Arbeiten, wenn andere schlafen, ist Klinikalltag – und ungesund. Eine aktuelle amerikanische Studie untermauert bisherige Hinweise: Wer nachts arbeitet, hat ein höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Lungenkrebs.
Ein internationales Forscherteam untersuchte in einer prospektiven Kohortenstudie, ob wechselnde Nachtschichten mit einer erhöhten Mortalität zusammenhängen. Eine Frage, die viele angeht. Immerhin arbeiten bis zu 20 % der Beschäftigten in westlichen Ländern während ihres Arbeitslebens im Schichtbetrieb. Laut Mikrozensus des statistischen Bundesamtes arbeiteten in Deutschland 2013 8,5 % der Beschäftigten regelmäßig nachts.
Die Autoren griffen auf Daten der Nurses' Health Study (NHS) zurück. Das Ergebnis: Nachtschichtarbeit für mehr als fünf Jahre erhöht die allgemeine und die kardiovaskuläre Mortalität. Diese war bei Krankenpflegerinnen mit mehr als 15 Jahren Schichtarbeit am höchsten. Einen Zusammenhang zwischen Nachtschichtarbeit und einer höheren allgemeinen Krebsmortalität gab es nicht. Allerdings war Nachtarbeit für mehr als 15 Jahre mit einer erhöhten Lungenkrebsmortalität assoziiert. „Diese Ergebnisse untermauern frühere Hinweise auf möglicherweise schädliche Auswirkungen von wechselnder Nachtschichtarbeit auf Gesundheit und Lebenserwartung“, sagt Autorin Eva S. Schernhammer MD, Associate Professor of Medicine an der Harvard Medical School. Die NHS Kohorte existiert seit 1976. Die teilnehmenden Krankenpflegerinnen wurden 1988 zu Schichtarbeit befragt. Nach Ausschluss derjenigen, die bereits unter einer kardiovaskulären oder einer Krebserkrankung litten, analysierten die Forscher alle im Rahmen der NHS erhobenen Daten von 74.862 Frauen, erhoben zwischen 1988 und 2010. Verglichen mit Frauen, die nie nachts gearbeitet haben, hatten alle mit mindestens fünf Jahren Nachtschichtarbeit ein um 11% höheres allgemeines Mortalitätsrisiko. Dabei wurden weitere Faktoren wie Rauchen, Alter, Alkoholkonsum, physische Aktivität, BMI und der sozioökonomische Status berücksichtigt.
Deutlicher ist der schädliche Einfluss der Nachtarbeit beim kardiovaskulären Mortalitätsrisiko. Dieses war für Frauen, die mindestens fünf Jahre Schichtarbeit leisteten um 19% höher als bei der Vergleichsgruppe, bei mehr als 15 Jahren Schichtarbeit um 23% höher – nach Berücksichtigung der oben genannten Faktoren. Die Forscher analysierten die Risiken für die häufigsten kardiovaskulären Erkrankungen der Studienpopulation. Dabei zeigte sich, dass das Risiko für ischämische Herzerkrankungen erhöht war, wenn die Frauen länger als fünf Jahre Nachtschicht arbeiteten. Bei mehr als 15 Jahren Nachtschicht war das Risiko noch höher. In einer weiteren Analyse wurden die Risikofaktoren Hypertonie, Hypercholesterinämie und Typ 2 Diabetes berücksichtigt – was die Assoziation zwischen Nachtschichtarbeit und ischämischen Herzerkrankungen aber nicht wesentlich beeinflusste. Der Zusammenhang zwischen Nachtschichtarbeit – die den circadianen Rhythmus unterbricht – und ischämischen Herzerkrankungen lässt sich durch verschieden biologische Mechanismen erklären. Laut einem Übersichtsartikel hat Schichtarbeit verschiedene physiologische Auswirkungen. So wird das Nervensystem aktiviert, es kommt verstärkt zu Entzündungsreaktionen und Lipid- sowie Glukosemetabolismus verändern sich. Die Folge ist ein erhöhtes Arteriosklerose-Risiko.
Für Krebserkrankungen im Allgemeinen konnten die Autoren kein erhöhtes Mortalitätsrisiko feststellen. Dann nahmen die Forscher diejenigen Krebserkrankungen unter die Lupe, die für mehr als 200 Todesfälle in der Studienpopulation verantwortlich waren. Es zeigte sich, dass Frauen, die länger als 15 Jahre Nachtdienst leisteten, eine moderat erhöhte Lungenkrebsmortalität hatten. Rauchen als mögliche Störvariable hatten die Autoren berücksichtigt – das Risiko war auch für Nichtraucherinnen signifikant höher. Das erhöhte Krebsrisiko lässt sich erklären, weil dem circadianen System und insbesondere dem Melatonin eine Anti-Tumor-Wirkung zugeschrieben wird. Es verstärkt die Immunantwort, wirkt antioxidantiv und antiinflammatorisch. Bereits 2007 hat die WHO Nachtschichtarbeit deshalb als möglicherweise krebserregend eingestuft.
Die Autoren selbst weisen auf verschiedene Schwächen der Studie hin. Zum einen stammen die Angaben zur Schichtarbeit aus einer Datenerhebung aus dem Jahre 1988 und wurden seitdem nicht aktualisiert. Außerdem können die Autoren nicht ausschließen, dass die Daten unvollständig sind: Die Autoren befürchten, dass Krankenpflegerinnen, die ausschließlich Nachtschicht arbeiten, dies nicht als wechselnde Nachtschichten – nach denen gefragt wurde – angegeben hatten. Allerdings änderte sich an den Studienergebnissen wenig, als die Autoren strengere statistische Kriterien verwendeten. Um zwischen Schlafmangel und Nachtarbeit zu unterscheiden, analysierten sie die Daten von Frauen, die sechs bis acht Stunden Schlaf angegeben hatten – die Daten werden in der Studie allerdings nicht im Detail dargestellt. Als Stärke der Studie heben die Autoren hervor: „Es ist eine der größten prospektiven Kohortenstudien weltweit, mit einem großen Anteil von Nachtschichtarbeitern und einer langen Nachbeobachtungszeit.“ Außerdem arbeiten alle Studienteilnehmerinnen in der Krankenpflege – unterschiedliche Beschäftigungsarten wirken damit nicht als Störfaktor. Um praktische Schlussfolgerungen für den Arbeitsalltag von Nachtschichtarbeitern zu ziehen, ist es für die Autoren noch zu früh. Die Rolle von Länge und Intensität der Nachtschichtarbeit und das Zusammenspiel von Schichtplänen und individuellen Bedingungen müssten noch weiter untersucht werden. Die Ergebnisse könnten möglicherweise durch den Chronotyp beeinflusst werden – der Kategorie, nach der die innere biologische Uhr jedes Menschen funktioniert. Denn manche Menschen sind eher tag- andere nachtaktiv.