Mit günstigen Gentests für alle machte 23andMe Schlagzeilen, bis die FDA einen Riegel vorschob. Die Einschränkungen werden jetzt teilweise wieder aufgehoben – weil der Sequenzierer wissenschaftliche Erfolge nachweisen kann.
Gene, aber günstig: Für nur 99 US-Dollar konnten User bei 23andMe zahlreiche Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs) mit medizinisch-pharmazeutischer Relevanz in ihrem Erbgut untersuchen lassen. Ende 2013 musste die Gentest-Firma ihren Betrieb teilweise einstellen. FDA-Angaben zufolge fehlten Zulassungen für gesundheitsbezogene Selbsttests. Es gebe keine Sicherheit, dass korrekte Ergebnisse geliefert würden, hieß es weiter. Daraufhin wurden nur noch Verwandtschaftsverhältnisse ermittelt und Rohdaten weitergegeben, ohne jegliche Interpretation. Kunden werteten ihre Daten trotzdem aus, etwa über die Plattform openSNP. Mitte 2014 startete 23andMe einen neuen Anlauf bei der FDA, um das Bloom-Syndrom künftig zu diagnostizieren. Anne Wojcicki, CEO des Konzerns, sprach von „weiteren Kooperationen mit Wissenschaftlern, Hochschulen und NGOs“, um genetischen Daten ihre Geheimnisse zu entlocken.
Dazu ein paar Highlights aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen: Haben Patienten nur eine intakte Kopie von NPC1L1, verringert sich ihr Risiko, an Herzinfarkten zu versterben, um 50 Prozent. Das Gen erwies sich gleichzeitig als Target von Ezetimib, einem Inhibitor der Cholesterolabsorption. Entsprechende Mutationen traten nur bei 82 von 113.000 Personen auf. In gesundheitlichem Kontext ist auch das FTO-Gen interessant. Probanden mit zwei funktionsfähigen Kopien griffen häufiger zu kalorienreichen Nahrungsmitteln als Personen, die keine oder eine intakte Version dieses Abschnitts hatten. Studienautor Madhav Thambisetty hält Zusammenhänge mit der Gehirnaktivität für denkbar, etwa über die Impulskontrolle und die Wahl von Lebensmitteln. Neben genetischen Prädispositionen spielen bei Adipositas Umweltfaktoren eine entscheidende Rolle, auch bei Veröffentlichungen zu Asthma beziehungsweise Heuschnupfen. Mit genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) gelang es Forschern, elf Varianten im Erbgut zu entlarven, die mit beiden Krankheitsbildern assoziiert sind. Als Basis dienten rund 15.000 Datensätze von 23andMe-Kunden. Unter ihnen litten 6.685 Menschen an beiden Krankheiten. Prädiktive Faktoren helfen Ärzten, frühzeitig bei Risikopatienten zu intervenieren. Weitere Studien beleuchten Zusammenhänge zwischen Ethnien, Abstammungen und dem Erbgut bei US-Bürgern.
Von diesen Resultaten beeindruckt, öffneten auch die National Institutes of Health (NIH) ihre Brieftasche. Eine Kehrtwende: Nach früheren Sanktionen durch die FDA gehen staatliche Institutionen plötzlich auf Kuschelkurs. Um genetische Ursachen von Krankheiten zu erforschen, erhält 23andMe genau 1,4 Millionen US-Dollar als Unterstützung. Mit dem Budget sollen Umfrage-Tools beziehungsweise Gen-Datenbanken ausgebaut werden. Alles seriös und gut? Offensichtlich ja, und viele Kunden des Konzerns gaben an, genetische Resultate anonymisiert der Forschung bereitzustellen. Sie fühlen sich getäuscht.
Zum Hintergrund: Dass sich mit 99 US-Dollar pro Sequenzierung kein großer Reibach machen lässt, erstaunt niemanden. Noch dazu gibt 23andMe molekularbiologische Leistungen außer Haus. Im Januar äußerte sich Wojcicki, wohin die Reise ihrer Strategie zufolge gehen wird. Sie wolle künftig mit „neuen Partnern zusammenarbeiten“, um Prävention, Diagnostik und Therapie zu optimieren. Ihre Andeutungen haben sich jetzt bewahrheitet. 23andMe wird künftig mit Pfizer kooperieren. Der Pharmakonzern erhält Zugriff auf Sequenzen aller Kunden, die eingewilligt haben, Forschungsprojekte zu unterstützen. Thematisch geht es um eine neue Studie zu chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn. Kein Einzelfall: Reset Therapeutics hat ebenfalls Interesse bekundet. Der Konzern arbeitet an Möglichkeiten, zirkadiane Rhythmen pharmakologisch zu beeinflussen. Und Genentech, ein Tochterunternehmen von Roche, will die Daten von Parkinson-Patienten auswerten. Insider sprechen von einem Kooperationsvertrag über 60 Millionen US-Dollar. Betroffene äußern in Foren Kritik an der monetären Ausrichtung von 23andMe. Sie hätten nur zugestimmt, Sequenzdaten an Hochschulen, außeruniversitäre Einrichtungen beziehungsweise NGOs weiterzugeben und fühlen sich in gewisser Weise verraten. Hinter dem Community-Gedanken, wie er etwa von „Quantified Self“-Anhängern gelebt wird, steht immer, der Allgemeinheit kostenfrei Informationen zur Verfügung zu stellen. Von veritablen Datenbörsen war nie die Rede. Usern bleibt nur, dem Konzern 23andMe zu vertrauen – oder ihre Einwilligungen zurückzuziehen. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Von neuen Arzneistoffen profitieren früher oder später auch Patienten. Ihre Sequenzdaten sind ein wertvoller Beitrag, gerade bei seltenen Erkrankungen.