Aspirin als Kardio-Prävention – ist das wirklich hilfreich? Aktuelle Empfehlungen revidieren den Status quo und empfehlen nur ganz bestimmten Patientengruppen die Therapie.
Seit vielen Jahren befassen sich randomisierte Studien mit der Frage, ob niedrig dosierte Acetylsalicylsäure (ASS) zur Primärprävention kardiovaskulärer Ereignisse eingesetzt werden sollte. Ihre Ergebnisse sind oft uneinheitlich und einem kardioprotektiven Nutzen steht ein potenziell erhöhtes Blutungsrisiko gegenüber. Die US Preventive Services Task Force (USPSTF), die das US-amerikanische Gesundheitsministerium zur Vorbeugung von Krankheiten berät, hat aktuell ihre Empfehlungen zur Primärprävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit ASS deutlich zurückgenommen. Die Stellungnahme wurde vor wenigen Wochen im US-Ärzteblatt publiziert. Es handelt sich um die sechste Version.
Die tägliche prophylaktische Gabe von ASS sollte laut aktueller Stellungnahme nur bei Erwachsenen im Alter von 40 bis 59 Jahren begonnen werden, wenn das 10-Jahres-Risiko einer atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankung größer als 10 % ist – und auch dann sei der Nutzen begrenzt. Aufgrund eines ungünstigen Risiko-Nutzen-Verhältnis sollte ab dem 60. Lebensjahr nicht mehr mit einer Prävention begonnen werden. Laut der Autoren könne allerdings eine früher begonnene Primärprävention bis zum Alter von 75 Jahren fortgesetzt werden.
Für Personen ab 60 Jahren ohne kardiovaskuläre Vorerkrankungen und ohne bekannte Blutungsrisiken wird eine D-Empfehlung gegen den Beginn einer ASS-Prophylaxe ausgegeben. Eine D-Empfehlung wird ausgesprochen, wenn eine mittlere oder hohe Sicherheit besteht, dass die Einnahme keinen Nettonutzen hat oder dass die Nachteile überwiegen. Für Patienten im Alter 40 bis 59 Jahren mit einem 10-Jahres- Risiko von 10 %, ein kardiovaskuläres Ereignis zu erleiden, wird eine C-Empfehlung ausgesprochen. Dies bedeutet, dass ausgewählten Personen nach einer gemeinsamen Besprechung zur Einnahme geraten werden kann. Eine Schutzwirkung vor Darmkrebs sei laut der USPSTF nicht mehr belegt.
Die Vorteile von Aspirin für die Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen scheinen für eine niedrige Dosis (≤ 100 mg/Tag) und für alle Dosen, die in Präventionsstudien untersucht wurden (50 bis 500 mg/Tag), ähnlich zu sein, so die Autoren. In den USA wird am häufigsten 81 mg/Tag (low dose) verschrieben.
Zum Vergleich hatte die USPSTF in ihrer ersten Version aus dem Jahr 1989 nur Männern ab 40 Jahren mit koronaren Risikofaktoren und geringem Blutungsrisiko die Einnahme von ASS empfohlen. Die Empfehlung beruhte damals auf zwei Studien, an denen ausschließlich männliche Mediziner teilgenommen hatten. Diese Empfehlung wurde im Jahr 1996 von Experten wieder zurückgezogen. Als Grund hieß es, dass Nutzen und Risiko zu nahe beieinander lägen.
Zu einer erneuten Kursänderung kam es im Jahr 2002 nach einer Veröffentlichung von drei weiteren Studien. Den Ärzten wurde nun nachdrücklich geraten, Patienten bei einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen auf die Möglichkeit einer prophylaktischen ASS-Einnahme hinzuweisen. Im Jahr 2009 wurde die Empfehlung für Männer im Alter von 45 bis 79 Jahren und für Frauen im Alter von 55 bis 79 Jahren konkretisiert.
Im Jahr 2016 wurden diese Empfehlungen teilweise zurückgenommen. Hier schränkte die USPSTF ihre Empfehlung wieder ein – auf Personen mit einem kardiovaskulären 10-Jahres-Risiko von mindestens 10 %, deren Lebenserwartung mindestens 10 Jahre betragen sollte und die kein erhöhtes Blutungsrisiko hatten. In den Empfehlungen von 2016 wurde erstmals die Prävention von Darmkrebs als potenzieller Nutzen einer prophylaktischen ASS-Gabe aufgeführt. In der aktuellen Version wird das Nutzen-Risiko-Verhältnis nun noch kritischer beurteilt.
Die Empfehlungen des American College of Cardiology (ACC) und der American Heart Association (AHA) sind ähnlich zurückhaltend: Die Anwendung von niedrig dosiertem Aspirin (75 bis 100 mg/Tag) zur Primärprävention von atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei ausgewählten Erwachsenen im Alter von 40 bis 70 Jahren mit höherem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber nicht mit erhöhtem Blutungsrisiko, könne in Betracht gezogen werden. Die routinemäßige Anwendung von niedrig dosiertem Aspirin zur Primärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen bei Erwachsenen über 70 Jahren oder bei Erwachsenen jeden Alters mit erhöhtem Blutungsrisiko wird nicht empfohlen.
Die 2021 veröffentlichte Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) spricht sich ebenfalls gegen eine allgemeine Primärprävention mit ASS aus. Begründet wird dies mit einer 2009 in The Lancet veröffentlichten Meta-Analyse. Laut dieser reduziere Low-Dose-ASS zwar das Risiko für schwere kardiovaskulärer Ereignisse um 12 %, allerdings kam es zu einem signifikanten Anstieg gastrointestinaler Blutungen.
Die US-Präventionsmediziner raten, über eine Primärprophylaxe mit ASS für bestimmte Patienten mit kardiovaskulären Risiken auf individueller Basis zu entscheiden. Eine routinemäßige Prävention wird nicht empfohlen, denn einem eventuellen kardioprotektiven Nutzen steht ein potenziell erhöhtes Blutungsrisiko gegenüber. Insgesamt erfolgte eine Einschränkung der Empfehlungen zur Primärprävention mit ASS durch die US-Behörde.
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