Wir Mediziner lieben es, zu lästern – über die Kollegen, über andere Berufsgruppen, über einfach alles. Ist das in anderen Branchen auch so, oder sollten wir uns mal selbst an die Nase fassen?
Gibt es eigentlich noch eine Berufsgruppe, in der so gerne über die Kollegen gelästert wird, wie in der Medizin? Mir fehlt da naturgemäß der Einblick, die Frau hat zwar einen anderen Beruf, aber da scheint es nicht so schlimm zu sein – außer es geht um direkte Kollegen neben sich. In der Medizin lästert man jedoch über die Krankenhausgrenzen hinweg, die Niedergelassenen über die Ambulanzen (und umgekehrt), die Fachabteilungen über die anderen Fachabteilungen, die Mediziner über die Pflege (und umgekehrt).
Ich schließe mich da gar nicht aus, auf meinem Blog haben die Leser schon vielfach von anderen Medizinern gelesen, auch bei Twitter haue ich gerne mal einen raus:
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Ich finde das sehr schade. Eigentlich beinhaltet die Medizin ein gewisses Maß an Respekt den anderen gegenüber; Altruismus sollte uns gut stehen, ganz abgesehen vom Helferlein-Syndrom und dem ewigen „Wir können nur vom anderen lernen“. Trotzdem kannst du dir nicht immer auf die Zunge beißen – insbesondere wenn es um fachliche Dinge geht, oder um den Umgang mit den Patienten. Aber sachlich sollte es bleiben, fundiert sollte es sein, wir streiten uns gerne um Evidenz und wissenschaftliche Beweise, aber bitte nicht mit Kompetenz qua Amt oder Eminenz-Wissen qua Alter.
Wir können nicht in die Arbeitswelt der anderen Fachbereiche hineinsehen. Ich habe größten Respekt vor allen chirurgischen Disziplinen oder Fitzel-Gebieten wie der Augenheilkunde oder der HNO-Medizin. Ich ehre das Fachwissen der Neurologen und die empathischen Fähigkeiten eines jeden Psychiaters. Ich weiß auch, dass alle ihre Arbeit tun und davon viel zu viel, Personalknappheit herrscht überall.
„Abturfen“ ist respektlos. Das geht nicht. Alle Mediziner sollten ihren Job am Patienten tun, in ihrer gesamten fachlichen Befähigung und in den Begebenheiten, die sie vorfinden. Was gar nicht geht: „Ich würde noch diese und jene Untersuchung empfehlen, das kann ja dann Ihr Hausarzt/Kinderarzt machen.“ Nee, nee: Bitte mache es gleich oder baue gleich den Weg zur Fachabteilung in deinem Haus. Da sind die Wege kürzer, und für die Eltern ist es leichter. Ja, doch, die Überweisung gilt weiterhin.
„Lästern“ geht gar nicht. Wir Mediziner sollten uns ein für alle Mal den Spruch verkneifen: „Das hätte aber Doktor XYZ auch sehen müssen“ oder „wenn das jetzt nicht behandelt wird, dann…, das hat aber Doktor XYZ verpasst“ und ähnliches.
Damit bedienst du nur dein Ego, überhebst dich über Doktor XYZ. Den Patienten vermittelt es ein schlechtes Gefühl der ganzen Medizin und damit auch dir gegenüber. Verkneif dir diese Sprüche, greif zum Hörer und ruf den Kollegen an, wenn du meinst, da etwas loszuwerden. Aber du weißt selbst: Gestern war der Patient noch anders – gestern war das Ohr nicht so rot und der Blinddarm nicht so entzündet.
„Früher haben wir“ ist anachronistisch, danke für dieses Wortspiel. Die Zeiten ändern sich. Die Medizin ändert sich. Die Arbeitsbedingungen ändern sich. Ja, wir haben früher 121-Stunden-Schichten gearbeitet und haben mit fünf Espressi intus noch die Leiste operiert. Unsere Oberärzte waren strenger und unsere Chefärzte (no gender, die waren alle Männer) korrekter, großzügiger, mit besserem Golf-Handicap und fachlich fitter. Jede Generation hat ihren eigenen Stress. Dennoch, liebe Youngsters da draußen: Wenn Fachärzte mit viel Berufserfahrung Patienten schicken, dann solltet ihr wenigstens eure Vorgesetzten fragen, ob ihr schlauer seid, als die alten Hasen. Es geht ums Fachliche, nicht ums älter sein.
Wohl den Chefärzten, die den PJ-Studenten so viel Respekt entgegenbringen wie ihren Oberarztkollegen, den Physiotherapeuten oder den Pflegern. Jeder hat die Hoheit im Fachgebiet, jeder hat eine Inselbegabung und die Studenten sind sicher näher am aktuellen Fachwissen, als so manche Chefärzte. Meine Anerkennung in der Ausbildung galt dem Oberarzt, der alle Schüler beim Namen kannte – ob aus der Pflege, als Stationshilfe oder aus dem Studium. Der Chefarzt, der dich auch nach einem Jahr Mitarbeit in seiner Abteilung noch mit „Herr… äh… Dingens“ anredete, tut das auch seinen Patienten gegenüber. Namenmerken ist nicht jedermanns, aber wofür gibt es Namensschilder? „Ich bin hier der Chef, und deshalb machen wir das so“ verdient obligate Missachtung.
Klar musst du dir mal Luft machen. Aber das geht auch ohne Namensnennung oder nach Feierabend ohne Patienten, die zuhören können. Gerne Ärgernisse ventilieren, bei einem Bierchen oder einem Viertele, bei einem Wässerchen bleibt man vielleicht gelassen genug, um sich in die Kollegen hineinzuversetzen. Stell dir vor, du wärst wieder jung und unerfahren, oder du kennst dich so schlecht aus im anderen Fachgebiet, wie die Kollegen sich in deinem auskennen. Vor allem: Warte mit dem Lästern, bis du mit der Behandlung des Patienten fertig bist. Sei einfach freundlich und wertschätzend.
Oder blogge.
Bildquelle: Ben White, unsplash