Wie entsteht Krebs? Wie verändert die zelluläre Zusammensetzung eines Tumors dessen maligne Eigenschaften? Eine neue Technologie liefert Antworten.
Proteine sind die wichtigsten Puzzlestücke für eine Vielzahl von Krankheiten. Sie werden auch als die „molekularen Arbeitspferde der Zelle“ bezeichnet. Ihre korrekte Funktion entscheidet über die Funktionsfähigkeit einer Zelle und damit auch über die eines Individuums. Matthias Mann erklärt: „Wenn etwas in unseren Zellen nicht richtig funktioniert und wir krank werden, kann man sich sicher sein, dass Proteine auf unterschiedlichste Weise beteiligt sind. Aus diesem Grund kann die Kartierung der Proteinlandschaft uns dabei helfen folgendes herauszufinden: Warum konnte sich ein Tumor in einem bestimmten Patienten entwickeln? Welche Schwachpunkte hat dieser Tumor und welche Behandlungsmethode ist vorteilhaft?”
Angeregt durch diese Fragen hat ein fachübergreifendes Forschungsteam, unter der Leitung von Matthias Mann am Max-Planck-Institut (MPI) für Biochemie bei München und am Zentrum für Proteinforschung (CPR) der Novo Nordisk Stiftung, an der Universität von Kopenhagen in Dänemark, eine innovative neue Methode entwickelt. In der Studie werden visuelle Merkmale eines Tumors mit einer Deep-Profiling-Technik bestimmt, um Proteine in abnormen Zellgruppen zu analysieren, die an die umgebenden gesunden Zellen angrenzen. Diese Herangehensweise kann Forschern einen noch nie dagewesenen Einblick in Krebserkrankungen geben und Onkologen darin unterstützen, gezielte Strategien für die Diagnose und Therapie zu erstellen.
„Deep Visual Proteomics” integriert zum ersten Mal die Vorteile vier verschiedener Technologien in einer einzigen Methodik:
„Unser neues Konzept ‚Deep Visual Proteomics‘, könnte ein Paradigmenwechsel für die molekulare Pathologie in der Klinik werden. Mit dieser Methode nehmen wir eine Gewebeprobe mit Tumorzellen und können innerhalb kürzester Zeit und mit geringem Aufwand tausende Proteine identifizieren. Diese Proteomanalysen enthüllen Mechanismen, welche die Tumorentwicklung antreiben. Somit können aus einem einzigen Gewebeschnitt einer Patienten-Biopsie direkt neue therapeutische Ziele abgeleitet werden. Es zeigt einen Kosmos an Molekülen innerhalb dieser Krebszellen auf”, sagt Andreas Mund, außerordentlicher Professor am CPR und Teil des Teams um Matthias Mann.
In der Studie konnten die Forscher „Deep Visual Proteomics” auf Zellen von Patienten mit Speicheldrüsen- und Hautkrebs anwenden. Lise Mette Rahbek Gjerdrum, Professorin für klinische Forschung am Seeland Universitätskrankenhaus in Roskilde und der Abteilung für klinische Medizin an der Universität Kopenhagen beschreibt: „Diese einzigartige Methode kombiniert die Analyse der Gewebearchitektur mit der Analyse des Proteoms, die für die ausgewählten Zellen spezifisch sind. Wir konnten kürzlich einen klinisch hochkomplexen Fall mit Hilfe der ‚Deep Visual Proteomics‘-Analyse diagnostizieren.“
Dr. Fabian Coscia, einer der beiden Erstautoren der Studie und seit Juni 2021 Leiter der Forschungsgruppe „Spatial Proteomics“ am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin sagt: „Die Technik kann auch für die Charakterisierung anderer Tumorarten in ähnlicher Weise angewendet werden.“ Sein Ziel ist es, mit Hilfe der archivierten Daten der Biobanken neue Angriffspunkte für individuelle Krebstherapien offen zu legen und dadurch auf die Patienten zugeschnittene Therapieformen zu entwickeln − auch für bisher therapieresistente Tumore.
Es sind nicht nur Krebserkrankungen, die mittels „Deep Visual Proteomics” besser verstanden werden können. Die Methodik kann auch auf andere Krankheiten angewendet werden. „Man kann beispielsweise die Proteine einer Nervenzelle analysieren, um herauszufinden, was genau in einer Zelle im Verlauf von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson passiert“, so Coscia weiter.
„Durch die Kombination von Mikroskopie, künstlicher Intelligenz und hochempfindlicher, massenspektrometrie-basierter Proteomik, haben wir eine sehr leistungsfähige Methode entwickelt, um die molekulare Verschaltung von gesunden und kranken Zellen zu verstehen. Das könnte Ärzten dabei helfen, Ziele für zukünftige Medikamente und Diagnosen zu identifizieren’’, schließt Matthias Mann ab.
Dieser Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Biochemie. Zur Originalpublikation kommt ihr hier.
Bildquelle: National Cancer Institute, unsplash