Was macht einen guten Chef aus? Für mich gehört dazu, dass ich mich vor mein Team stelle, wenn Patienten Stress machen. Aber damit ist es noch lange nicht getan.
Heute möchte ich mich mal mit einem Thema beschäftigen, was mir momentan oft keine Ruhe lässt: Wie wird man eigentlich ein guter Chef?
In größeren Gesprächsrunden erzählen ja häufig Leute davon, was sie so auf der Arbeit erleben und da kommen Chefs oft nicht richtig gut weg. Was dazu passt, dass in Umfragen bis zu 15 % der Leute angeben, bereits „innerlich gekündigt“ zu haben und ca. 70 % nur „Dienst nach Vorschrift“ machen.
Jetzt werde ich zum Jahreswechsel auf die „Chefseite“ wandern. Und ja, ich sehe Chefsein nicht primär als Ort der Selbstverwirklichung, sondern meine Aufgabe auch darin, ein Umfeld zu schaffen, in dem die Patienten natürlich gut versorgt werden und meine Angestellten zufrieden zur Arbeit kommen.
Mir ist klar, dass das nicht immer der Fall sein wird, weil es immer mal wieder blöde Situationen gibt. Aber im Großen und Ganzen möchte ich schon etwas dafür tun, damit meine Angestellten zu denjenigen gehören, die insgesamt zufrieden mit ihrer Arbeit (und mir als Arbeitgeber) sind.
Welche Aspekte machen also meiner Meinung nach einen guten Chef aus?
Einer der zentralen Punkte ist, dass man als Chef zeigt, dass JEDER im Team zum großen Ganzen beiträgt. Ich mag als Arzt zwar weisungsbefugt sein, aber das heißt nicht, dass ich allwissend und unfehlbar bin. MFAs sind ebenso Profis wie wir Ärzte – nur eben in einem anderen Bereich. Und ich finde es wichtig, dass man das auch zeigt. Momentan bitte ich gerade bei den Ziffern oft die MFAs um Hilfe und auch diverse Verbände machen sie sicherlich viel routinierter und besser als ich. Dafür ist man ja ein Team – jeder trägt seinen Teil dazu bei.
Aber es sollte in einem Team auch nie ein Problem sein, mal um Hilfe zu fragen. Ich weiß, dass das nicht alle Ärzte so sehen, aber ich habe auch bei den Patienten nie das Gefühl gehabt, dass das irgendwie komisch ankommt.
Mein Vater war auch Hausarzt und sein Credo war „ein guter Chef steht vor, neben und hinter seinen Angestellten“. Das heißt nicht, dass in seinem Team keine Fehler passiert sind und er das nicht auch klar zur Sprache gebracht hat. Sondern, dass oft gerade die MFAs den Patientenfrust abbekommen, wenn etwas nicht so läuft, wie der Patient sich das vorgestellt hat. Auch wenn sie überhaupt nichts dafür können. Ich habe das oft mitbekommen. Ganz besonders beim Thema Impfungen letztes Jahr, aber auch das Thema Wartezeiten ist oft Anlass für Ärger. Selbst wenn die Leute ohne Termin akut vorbeikommen und völlig klar ist, dass wir so schnell machen, wie es geht, aber es einfach aufgrund des Patientenaufkommens zu längeren Wartezeiten kommt.
Wenn ich es mitbekomme, spreche ich die Patienten da auch direkt drauf an, aber manchmal bekomme ich es eben nicht mit. Dann bin ich dankbar, wenn meine MFAs mir kurz Rückmeldung geben, damit ich das Thema ansprechen kann.
Meine (bisher) krasseste Situation: Eine der MFAs nahm mich beiseite, bevor ich zu einem Verbandswechsel bei einem Patienten ging, weil er in der Woche davor eine andere MFA so zusammengestaucht hatte, dass sie wirklich den Tränen nahe gewesen war. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon beim nächsten Patienten gewesen und hatte das nicht mitbekommen. Als ich ihn also beim Verbandswechsel darauf ansprach, kam von ihm „er sei halt so, damit müsse man umgehen“. Sowas finde ich eine absolute Frechheit – man kann auch als Patient nett zu anderen sein (und er hatte ja gar nichts konkretes zu bemängeln, sondern musste „nur mal Frust ablassen“).
Ich habe ihm daraufhin sehr klar gesagt, dass ich einen solchen Umgangston in der Praxis nicht dulde und er sich, wenn er das nicht kontrollieren könne, eine andere Praxis suchen müsse. Das war in 11 Jahren Praxis bisher das einzige Mal, dass ich so etwas überhaupt gesagt habe – aber da muss ich mein Team schützen. Fertig. Er hat übrigens nicht gewechselt, sondern seinen Ton deutlich gemäßigt. Und mein Chef war damit auch absolut einverstanden; er war zu der Zeit in Urlaub und damit war klar, dass ich die Situation direkt lösen muss.
Also: Rückhalt ist definitiv ein Punkt. Ich denke, dass meine MFAs (und auch Kollegen) wissen, dass sie diesen Rückhalt haben. Ich bin sicher nicht immer von allen Entscheidungen begeistert, aber insgesamt sind wir alle so auf einer Wellenlänge, dass das läuft.
Welche Punkte gibt es noch?
Geld ist immer ein Punkt – und ja bekanntermaßen oft der, bei dem die Freundschaft aufhört. Da bin ich mal gespannt. Für mich ist völlig klar, dass ich auf keinen Fall untertariflich bezahlen werde (auch wenn ich das immer wieder noch aus anderen Praxen höre). Ob es dann bei Tarif bleibt oder drüber geht, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Sicherlich werde ich gerade in den ersten Jahren keine großen Sprünge machen und erst einmal konsolidieren müssen.
Und danach muss man halt schauen, wie die Faktoren sind. Wieviel Engagement zeigt derjenige? Gibt es andere Bereiche, in denen ich entgegen komme (z. B. Arbeitszeiten)? Das finde ich noch sehr schwierig, abzuschätzen. Gerade bei angestellten Ärzten ist ja auch irgendwann einfach der Gehaltsdeckel erreicht (mein Chef sagt immer, irgendwo bei 80.000 Euro Vollzeitgehalt pro Jahr ist für ihn Schluss, weil sonst derjenige faktisch einen höheren Stundenlohn hat als mein Chef selbst). Mal sehen.
Das stellt sich für mich gerade deutlich schwieriger dar als gedacht. Ich dachte, dass es da wahrscheinlich gut wäre, die gesetzlichen Grundlagen als Basis zu nehmen und dann ggf. noch zu erweitern. Also: Arbeitszeiterfassung (wie ja vom EU-Gerichtshof gefordert), Arbeitszeiten gemäß des Arbeitszeitgesetzes, etc.
Abert da geht es schon los: Es gibt mehrere Angestellte, die einer Arbeitszeiterfassung doch eher skeptisch gegenüberstehen. Das sei unnötig, umständlich und wird eher als Misstrauensbeweis denn als Mitarbeiterschutz gesehen. Manche würden am liebsten in einer Art arbeiten, die nicht mit dem Arbeitszeitgesetz vereinbar ist. Worum es zum Beispiel geht? Wenn man nach 6,5 Stunden Arbeitszeit die Kinder aus dem Kindergarten abholen kann, ist das zwar schön, aber die letzte halbe Stunde ist faktisch umsonst, weil der Arbeitgeber bei mehr als 6 Stunden eine Pause von 30 Minuten einplanen MUSS. Das ist für einige Eltern nicht ganz unproblematisch (vor allem, wenn man wegen der Kinderbetreuung auf bestimmte Zeiten angewiesen ist, aber auch das Geld natürlich braucht und nicht beliebig reduzieren kann).
Andere sagen, dass sie aufgrund von Anfahrtsweg und der Tatsache, dass z. B. die Großeltern nur an einem Tag in der Woche aufpassen können, am liebsten sogar an diesem Tag regelhaft mehr als 8 Stunden arbeiten möchten.
Das darf ich aber schlichtweg nicht erlauben. Selbst wenn mich meine Mitarbeiter darum bitten. Ja, es gibt Branchen, bei denen das im Rahmen des Tarifvertrags möglich ist (z. B. Baubranche), aber Hausarzt-Praxen gehören da nicht zu. Das hat mir auch eine Rechtsanwältin, die ich dazu befragt habe, so bestätigt. 8 Stunden ist der Standard, 10 gehen nur in Ausnahmefällen.
Und jetzt? Ich möchte ein guter Chef sein und auf die Bedürfnisse meiner Mitarbeiter eingehen – aber was macht man in so einer Situation, in der Arbeitsschutz mit Mitarbeiterwunsch kollidiert? Der Arbeitsschutz existiert ja auch nicht ohne Grund. Längeres Arbeiten bedeutet halt auch eher mal Fehler, weil man sich einfach nicht so lange konzentrieren kann. Und ich möchte ja auch nicht, dass meine Mitarbeiter sich für mich krank arbeiten, weil sie sich überlasten. Aber ich kann die Praxiszeiten ja auch nicht beliebig verschieben, sondern muss auch für die arbeitenden Patienten entsprechende Angebote an Randzeiten machen. Wo es dann aber schwieriger ist, Mitarbeiter zu finden, die da dann eine Kinderbetreuung haben und arbeiten können.
Ich muss gestehen, dass ich für dieses Zeit-Problem echt noch keine Lösung habe (hat jemand Ideen? Gerne in die Kommentare schreiben).
Grundsätzlich glaube ich, dass ich schon grob weiß, worauf es als Chef ankommt. Aber wenn man es dann konkret umsetzen soll, ist es nicht immer einfach, wie man am obigen Beispiel merkt.
Ein paar Freunde sagten mir, dass allein schon meine Überlegungen dafür sprechen, dass ich ein guter Chef werde. Aber nur schöne Worte und Gedanken machen noch keinen guten Chef. Deswegen werde ich versuchen müssen, die obigen Aspekte in mehr oder weniger konkrete Verhaltensweisen umzusetzen.
Ich hoffe, das gelingt. Denn wie heißt es schon bei Batman Begins?
„Aber was man im Inneren ist, zählt nicht. Das was wir tun, zeigt wer wir sind.“
Bildquelle: Usman Yousaf, unsplash