Als niedergelassene Internistin werde ich regelmäßig zum Notdienst in KV-Praxen verpflichtet. Das macht aber nicht für jeden Facharzt Sinn – Ärger mit der Notaufnahme ist vorprogrammiert.
Im gesamten Bundesgebiet sind zahlreiche KV-Praxen an Akutkrankenhäuser angegliedert. Die KV- Praxen dienen am Wochenende und an Feiertagen dazu, Patienten zu versorgen, deren medizinischer Bedarf zwar besteht, aber nicht so hoch ist, als dass sie in die Notaufnahme gehen müssten. Soweit die Theorie.
Niedergelassene Ärzte jeder Fachrichtung werden also verpflichtet und eingeteilt, KV-Dienste zur Versorgung der Bevölkerung zu übernehmen. Diese noble Tätigkeit birgt jedoch Konfliktpotenzial in zahlreichen Punkten.
In eine KV-Praxis ohne spezifischen Schwerpunkt kann jedes nur erdenkliche Krankheitsbild einschlagen. Ich persönlich, als Internistin mit langjähriger Erfahrung im Akutkrankenhaus, habe meinen ersten akuten Glaukomanfall in der KV-Praxis gesehen. Glücklicherweise habe ich ihn erkannt und an ein universitäres Haus verwiesen, wo der Patient sogleich operiert wurde.
Nicht umsonst muss als Voraussetzung für die Übernahme der Dienste eine Berufshaftpflichtversicherung über 3. Millionen Euro bestehen – Malpraxis lauert an jeder Ecke. Mit gastroenterologischem Schwerpunkt fällt es mir vergleichsweise leicht, Bäuche zu beurteilen und einzuschätzen, ob der Patient eingewiesen werden muss oder nicht. Mit spärlichem Labor und ohne Ultraschall ist auch dies eine Aufgabe die mit Respekt angegangen werden muss.
Eine Patientin mit gynäkologischen Beschwerden habe ich dafür einmal auf der Liege von Außen gynäkologisch inspiziert, einen vermeintlichen „Knubbel“ entdeckt und die Patientin ebenfalls in die Gynäkologie geschickt. Nach meinem Anruf erklärte mir der freundliche Kollege, dass dies normal sei und keinesfalls pathologisch. Das führte bei mir zu Irritation und bei ihm zu Gelächter, als ich ihn darüber aufklärte, dass es bei mir untenrum aber anders aussähe.
Bedauerlich und im Grunde auch skandalös erscheint mir die Tatsache, dass geschätzte Kollegen aus allen Fachrichtungen für diese Dienste zwangs-rekrutiert werden. Geschätzte Fachärzte für Kinder und Jugend-Psychiatrie haben wenig somatische Berührungspunkte. Zwar kann der Patient froh sein, auf einen Dermatologen im Dienst zu treffen, wenn er ein dermatologisches Problem hat – aber ansonsten? Radiologen die zwangsverpflichtet werden, sind Meister ihrer Fachrichtung von der sonst wenige was verstehen, aber eine körperliche Untersuchung? Medikamente verschreiben? Und Pathologen???
Es ist bei Weitem nicht so, dass jeder, der vor 20 Jahren das Medizinstudium absolviert hat, gewisse Erkrankungen leicht erkennt und weiß was damit anzufangen ist – zu speziell sind unsere Ausrichtungen.
Der Patient geht aber davon aus, dass er auf einen Arzt trifft, der ihm hilft. Dass es sich dabei um einen Arzt handelt, der ggf. seit Jahren keinen Menschen mehr untersucht hat, weiß er nicht. Ist die KV wirklich davon überzeugt, so eine adäquate und gute Versorgung zu garantieren? Geht es überhaupt darum? Ich weiß es nicht. Glücklicherweise können die niedergelassenen Kollegen die Dienste an sogenannte Pool-Ärzte abgeben, die diese gerne freiwillig übernehmen.
Regelmäßiger Konfliktpunkt sind Kommentare aus der Notaufnahme, meistens des Pflegepersonals (Kein Bashing!), die sich darüber beschweren, dass die KV-Praxis zu viele Patienten in die Notaufnahme schickt. Es sei betont, dass Patienten mit jeglichen Beschwerden von der Pforte direkt in die Notaufnahme geschickt werden müssen – außer es ist offensichtlich ein Arm amputiert. Sonst gibt es Ärger mit der Notaufnahme. Und es sei auch nochmal betont, dass auch ein Radiologe in der KV-Praxis sitzen kann, der natürlich lieber einen Bauch zu viel als zu wenig schickt, was absolut verständlich und legitim ist. Das Problem liegt also mitnichten nur beim Arzt.
So trug es sich zu, dass an einem KV-Dienst eine Dame mit Verdacht auf Blinddarm kam, die ich eingewiesen habe. Die Diagnose bestätigte sich und die Patientin wurde sogleich operiert. Eine andere Dame hatte seit 24 Stunden immer wieder Sprachstörungen und eine Bewegungseinschränkung des linken Armes, auch sie habe ich eingewiesen mit V.a. Schlaganfall/TIA – was sich auch bestätigte. Warum die Dame, die offensichtlich in die Notaufnahme gehörte, in die KV-Praxis verwiesen wurde, weiß nur der liebe … Pförtner. Ach ja, die Notaufnahme macht sonst ärger. Ein ausgeklügeltes Triagesystem, ganz im Sinne der Patienten (Vorsicht, Ironie!).
Am gleichen Tag kam ein Herr, der sich einen Tag zuvor in den Nagel geschnitten hatte und dort nun eine ausgeprägte lokale Infektion entwickelte. Der Zeh war geschwollen, gerötet, deutlich druckdolent, Eiter floss. Ein Notfall? Ein kurzer Anruf beim Chirurgen der Notaufnahme mit der Bitte, ob er sich den Zehennagel anschauen könne und mit mir auf dem kurzen Dienstweg entscheiden könne, was zu tun ist. Er kam vorbei und sofort stand fest, dass eine Nagelkeilexzision erfolgen muss und ich eine Einweisung für die Notaufnahme erstellen soll. Der Patient war froh, dass ihm geholfen wird und ich hatte ebenfalls ein gutes Gefühl.
In den folgenden Tagen kam der Patient regelmäßig in die KV-Praxis zum Verbandswechsel nach der erfolgten Nagelkeilexzision.
Einige Tage nach dem besagten Fall wurde mir zugetragen, die Schwestern der Notaufnahme seien sehr erbost, weil die Internistin der KV-Praxis eingewachsene Zehennägel in die Notaufnahme schicke. Man ließ mir ausrichten „nicht mehr so viel rüber zu schicken“. Ich frage mich, ob es wirklich der richtige Weg ist, Einweisungen in die Notaufnahme aufgrund möglicher Befindlichkeitsstörungen mit einer hohen Hemmschwelle zu versehen – für einige Kollegen vielleicht so hoch, dass sie lieber Patienten Heim schicken, als einzuweisen.
Das Wohl des Patienten sollte für uns an erster Stelle stehen. Es wäre schön, im allgemeinen Chaos des Gesundheitssystems in dem wir zurechtkommen müssen, sich das Leben nicht noch schwerer zu machen, als es sowieso schon ist – auch wenn es eine Raucherpause weniger bedeutet.
Bildquelle: Roberto Nickson, unsplash