Ob Genersatztherapie oder Splicing-Modulatoren – es gibt immer mehr Therapieoptionen für die Spinale Muskelatrophie. Alles zu den neuen Behandlungen lest ihr hier.
Obwohl die Spinale Muskelatrophie (SMA) als seltene Krankheit mit einer geschätzten weltweiten Inzidenz von ~1/10.000 Lebendgeburten anerkannt ist, gilt sie als bemerkenswertes Gesundheitsproblem, da sie die zweithäufigste autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung ist. Außerdem ist sie auch die häufigste monogenetische Krankheit – was zur hohen Säuglingssterblichkeit beiträgt.
Betroffen sind die Alpha-Motoneuronen des Rückenmarks und der motorischen Kerne im unteren Hirnstamm, was zu einer fortschreitenden proximalen Muskelschwäche und Muskelatrophie führt. Unbehandelt ist SMA eine der häufigsten genetischen Todesursachen bei Säuglingen. Durch Beatmungsunterstützung und anderen Behandlungen kann die Überlebensrate allerdings um bis zu 70 % erhöht werden.
SMA ist durch einen verheerenden Muskelschwund gekennzeichnet. Dieser wird durch die fortschreitende Degeneration von spinalen Motoneuronen (MNs) verursacht. SMA wird durch den Verlust des Survival-of-Motor-Neuron-1-Gens (SMN1) auf Chromosom 5q13.2 durch Deletionen oder Mutationen verursacht, was zu einem Mangel des Survival-of-Motor-Neuron-Proteins (SMN) führt. Dieses ist für die Aufrechterhaltung von Motoneuronen erforderlich. Chromosom 5q13.2 enthält sowohl das telomerische SMN1-Gen als auch das zentromerische Survival-of-the-Motor-Neuron-2-Gen (SMN2).
Das Internationale SMA-Konsortium hat sich nun auf eine gemeinsame Klassifikation verständigt, die sich an Erkrankungsbeginn und den erreichten motorischen Meilensteinen orientiert. Diese Faktoren sind wichtig für die Prognose und die durchschnittliche Lebenserwartung. Bei Diskrepanzen zwischen Erkrankungsbeginn und erreichten motorischen Fähigkeiten sind die Letzteren für die Einteilung ausschlaggebend.
Die alte Klassifikation, mit einer Einteilung in vier Klassen, berücksichtigt nicht das Kontinuum im Gesamtspektrum der Erkrankungen und die modifizierten Phänotypen durch die Einführung der neuen Therapien (z.B. Nusinersen im Juli 2017, Onasemnogene Abeparvovec im Juni 2020). Die seit 2020 gültige Einteilung umfasst nun Sitter, Non-Sitter und Walker.
Steckbrief
Name der Erkrankung
Spinale Muskelatrophie
Weitere Namen
SMA
Häufigkeit
1 : 10.000
Genetik
Mutationen in diversen Genen
(SMN1 und 2, UBA1, DYNC1H1)
Gestörte Funktion
Therapie
Die therapeutische Landschaft für neurodegenerative Erkrankungen wurde durch die jüngste Einführung genetischer Molekulartechnologien revolutioniert – so auch bei der SMA-Therapie. Beispielsweise greifen Splicing-Modulatoren (Nusinersen, Risdiplam) direkt an der Weiterverarbeitung von Boten-RNA-Molekülen an. Sie stärken dabei die Prozesse, die eine höhere Menge an SMN-Protein liefern.
Die Genersatztherapie (Onasemnogene Abeparvovec) hingegen greift direkt ins menschliche Erbgut ein. Die fehlerhafte Kopie des SMN1-Gens wird durch ein von außen zugeführtes, funktionsfähiges Gen in den betroffenen Zellen ersetzt. Außerdem haben die Verfügbarkeit von Nusinersen im Jahr 2017 und die anschließende Zulassung von Onasemnogen-Abeparvovec und Risdiplam eine breite therapeutische Auswahl und die Möglichkeit zur Umstellung auf eine andere Behandlung geschaffen.
Viele Familien, selbst wenn sie mit den Ergebnissen eines Medikaments teilweise zufrieden sind, entscheiden sich oft für eine zusätzliche Behandlung oder den Wechsel zu einer anderen Behandlung in der Hoffnung, zusätzliche Wirksamkeit zu sehen. Deshalb sind Studien, die den Erfolg über mehrere Jahre hinweg untersuchen, notwendig.
Nusinersen (Spinraza) ist ein Antisense-Oligonukleotid-Medikament. Das Präparat wird einmalig als intravenöse Infusion verabreicht. Molekular modifizierte Viren schleusen dabei das funktionsfähige humane SMN-Gen in die Zellkerne ein (Vektor-basierte Gentherapie), so dass dann das korrekte SMN-Protein gebildet werden kann. Die direkte Zufuhr von Nusinersen in die Wirbelsäule schränkt die SMN-Hochregulierung nur am ZNS ein. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass SMN auch in peripheren Geweben eine wichtige Rolle spielt. Nusinersen wirkt durch Bindung an eine repressive Spleißsequenz im Intron 7, was zur Aufnahme von Exon 7 in das Prä-mRNA-Transkript führt. Infolgedessen werden funktionstüchtige SMN-Proteine in voller Länge vermehrt.
Zulassungsrelevante Phase-III-Studien mit intrathekalem Nusinersen bei symptomatischen Personen zeigten signifikante und klinisch bedeutsame Verbesserungen der motorischen Funktion sowie ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil. Die Aufnahme in diese zulassungsrelevanten ENDEAR oder CHERISH Studien ging von einer spezifischen Kombination aus Beginnalter und SMN2-Kopienzahl in Verbindung mit einer gut charakterisierten Prognose aus, was ein möglichst effizientes Studiendesign ermöglichte.
Allerdings passen nicht alle Kinder mit SMA in diese Gruppen. EMBRACE wurde daher zusätzlich als Phase-II-Studie zur Nusinersen-Behandlung von symptomatischen Säuglingen und Kindern mit SMA konzipiert, die die Eignungsmerkmale der Primärstudien nicht erfüllten.
Die Beurteilung von Nusinersen bei Personen mit weniger gut definierter Prognose erweitert die Erfahrung auf ein breiteres Spektrum von Säuglingen und Kindern mit SMA. Das primäre Ziel von EMBRACE war die Bestimmung der Sicherheit, Verträglichkeit und Pharmakokinetik von Nusinersen in dieser breiteren Gruppe. Aber EMBRACE bot auch die Möglichkeit, zusätzliche Wirksamkeitsendpunkte zu untersuchen, einschließlich des Erreichens von Schwellenänderungen auf der motorischen Meilensteinskala Hammersmith Infant Neurological Examination (HINE).
Und siehe da: Nusinersen zeigte ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil in der einzigartigen Population symptomatischer Säuglinge und Kinder, die für die Teilnahme an ENDEAR und CHERISH nicht in Frage kamen. Über einen mittleren Zeitraum von 2,4 Jahren wurden keine neuen Nusinersen‐bezogenen Sicherheitsbedenken identifiziert. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse waren Infektionen und respiratorische Ereignisse, die mit Ereignissen übereinstimmen, die typischerweise bei Kindern mit SMA beobachtet werden.
Eine Studie von Weiss et al. liefert außerdem eine hohe Evidenz, dass Kinder mit spinaler Muskelatrophie im Alter von 24 Monaten oder jünger und mit Nusinersen vorbehandelte Patienten signifikant von einer Genersatztherapie profitieren. Zusammenfassend bestätigt eine Studie von Pane et al., dass eine Verbesserung bei mit Nusinersen behandelten Patienten auch im zweiten Jahr beobachtet werden kann.
Da eine Reihe von Patienten nach einem Jahr Behandlung einen Wechsel auf ein neues Medikament erwägen, tragen 24-Monats-Längsschnittdaten zur Monotherapie mit Nusinersen dazu bei, mögliche Unterschiede zu den beobachteten Veränderungen nach der Einführung eines neuen oder begleitenden Medikaments besser zu verstehen. Das günstige Sicherheitsprofil mit einer Nachbeobachtungszeit von bis zu 7,6 Jahren während der Behandlung mit Nusinersen bietet auch die Möglichkeit, höhere Dosierungen von Nusinersen zu untersuchen. Die Wirksamkeit und Sicherheit der höheren Dosierung von Nusinersen werden derzeit in der laufenden DEVOTE-Studie untersucht.
Außerdem wurden Muskelspezifische microRNAs (myomiRs) im Blut und Liquor von SMA-Patienten als Biomarker untersucht, um die Reaktion der Patienten auf Nusinersen zu überwachen. Daten einer Studie von Zaharieva et al. zeigen die unterschiedliche Expression von microRNAs als Reaktion auf die Nusinersen-Behandlung bei Personen mit SMA und unterstreichen die potenzielle Anwendung ausgewählter zirkulierender microRNAs als Biomarker bei dieser Erkrankung.
Im Gegensatz zur Steigerung der SMN-Produktion durch Targeting von SMN2 zielt ein anderer therapeutischer Ansatz darauf ab, das SMN1-Gen in die neuralen Zellen zu übertragen. Unter verschiedenen Gentransportvektoren erwies sich in aktuellen Studien das selbstkomplementäre Adeno-assoziierte Virus 9 (AAV9) als das vielversprechendste, da es in der Lage ist, die Blut-Hirn-Schranke zu überqueren und somit etwa 60 % der Zellen infizierte.
Die erste AAV9-SMN1-Gentherapie, Zolgensma® (Onasemnogen Abeparvovec), wurde 15 Typ-1-SMA-Patienten verabreicht und zeigte in einer Phase-I/IIa-Studie eine signifikante Verbesserung der Motorik und des Überlebens. Die Follow-up-Studie bestätigte weiterhin eine signifikante Wirksamkeit einer frühen Therapie. Die vorläufigen Daten aus einer laufenden offenen Phase-III-Studie mit Typ-1-SMA-Säuglingen zeigen weiterhin vielversprechende Ergebnisse.
Die multizentrische, open-label Phase-III-Studie STR1VE-EU evaluierte außerdem die Wirksamkeit und Sicherheit der Genersatztherapie mit Onasemnogen-Abeparvovec. Die Einschlusskriterien waren weiter gefasst als in der STR1VE-US-Studie (so waren beispielsweise schwerer erkrankte Säuglinge zugelassen). Von August 2018 bis September 2020 wurden 41 Kinder unter sechs Monaten (180 Tage) mit SMA-Typ-1 gescreent, 33/34 schlossen die Studie ab. Das primäre Outcome war die Fähigkeit der Kinder, bis zum Alter von 18 Monaten für mindestens zehn Sekunden frei zu sitzen. 31/32 der behandelten Kinder (97%) überlebten ohne unterstützende Beatmung über 14 Monate gegenüber 6/23 PNCR-Kindern (26%; p<0,0001).
Zolgensma® ist zur intravenösen Anwendung bestimmt und sollte mit der Spritzenpumpe als einzelne intravenöse Infusion langsam über einen Zeitraum von etwa 60 Minuten verabreicht werden und darf nicht als schnelle intravenöse Infusion oder Bolus appliziert werden.
Das Potenzial der Verteilung sowohl im zentralen als auch im peripheren Gewebe macht den niedermolekularen Wirkstoff Risdiplam zu einem wirksamen Therapeutikum zur Behandlung von SMA als Ganzkörpererkrankung. Risdiplam ist ein oral verabreichter, zentral und peripher verteilter mRNA-Spleißmodifikator für das Überleben von Motoneuron 2 (SMN) zur Behandlung von spinaler Muskelatrophie.
Beide Studien bei Typ-1-SMA-Patienten (FIREFISH) und bei Typ-2- und -3-Patienten (SUNFISH) zeigten nicht nur einen signifikanten Anstieg des SMN-Proteins im Blut, sondern auch eine Verbesserung der motorischen Funktion mit ereignisfreiem Überleben.
Außerdem können Eltern seit kurzem ihre Babys nach der Geburt im Rahmen des Neugeborenenscreenings auf spinale Muskelatrophie testen lassen. Dies und die vielfältigen neuen Therapieoptionen bringen frischen Wind in die Therapie der Spinalen Muskelatrophie.
Bildquelle: Olenka Kotyk, Unsplash