine kurzfristige Verschreibung befürworten – und tatsächlich betonen Leitlinien und Handlungsempfehlungen, dass Benzodiazepine nur für eine kurze Zeit eingenommen werden sollten.
Die Realität sieht leider anders aus: Gerade ältere Menschen bekommen die Medikamente oft und längerfristig verschrieben, obwohl besonders bei ihnen die kognitiven Beeinträchtigungen kritisch sind.
Woran liegt es, dass trotz der bekannten Gefahren so viele Menschen über Monate und Jahre hinweg Benzodiazepine einnehmen? Aus Heßmanns persönlicher Erfahrung könnte ein Grund sein, dass relativ schnell eine Gewöhnung oder Abhängigkeit eintritt und die Patienten die Medikamente teils von verschiedenen Ärzten verschrieben bekommen, die nicht zwangsläufig von den anderen Rezepten wissen. Hat sich erst einmal eine Abhängigkeit entwickelt, ist es oft schwierig, ein Ausschleichen oder einen Entzug ambulant zu schaffen.
Einerseits kann es schwerwiegende Entzugssymptome geben, andererseits ist eine stationäre Entzugsbehandlung für viele Patienten eine große Hürde. Häufig gelingt daher ein dauerhafter Verzicht auf Benzodiazepine nicht. Wer die Benzodiazepine doch aufgeben kann, muss außerdem durchhalten: Nur etwa ein Drittel widersteht der Versuchung, erneut mit der Einnahme anzufangen. „Angesichts der Hürden werden die Benzodiazepin-Einnahmen dann häufig fortgeführt, was ein erhebliches Problem ist“, so Heßmann. Er selbst stellte in einer Veröffentlichung mit Kollegen 2018 fest, dass die oft unangemessene Anwendung von Benzodiazepinen mit den Leitlinien zur Behandlung von Patienten mit Demenzerkrankungen in Konflikt steht.
Immerhin gibt es auch gute Nachrichten: Laut einer Analyse der kassenärztlichen Verschreibungen sank die Rate der unangemessenen oder riskanten Verschreibungen von 34,8 Prozent im Jahr 2006 auf 27,1 Prozent im Jahr 2015. Es geht also in die richtige Richtung. Studien zum Wirkmechanismus sowie ein wachsendes Bewusstsein für die Problematik unter Ärzten können dazu beitragen, dass die Verwendung von Benzodiazepinen in Zukunft noch bedachter und somit sicherer wird.
Bildquelle: freestocks, unsplah