Über Flüchtlinge aus der Ukraine könnte es in Deutschland wieder zu mehr Tuberkulose-Fällen kommen. Lest hier, auf welche Besonderheiten ihr achten müsst.
Noch sind COVID-19 und ganz aktuell die Affenpocken das Thema der Stunde – für andere Infektionskrankheiten fehlt da im öffentlichen Bewusstsein der Raum. Weiter existieren tun sie natürlich trotzdem, und auch in unseren Breitengraden seltene Krankheiten können jederzeit ein Comeback erleben.
Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin weist in einer Pressekonferenz darauf hin, dass eine altbekannte Krankheit in Deutschland bald wieder steigende Fallzahlen verzeichnen dürfte – die Rede ist von der Tuberkulose. Weltweit ist die Krankheit weit verbreitet; allein im Jahr 2018 infizierten sich weltweit 10 Millionen Menschen, die Fälle konzentrieren sich in Hochinzidenzgebieten (ca. 200 pro 100.000 Einwohner) in Afrika und Asien. In Deutschland liegt die Inzidenz laut Angaben des RKI bei nur etwa 5 Fällen pro 100.000 Einwohnern.
Durch den Krieg in der Ukraine und die Einreise von Geflüchteten ist allerdings auch in Deutschland wieder mit mehr Fällen zu rechen. „In der WHO-Region Europa […] ist die Ukraine das Land mit der höchsten Inzidenz an Tuberkulose-Erkrankten“, erklärt Prof. Torsten Bauer, Präsident der DGP und des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose. Die WHO schätzt die Inzidenz auf ca. 73 Fälle pro 100.000 Einwohner ein.
„In der Regel ist die Tuberkulose […] eine sehr gut behandelbare Erkrankung“, stellt Bauer weiter fest. Die Therapie erfordere zwar eine 6-monatige Einnahme von Antibiotika und es sei nicht möglich, die Erreger komplett zu eliminieren, jedoch sei die Erfolgswahrscheinlichkeit sehr hoch und das Risiko, ein weiteres Mal zu erkranken, gering. Glücklicherweise ist die Tuberkulose auch grundsätzlich weniger infektiös als beispielsweise COVID-19.
Ein Problem ist jedoch: In der Ukraine sind resistente Tuberkulose-Erreger verbreitet, bei denen sich die Behandlung deutlich schwieriger gestaltet. In solchen Fällen müssten die Medikamente für mindestens 18 Monate eingenommen werden, und es komme teilweise auch zur Hort-Entwicklung. Bauer schätzt: „Ungefähr jede dritte Tuberkulose, die aus der Ukraine mit den Menschen nach Deutschland kommt, […] ist eine resistente Tuberkulose und braucht eine Behandlung in speziellen Zentren.“
Deshalb macht die DGP dringend darauf aufmerksam, aus der Ukraine geflüchtete Menschen auf Tuberkulose zu untersuchen. Bei der Aufnahme in Gemeinschaftsunterkünften besteht für Geflüchtete eine gesetzliche Verpflichtung zur Untersuchung; für dezentral oder privat untergebrachte Menschen gilt diese jedoch nicht – ihnen sollte dennoch ein Angebot zur Untersuchung unterbreitet werden.
Dabei möchte die DGP die Hausärzte auch unterstützen: „Da es sich [bei den Geflüchteten] insbesondere auch um […] sehr viele Kinder handelt, haben wir eine aktuelle Empfehlung formuliert, wie mit der Erstuntersuchung bei Kindern aus der Ukraine zu verfahren ist.“ Finden könnt ihr diese Empfehlung hier.
Die wichtigsten Punkte: Im Vergleich zu Erwachsenen haben symptom- und Röntgen-Thorax-basierte Tuberkulose-Screenings bei unter 15-Jährigen eine verringerte Sensitivität und Spezifität. Daher, und um unnötige Strahlungsexposition zu vermeiden, wird bei tuberkulose-gefährdeten Kindern und Jugendlichen zu einer immundiagnostischen Testung geraten. Empfohlen werden Interferon-Gamma-Tests (IGRA) oder Tuberkulin-Hauttests. Bei einem positiven Ergebnis ist dann eine weitere Abklärung und Therapie gemäß bestehender nationaler Empfehlungen angesagt.
Bei Tuberkulose-Fällen von Geflüchteten gibt es noch eine zweite Besonderheit zu beachten, die die Behandlung verkompliziert: „Viele der Tuberkulose-Erkrankten in der Ukraine haben gleichzeitig eine HIV-Erkrankung oder auch eine Hepatitis-Infektion, sodass die Behandlung in Spezialzentren zu erfolgen hat.“
„Wir möchten dafür sensibilisieren, gerade die Jüngsten – bevor sie in Gemeinschaftseinrichtungen, Schulen und Kindergärten gehen – einmal beim Hausarzt vorzustellen“, schließt Bauer, „und wir bitten diesen Hausarzt, dann auch an die Tuberkulose zu denken.“
Bildquelle: Jason Rosewell, unsplash