Psychologen stellen Stereotypen über psychische Erkrankungen in Frage und stellen fest, dass einige Erkrankungen nicht immer chronisch sind und dass man trotzdem ein gutes Leben führen kann.
In einer der bisher umfassendsten Bewertungen des Wohlbefindens nach psychischen Erkrankungen untersuchte das Team um Andrew Devendorf, Doktorand an der University of South Florida (USF) in klinischer Psychologie, wie wahrscheinlich es ist, dass sich jemand von seiner Erkrankung erholt und ein Leben mit einem hohen Maß an Sinnhaftigkeit, positiven Gefühlen und gesunden Beziehungen führt.
Die Studie, die in der Zeitschrift Clinical Psychological Science veröffentlicht wurde, zeigt, dass langfristiges Wohlbefinden für einige Patienten ein realistisches Ziel ist – trotz der Stereotypen, die besagen, dass Krankheiten zwangsläufig wiederkehren und dadurch mit einem allgemeinen, langanhaltenden Wohlbefinden unvereinbar sind.
Die Ergebnisse wurden aus einer 25.000 Probanden großen Stichprobe gezogen, deren Daten die Prävalenz des Wohlbefindens nach einer lebenslangen Vorgeschichte psychischer Erkrankungen betreffen. Von den Teilnehmern hatten etwa 33 % im Laufe ihres Lebens verschiedene psychische Erkrankungen durchgemacht; 67 % erholten sich davon, und fast 10 % dieser Untergruppe lebten „gut“. Von den verbleibenden Personen, die keine psychischen Störungen in ihrem Leben hatten, gaben fast 24 % an, dass es ihnen gut geht.
„Psychische Erkrankungen können zwar die Wahrscheinlichkeit verringern, machen es aber nicht unmöglich, ein erfülltes Leben zu führen“, sagt Devendorf. Selbst für diejenigen, die im Laufe ihres Lebens mehrere Diagnosen erhielten, war es nicht unmöglich, ein ausgeglichenes und glückliches Leben zu führen. So hatten beispielsweise 43 % der Personen, die nach einer Depression wieder ein erfülltes Leben führten, mindestens zwei Diagnosen.
Allerdings war die Wahrscheinlichkeit auf Besserung bei denjenigen höher, die über eine kürzere Krankheitsdauer berichteten – insbesondere bei Episoden, die weniger als zwei Jahre andauerten. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine frühere Inanspruchnahme von Hilfe die langfristigen Ergebnisse verbessern kann. Darüber hinaus hatten Patienten mit Depressionen und Substanzmissbrauchsstörungen im Vergleich zu Patienten mit Angstzuständen und bipolaren Störungen eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit.
Die bisherige Forschung zu psychischen Erkrankungen hat sich in der Regel auf die Behandlung der Symptome konzentriert. Das USF-Team fand jedoch heraus, dass die Symptome nur in geringem Maße mit dem Wohlbefinden korrelieren. Die Kenntnisse der Symptome eines Patienten allein reichen also nicht aus, um festzustellen, ob der Patient am Weg der Besserung ist. Dies könnte dazu führen, dass Ärzte und Forscher vorschnell zu dem Schluss kommen, dass ein erfülltes Leben nach einer psychischen Erkrankung unmöglich sei.
„Die öffentliche Meinung stimmt nicht mit den wissenschaftlichen Daten überein und ich denke, dass unsere Ergebnisse den Menschen Hoffnung geben, weil sie zeigen, dass diese Botschaften nicht unbedingt richtig und Fehlinformationen weit verbreitet sind“, so Devendorf. Laut Devendorf könnte ein umfassenderes Verständnis über „das Leben nach der psychischen Krankheit“ den Ärzten helfen, den wahrscheinlichen Verlauf der Störungen ihrer Patienten besser zu verstehen.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Charité Berlin. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Aditya Saxena, unsplash