Ein neu entdeckter Schlüsselweg im Gehirn hilft, die Entstehung von Angstreaktionen und des Angstgedächtnisses besser zu verstehen. Er könnte in Zukunft auch einen Angriffspunkt für neue Behandlungen von Angststörungen darstellen.
Bestehende Medikamente zur Therapie von Angstzuständen sind nicht immer bei allen Patienten wirksam und haben oft unerwünschte Nebeneffekte. Das Verständnis der Gehirnnetzwerke und Mechanismen, die Furcht und Angst zugrunde liegen, könnte einen neuen Ansatz für die Entwicklung besserer Behandlungen von Angststörungen bieten.
Neurowissenschaftler der School of Physiology, Pharmacology and Neuroscience der Universität Bristol untersuchten nun, wie das Kleinhirn die Aktivität im periaquäduktalen Grau (PAG) beeinflusst. Dieses PAG-Areal liegt im Zentrum zentraler Netzwerke, die Überlebensmechanismen koordinieren – darunter auch angstbedingte Bewältigungsreaktionen wie das „Einfrieren“.
Zu diesem Zweck statteten die Forscher Ratten mit Elektroden aus, um die Aktivität in der PAG-Region des Gehirns aufzuzeichnen. Bei der folgenden Konditionierung wurde ein Hörton mit einem kleinen Fußschock gepaart, wodurch die Versuchstiere ein Angstgedächtnis ausbildeten. Das Team konnte feststellen, dass eine Untergruppe von Gehirnzellen im PAG-Areal des Gehirns verstärkt auf den konditionierten Ton reagierte – was mit der Kodierung eines Angstgedächtnisses übereinstimmt.
Wenn jedoch die Leistung des Cerebellums während der Konditionierung verändert wurde, wurde das anschließende Timing der angstbezogenen neuronalen Aktivität im PAG ungenauer und die Dauer des angstbezogenen Erstarrens nahm zu. Dies bestätigt, dass die Interaktionen zwischen Kleinhirn und Periaquäduktalem Grau zu den Prozessen der Angstkonditionierung beitragen. Das Team zeigte auch, dass die Manipulation eines direkten Kleinhirn-PAG-Signalwegs das angstbedingte „Einfrieren“ und Ultraschallvokalisationen beeinträchtigte.
Die Hauptautoren der Studie, Dr. Charlotte Lawrenson und Dr. Elena Paci, erklären: „Bisher war nur wenig darüber bekannt, wie das Kleinhirn die neuronale Aktivität in anderen Hirnregionen moduliert, insbesondere in denen, die mit Furcht und Angst zu tun haben. [...] Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Kleinhirn Teil des Überlebensnetzwerks des Gehirns ist, welches Prozesse des Angstgedächtnisses auf mehreren Zeitskalen und auf vielfältige Weise reguliert; dies lässt die Möglichkeit zu, dass angstbedingten Störungen und Komorbiditäten dysfunktionale Interaktionen im Kleinhirn-Überlebensnetzwerk des Gehirns zugrunde liegen könnten.“
Die Ergebnisse der Studie geben also neue Einblicke in die Art und Weise, wie das PAG das Furchtgedächtnis kodiert und sie belegen, dass das Kleinhirn eine weitere Schlüsselstruktur in der Liste der Hirnregionen ist, die zum Furcht-/Angst-Netzwerk beitragen. Somit stellt sie eine neue Zielstruktur für die Therapie psychologischer Erkrankungen wie der posttraumatischen Belastungsstörung dar.
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung der University of Bristol. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Anne Nygård, unsplash.