Diffuse, unspezifische Symptome – zu wenige Ärzte denken da an einen möglichen Parasitenbefall. Warum es gefährlich werden kann, damit Laien das Feld zu überlassen, erklärt Prof. Herbert Auer.
Wenn ein Patient mit Durchfall, Bauch- oder Kopfschmerzen oder anderen unspezifischen Symptomen in die Sprechstunde kommt, wie oft denken Ärzte dann an einen Parasitenbefall? Schnell steht bei diesen Patienten dann ein psychosomatisches Geschehen im Raum, wenn man mit der üblichen Diagnostik nicht weiterkommt.
Wie häufig wird manchmal sogar ein Antidepressivum verschrieben, weil bei Antriebslosigkeit und diffusen Schmerzen auch eine psychische Genese infrage kommt? „Gar nicht mal so selten“, so Prof. Herber Auer. Der Biologe arbeitet seit über vierzig Jahren an der Medizinischen Universität in Wien, leitet mit Kollegen zusammen die Abteilung für Medizinische Parasitologie und kennt sich aus, wenn es um Würmer geht.
„Das parasitologische Wissen der Ärzteschaft ist leider sehr begrenzt“, sagt Auer im Gespräch mit DocCheck News. Es werde die Meinung vertreten, dass es in Europa so gut wie keine Parasiten mehr gebe. Diese würden eher in Ländern verortet, in denen die hygienischen Bedingungen schlechter sind als in Deutschland oder Österreich. Das Problem: „Differentialdiagnostisch wird so gut wie nie an Parasiten gedacht.“ Auch nach aktuellen Zahlen zu parasitären Infektionen in Deutschland kann man in den meisten Fällen leider lange suchen. Cryptosporidien und Giardien unterliegen zwar der Meldepflicht, Spul- und Madenwurminfektionen aber nicht. Hier ist der Status Quo nicht bekannt.
In seinem Institut diagnostiziert Auer jedoch regelmäßig Infektionen mit zoonotischen Parasiten: Allein Toxocara (T.) cati (Katzenspulwurm) und T. canis (Hundespulwurm) werden von Auers Team pro Jahr in einigen hundert Fällen gefunden „und das sind allein die Krankheitsfälle – nicht nur zufällige positive Antikörperfunde“. Auch der Schweinespulwurm Ascaris (A.) suum kann beim Menschen in Form der Larva migrans visceralis Schaden anrichten. Dass dieser auch den Menschen befällt, ist erst seit den frühen 2000er Jahren bekannt. Aber auch hier macht die Diagnostik Probleme: „Es gibt zwar Tests, diese zielen aber nur auf die humane Variante A. lumbricoides ab und erkennen dadurch den Schweinespulwurm nicht zuverlässig“, erklärt Auer. In seinem Institut hat er mit seiner Arbeitsgruppe einen speziellen Antikörpertest entwickelt, der auch den nahen Verwandten A. suum nachweist.
Als häufigster Schweineparasit tritt A. suum unter allen Haltungsbedingungen auf. Auer schätzt, dass A. suum in Mitteleuropa in etwa 60 Prozent der Schweinebetriebe vorkommt.
Aber wie infizieren sich Menschen mit dem Schweinespulwurm? Auer hält eine Übertragung durch das Ausbringen von Gülle für wahrscheinlich. So komme der Erreger auf Felder und Wiesen und kann über den Wind auch in Gemüsegärten, andere Felder und die Umwelt getragen werden. Die Eier seien sehr widerstandsfähig, in der Außenwelt lange infektiös und sie verteilten sich leicht auch über die Luft. Der Weg über Nahrungsmittel oder ungewaschene Hände nach Kontakt mit Erde und Pflanzen sei dann nicht mehr lang.
Auch über Wildschweine kann A. suum in die Umwelt gelangen. Nachdem die Larven im Darm schlüpfen, migrieren sie über die Leber zu Herz und Lunge und verteilen sich über den Blutkreislauf in andere Organe. Die Larven von A. suum erreichen im Menschen kein adultes Stadium und bleiben als Larva migrans im Körper. Die meisten Infektionen des Menschen bleiben klinisch unauffällig, können aber unter anderem zu Bronchitis, Pneumonien, Urtikaria, abdominalen Schmerzen, Hepatitis, Myalgien, Enzephalopathien, Herzproblemen führen.
Auer hält den Schweinespulwurm für ein größeres Problem als sein menschliches Pendant A. lumbricoides. Dieser sei in Mitteleuropa kaum noch vorhanden – „da haben wir keine 10 Fälle pro Jahr“. Behandelt wird eine Spulwurm-Infektion mit Albendazol (2 x 400 mg/Tag für mindestens 18 Tage).
Lange hat Auer neben seiner Forschung und diagnostischen Arbeit im Institut auch eine parasitologische Sprechstunde angeboten. Er berichtet, dass etwa ein Drittel bis die Hälfte seiner Patienten da waren, weil sie bei ihren Ärzten nicht weiterkamen. Bei einem Teil konnte Auer regelmäßig einen Wurmbefall nachweisen. Häufig handelte es sich um den Madenwurm, Enterobius vermicularis, einen der häufigsten Parasiten des Menschen. Schätzungen der WHO von 2014 zählten weltweit 200–500 Millionen Infektionen mit diesem Parasiten. Die meisten Infektionen kommen bei Kindern vor, aber auch Erwachsene können erhebliche Beschwerden durch den Madenwurm entwickeln.
„Hier würde ich gerne auch nochmal auf eine korrekt durchzuführende Therapie hinweisen“, merkt Auer an. Das Problem: Die meisten Ärzte verschreiben den Wirkstoff Pyrantel bei diesen Infektionen. Das wirke aber nur auf adulte Würmer. Wichtig sei auch die ovizide Wirkung, wie sie mit Mebendazol zu erzielen sei. Das sei leider nicht, wie Pyrantel, als Suspension verfügbar, was die Verabreichung an Kinder erschwere. Aber eine Mebendazol-Tablette könne man gut zermörsern, erklärt Auer.
Auch bereite die Diagnostik oft Schwierigkeiten. „Die Eier vom Madenwurm sind nicht im Stuhl zu finden. Sie kleben eher am Analrand. Damit sind die Stuhlbefunde fast immer negativ. Leider ist auch die Klebestreifen-Methode nicht zuverlässig.“ Die beste Diagnose seien die etwa 5–10 mm langen adulten Würmer im Stuhl. Eine direkte Therapie sei dann angeraten. Diese sei sehr schonend, weil der Wirkstoff so gut wie nicht im Darm resorbiert werde und somit auch unabhängig vom Körpergewicht gegeben werden könne.
„In der Lehre von Humanmedizinern sollte man einen größeren Schwerpunkt auf die Parasitologie legen“, regt Auer an. „Die Basics zum Madenwurm, Bandwürmern, Spulwürmern und ein paar Insekten sollte jeder Arzt kennen. Und Ärzte sollten sich auch nicht scheuen, mal in Laboren oder den entsprechenden Instituten nachzufragen, wenn sie sich nicht sicher sind.“ Generell solle sich jeder Mensch im Klaren darüber sein, dass nach dem Kontakt mit der Natur und Tieren das Händewaschen der beste Schutz bleibt. „So kann man auf jeden Fall die Erregeranzahl drastisch verringern und damit die Ansteckungsgefahr vermindern“, so Auer.
Denn auch ein alter Bekannter ist in Europa wieder auf dem Vormarsch: der Fuchsbandwurm Echinococcus multilocularis. Wurden in Österreich früher regelmäßig nur 1–3 Fälle pro Jahr gemeldet, sei seit 2011 ein Anstieg auf zwischen 10 und 20 Fälle pro Jahr zu verzeichnen. „Dieses Jahr hatten wir schon den siebten Fall in Österreich“, sagt Auer. Die Fuchspopulationen seien in ganz Europa größer geworden. „Früher haben nur 10 Prozent der Patienten überlebt, heute haben wir zum Glück eine Heilungsrate von fast 100 Prozent.“ Auch, weil Pathologen und Ärzte den Erreger auf dem Schirm haben. In mehreren Städten Deutschlands gibt es außerdem Spezialambulanzen für Echinokokkose, so z. B. in Hamburg, Heidelberg oder Ulm.
Was passieren kann, wenn ein Feld wie dieses von den meisten Ärzten nicht ernst genommen wird, zeigt sich, wenn man in die sozialen Medien schaut. Ein aktueller Trend: Parasitenkuren. Mithilfe einer betreuten Ernährungskur sollen Menschen so ihre vermeintlich unentdeckten Parasiten loswerden können. Besonders in der esoterischen Szene wird vermehrt mit diesen Kuren geworben. Mit Aktivkohle-Säften und Kaffee-Einläufen soll da den Würmern der Garaus gemacht werden.
Auch werden Fotos von den vermeintlich ausgeschiedenen Würmern geteilt. Dazu Erfahrungsberichte: „Ich habe heute diesen Parasiten ausgeschieden, der so lang war wie mein Unterarm. Ich bin sprachlos. Mein Körper ist noch nicht fertig damit, sich zu erneuern – also muss ich wohl noch eine Schippe drauflegen“ oder „Parasiten senden chemische Signale in unser Blut, welche uns nach Junkfood verlangen lassen. [...] Ich hatte Schmerzen. Je mehr ich aber eliminiere, desto reiner fühle ich mich. Der einzige Weg, wie ich sicher sein kann, dass ich die Würmer loswerde, ist zu sehen, wie sie meinen Körper verlassen.“
Wir haben die Fotos mit Auer begutachtet. Sein Fazit: „Alle Fotos zeigen keine Würmer, eher Darmschleimhaut.“ Mit großer Wahrscheinlichkeit schaden diese Menschen also eher ihrem Körper, statt ihm zu helfen. Vielleicht Grund genug, ihre Sorgen auch als Arzt ernst zu nehmen und das Thema Darmparasiten durchaus auf dem Radar zu haben.
Weitere Quellen:
Bildquelle: Nick Fewings, unsplash