Überall ist Kupfer – so die Kurzzusammenfassung zu Morbus Wilson. In der Therapie hat sich lange nichts getan, die Leitlinie ist zehn Jahre alt. Würdest du die Krankheit erkennen?
Morbus Wilson ist eine seltene angeborene Stoffwechselerkrankung, bei der das Fehlen einer Eflux-Kupferpumpe zur Ablagerung von Kupfer in den Zellen führt. Betroffen sind meist Jugendliche oder junge Erwachsene. Die Ansammlung von Kupfer kann eine Leberzirrhose und neurologische Störungen hervorrufen. Die Krankheit wurde nach dem britischen Neurologen Samuel Alexander Kinnier Wilson benannt.
Die Wilson-Krankheit, oder hepatolentikuläre Degeneration, ist eine autosomal-rezessive Erkrankung. Sie betrifft vor allem die Leber und die Basalganglien des Gehirns, aber auch andere Organsysteme. Morbus Wilson kommt mit einer Häufigkeit von 1:30.000 in der europäischen Bevölkerung vor. Bei autosomal-rezessivem Erbgang kommen heterozygote Merkmalsträger mit einer Häufigkeit von 1:200 bis 1:400 vor. Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen. Das übliche Alter der Präsentation liegt zwischen vier und 40 Jahren.
Das ATP7B-Gen wurde 1993 als Locus des Morbus Wilson identifiziert. Im mitteleuropäischen Raum kommt die H1069Q-Mutation häufig vor (bis zu 40 Prozent aller Mutationen). Insgesamt gibt es 370 Variationen dieser Mutation – was auch die Menge an möglichen unterschiedlichen Verläufen und Symptomatik verdeutlicht. Ebenso ist das Gen ungewöhnlich lang, wodurch die Wahrscheinlichkeit für Mutationen sowie deren Variabilität erhöht werden. Dies wiederum erschwert die korrekte Diagnose enorm.
Die Diagnose ist schwierig und umfasst Bluttests, Urintests und eine Leberbiopsie. Gentests können verwendet werden, um Familienmitglieder der Betroffenen zu untersuchen. Der Proteintransporter, der für die Ausscheidung von überschüssigem Kupfer in die Galle und aus dem Körper verantwortlich ist, ist gestört. Er befindet sich im Trans-Golgi-Netzwerk von Leber und Gehirn. Der Hauptweg der Kupferausscheidung verläuft über die Leber. Dieses überschüssige Kupfer sammelt sich zunächst in der Leber an und gelangt dann ins Blut und dann in andere Organsysteme.
Kupfer wird vom Körper hauptsächlich als Cofaktor für einige Enzyme wie Ceruloplasmin, Cytochrom-C-Oxidase, Dopamin-Beta-Hydroxylase, Superoxid-Dismutase und Tyrosinase benötigt. Das Metallion gelangt mit Hilfe eines Transportproteins in den Zellen des Dünndarms, dem Kupfermembrantransporter 1 (Ctr1; SLC31A1), über den Verdauungstrakt in den Körper. Das überschüssige Kupfer führt zur Bildung freier Radikale, die eine Oxidation von lebenswichtigen Proteinen und Lipiden verursachen. Frühe Veränderungen treten in der Regel in den Mitochondrien, Zellkernen und Peroxisomen auf.
Morbus Wilson ist ein Chamäleon der Hepatologie. Der Schaden führt zu chronisch aktiver Hepatitis, Fibrose und Zirrhose. Die Leber setzt Kupfer in den Blutkreislauf frei, das nicht an Ceruloplasmin gebunden ist. Dieses freie Kupfer fällt im ganzen Körper aus, insbesondere in den Nieren, Augen und im Gehirn.
Leber
Hepatomegalie, Gelbsucht, Schmerzen in der Gegend unter den Rippen, Asthenie, Erhöhung der Transaminasen, akute Leberschädigung, akutes Leberversagen, Zirrhose (kompensiert und dekompensiert), Steatose
Neurologisch
Dystonie, Tremor, Dysarthrie, Dysphagie, Parkinson, Chorea
Psychiatrisch
Verhaltensänderungen, Depression, Angstzustände, Psychosen, Schulleistungsdefizite, sexuelle Enthemmung
Auge
Kayser-Fleischer-Ring, Katarakt
Hämatologisch
Hämolytische Anämie, Koagulopathie, Thrombopenie
Nieren
Akute Niereninsuffizienz, Nephrolithiasis, Urolithiasis, renale tubuläre Azidose
Bewegungsapparat
Arthropathie, Muskelschwäche
Sonstiges
Herzerkrankungen, Pankreatitis, Hypoparathyreoidismus
Die ophthalmologischen Manifestationen sind eine der Kennzeichen der Krankheit. Die Ablagerung von Kupfer auf der Hornhaut ist typisch für Morbus Wilson. Der Augenarzt hat somit eine besondere Rolle in der Früherkennung. Auch andere Manifestationen, die das retinale und visuelle System, die Augenbeweglichkeit oder andere Strukturen des Auges betreffen, werden mit unterschiedlichen Häufigkeiten beschrieben.
Da Kupferionen ins ZNS wandern können, kann es zu entsprechenden Symptomen kommen. Im Gehirn wird Kupfer in den Basalganglien, im Putamen und im Globus pallidus abgelagert; diese Bereiche sind an der Koordination von Bewegungen und neurokognitiven Prozessen wie der Stimulierung der Stimmungsregulation beteiligt. Schäden an diesen Bereichen erzeugen die neuropsychiatrischen Symptome, die bei der Wilson-Krankheit beobachtet werden. Eine Gehirnbeteiligung äußert sich ähnlich einem Parkinsonsyndrom. Dazu gehören Rigor, Tremor und Sprachstörungen. Auch psychische Veränderungen wie Verhaltensauffälligkeiten oder eine Depression können auftreten.
Psychiatrische Manifestationen können neurologischen Anzeichen in frühen Stadien von Morbus Wilson vorangehen. Eine seltene Manifestation kann beispielsweise Katatonie sein. In einer Kasuistik von Davis et al. wird über eine junge Frau berichtet, das sich mit Katatonie in der psychiatrischen Ambulanz vorstellte. Später wurde bei ihr die Erkrankung diagnostiziert. Ihre Symptome verbesserten sich unter der Behandlung mit Trientin, Trihexyphenidyl, Zinkacetat und Benzodiazepin. In einer französischen Studie schien eine Lebertransplantation bei der Verbesserung der neurologischen Dysfunktion bei einigen Patienten, die nicht angemessen auf eine medikamentöse Therapie ansprachen, von Vorteil gewesen zu sein.
Steckbrief
Name der Erkrankung
Morbus Wilson
Weitere Namen
Degeneratio hepatolenticularis, Hepatolentikuläre Degeneration, Kupferspeicherkrankheit
Häufigkeit
1 : 30.000 in der europäischen Bevölkerung
Genetik
Defekt im ATP7B-Gen
Gestörte Funktion
Therapie
Chelatbildner
Wirkung
Komplexierung von Kupfer
Eine Heilung bei Morbus Wilson gibt es derzeit nicht. Die Therapie besteht aus der Bindung und Ausscheidung von Kupfer und der Meidung einer Aufnahme. D-Penicillamin (DPA) ist Medikament der Wahl. Es führt zu einer Chelatbildung von zirkulierendem Kupfer, das anschließend mit dem Urin ausgeschieden wird. DPA verringert die Affinität von Kupfer zu Proteinen, indem es die Entfernung von Kupfer aus Geweben erleichtert. Es induziert die Synthese von Metallothionein in der Leber, einem Cystein-reichen Protein mit einer hohen Affinität zu Metallionen. Es wird in der Leber metabolisiert und größtenteils mit dem Urin ausgeschieden.
DPA wird oral verabreicht und seine Absorption beträgt 40 % bis 70 % der verabreichten Dosis. DPA sollte nicht mit Nahrungsmitteln, Antazida oder Eisenpräparaten eingenommen werden, da sie die Absorption verringern. Insbesondere sollte während der Behandlung mit DPA eine Pyridoxin-Ergänzung empfohlen werden. Bis zu 90 % der Patienten unter DPA-Therapie haben hepatische Verbesserungen. Allerdings ist die Wirksamkeit von DPA bei neurologischer Symptomatik mit einer Verbesserungsrate von 55 % weniger zufriedenstellend.
Trientin oder Triethylen-Tetramindihydrochlorid ist ein Chelatbildner mit einem ähnlichen Wirkungsmechanismus wie DPA. Es bildet einen Komplex mit Kupfer, der mit dem Urin ausgeschieden wird und wird oral verabreicht. Studien schlagen die Verabreichung einer einzelnen Tagesdosis von 15 mg/kg vor, was die Therapietreue signifikant verbessern würde. Üblicherweise wird die Gabe auf mehrere Einzelgaben täglich aufgeteilt, was die Adhärenz deutlich mindert. Ein Nachteil ist, dass es kühl gelagert werden muss.
Trientin-Tetrahydrochlorid ist ein neues Medikament, das in klinischen Studien untersucht wird. Verglichen mit herkömmlichem Trientin ist es bei Raumtemperatur stabil. Nach Angaben der EMA ist Cuprior ein Hybridarzneimittel. Das bedeutet, dass es einem Referenzarzneimittel, hier Trientin-Dihydrochlorid, ähnelt.
Eine weitere Möglichkeit in der Therapie sind Zinksalze. Zink induziert die Metallothionein-Synthese in Enterozyten, bindet an Kupfer und verhindert dessen Aufnahme in den Pfortaderkreislauf. Es wird dann aufgrund der natürlichen Degeneration von Enterozyten fäkal ausgeschieden. Zink induziert auch die Metallothionein-Synthese in Hepatozyten, indem es Kupfer in der Leber neutralisiert. In Kombination mit einigen Chelatbildnern sollte Zink separat verabreicht werden, um eine Neutralisation von Salzen zu vermeiden.
In der Erprobungsphase befindet sich Ammonium-Tetrathiomolybdat. Die Datenlage ist spärlich. In einer Studie mit lediglich fünf Patienten besserte das Pharmakon die neurologische Symptomatik. Dei Autoren einer Studie mit 28 Patienten resümieren: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Substanz ein vielversprechender neuer therapeutischer Ansatz für die Wilson-Krankheit mit einem einzigartigen Wirkmechanismus sein könnte. Angesichts seiner einmal täglichen Dosis und seines günstigen Sicherheitsprofils könnte die Substanz die Behandlung von Patienten mit dieser schwächenden Erkrankung verbessern.“
Neuartige Methoden zur Messung von freiem Kupfer mittels Anionenaustauschchromatographie sind in der Entwicklung. Auch eine Gentherapie ist in Erprobung. Derzeit laufen zwei Phase-I/II-Gentherapiestudien.
Eine CRISPR-vermittelte Korrektur könnte in Betracht gezogen werden, aber die Hunderte verschiedener Mutationen in ATP7B und ihre oft zusammengesetzte heterozygote Natur erschweren die ortsspezifische Korrektur mit Gen-Editierung. Einen Hoffnungsschimmer für eine neue Therapie gibt das Bakterium Methylosinus trichosporium – besser gesagt: ein Molekül des Bakteriums. Durch seinen speziellen Methan-Stoffwechsel hat das Bakterium einen hohen Bedarf an Kupfer.
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