Interessenverlust, Freudlosigkeit, Antriebsmangel – alles Hauptsymptome von Depression. Aber was passiert bei der psychischen Störung im Gehirn? Forscher zeigen: Depressive Störungen verändern Immunzellen.
Eine aktuelle Studie der TU Dresden und der Universität Zürich in Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts stellt erstmals einen Zusammenhang zwischen depressiven Störungen und mechanischen Merkmalen aller wichtigen Blutzelltypen her. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass depressive Störungen und insbesondere anhaltende depressive Störungen mit einem allgemeinen Anstieg der Verformbarkeit von Immunzellen einhergehen, was auf eine verschlechterte Zellfunktion hinweisen könnte und die generelle Erschöpfung bei vielen Depressionspatienten erklären könnte.
Interessenverlust, Freudlosigkeit, Antriebsmangel und erhöhte Ermüdbarkeit – all diese Beschwerden gehören zu den Hauptsymptomen von Depression, an der in Deutschland schätzungsweise fünf Prozent der Bevölkerung leidet. Pathophysiologische Merkmale depressiver Störungen sind häufig chronische Entzündungen geringen Ausmaßes und ein erhöhter Glukokortikoidausstoß. In einer neuen Studie, die in der Fachzeitschrift Translational Psychiatry veröffentlicht wurde, stellen Forscher der Technischen Universität Dresden, der Universität Zürich sowie des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts und des Max-Planck-Zentrums für Physik und Medizin Erlangen erstmals einen Zusammenhang zwischen depressiven Störungen und mechanischen Veränderungen der Blutzellen her.
Dafür führten die Forscher eine Querschnitts-Fall-Kontroll-Studie durch, bei der eine bildbasierte morpho-rheologische Charakterisierung von unmanipulierten Blutproben erfolgte, die eine Verformbarkeitszytometrie in Echtzeit (RT-DC) ermöglichte. 69 Personen mit einem hohen Risiko für depressive Störungen und 70 gesunde Kontrollpersonen wurden in die Studie aufgenommen und mit dem „Composite International Diagnostic Interview“, einem weltweit anerkannten klinischen Interview für psychiatrische Störungen, klinisch untersucht. Mit Hilfe der KI-Methode des Deep Learnings, angewendet auf über 16 Millionen Blutzellbildern, wurden die wichtigsten Blutzelltypen klassifiziert und Parameter wie Zellgröße und Zellverformbarkeit jeder einzelnen Zelle quantifiziert.
Dabei fanden die Wissenschaftler heraus, dass periphere Blutzellen bei Patienten mit depressiven Störungen im Vergleich zu Kontrollpersonen verformbarer waren, während die Zellgröße nicht beeinflusst wurde. Personen, die über den Lebensverlauf an einer persistierenden depressiven Störung gelitten hatten, weisen eine erhöhte Zellverformbarkeit bei Monozyten und Neutrophilen auf, während sich bei einer gegenwärtigen persistierenden depressiven Störung Erythrozyten stärker verformten. Auch Lymphozyten waren bei Personen mit einer aktuellen depressiven Störung stärker verformbar.
Damit zeigt die Studie erstmals, dass depressive Störungen und insbesondere persistierende depressive Störungen, welche über einen Zeitraum von über zwei Jahren anhalten, mit einer erhöhten Deformierbarkeit der Blutzellen einhergehen. Während alle großen Blutzellen zu einer erhöhten Verformbarkeit neigen, sind Lymphozyten, Monozyten und Neutrophile am stärksten betroffen. Dies deutet darauf hin, dass bei depressiven Störungen mechanische Veränderungen der Immunzellen auftreten, die für eine anhaltende Immunreaktion ursächlich sein könnten. Mit der Identifizierung dieses Pathomechanismus könnten zukünftig neue Möglichkeiten zur Therapie einhergehen, welche die dysfunktionale Zellfunktion über die Verbesserung zellmechanischer Prozesse wiederherstellen könnte.
Für Erstautor Dr. Andreas Walther, der die Studie an der Professur für Biopsychologie der TU Dresden durchgeführt hat und mittlerweile am Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Zürich tätig ist, bedeutet es viel, sowohl biologische als auch psychologische Therapien voranzutreiben, welche depressive Störungen auf lange Sicht effizienter und nachhaltiger therapieren.
„Wir arbeiten parallel an der Erforschung pharmakologischer Therapien zur Verbesserung einer dysfunktionalen Biologie sowie an psychologischen Therapien zur Verbesserung dysfunktionaler kognitiver und emotionaler Prozesse. Meines Erachtens lässt sich nämlich nur in einem holistischen Ansatz dieses komplexe Störungsbild verstehen und effizient therapieren – und hoffentlich in Zukunft viel Leid verhindern.“
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Technischen Universität Dresden. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Pawel Czerwinski, unsplash