Die seltene Bewegungsstörung wird mit Elektroden an spezifischen Bereichen des Gehirns therapiert. Entscheidend dabei: Je nach Dystonie-Form müssen die Elektroden unterschiedlich platziert werden. Das zeigt eine aktuelle Studie.
Forscher der Charité – Universitätsmedizin Berlin konnten jetzt wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse für eine verbesserte Behandlung von Dystonie generieren: In der Fachzeitschrift PNAS* zeigen sie, dass es je nach Form der Erkrankung entscheidend ist, ganz bestimmte Netzwerke im Gehirn zu stimulieren, um die Beschwerden der Betroffenen zu lindern.
Die Dystonie ist eine seltene neurologische Erkrankung, bei der die Kontrolle über die Bewegungen gestört ist. In der Folge kommt es zu unwillkürlichen, verdrehenden und verzerrenden Bewegungen und Haltungen. Betroffene können in grundlegenden Tätigkeiten wie Essen, Gehen oder Sprechen eingeschränkt sein. In Deutschland leiden rund 160.000 Menschen unter Dystonie.
Es wird zwischen der generalisierten Dystonie, die den ganzen Körper betrifft, und der fokalen Dystonie, die einzelne Körperteile beeinträchtigt, unterschieden. Zu letzterer zählt die zervikale Dystonie, die sich auf den Hals- und Nackenbereich auswirkt. Die Ursachen der Erkrankung sind noch nicht genau verstanden, angenommen wird eine gestörte Interaktion bestimmter Hirnareale, die zu einer fehlerhaften Signalübertragung führt. Außerdem spielen, je nach Form der Dystonie, genetische Ursachen eine Rolle.
Eine Therapieoption für Patienten mit Dystonie ist eine neurochirurgische Operation, bei der feine Elektroden in spezifische Bereiche des Gehirns implantiert werden. Von dort senden sie sehr schwache elektrische Signale, um die gestörte Hirnaktivität ins Gleichgewicht zu bringen. Diese Hirnschrittmacher sind für Betroffene oft die einzige Möglichkeit, ihre Leiden zu verringern. „Bislang war jedoch unklar, wie genau die Stimulation auf die Symptome bei verschiedenen Formen der Dystonie angepasst werden muss“, erklärt Prof. Andrea Kühn, Leiterin der Studie sowie der Sektion Bewegungsstörungen und Neuromodulation an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie der Charité.
In der Studie untersuchte das Forscherteam um Prof. Kühn insgesamt 80 Patienten, die entweder an generalisierter oder zervikaler Dystonie erkrankt waren. Sie wurden an fünf verschiedenen Kliniken in Deutschland und Österreich mit Tiefer Hirnstimulation (THS) behandelt. Die Wissenschaftler analysierten die genaue Platzierung der Elektroden und konnten anschließend im Computer modellieren, welche Gehirnnetzwerke bei welchem Patienten aktiviert wurden. Die daraus entstandenen Netzwerkkarten glichen sie schließlich mit der Verbesserung der Symptome ab und konnten so Rückschlüsse darauf ziehen, welche Netzwerke für den Therapieerfolg entscheidend waren.
Das zentrale Ergebnis: Das optimale Stimulationsnetzwerk ist davon abhängig, welche Form der Dystonie vorliegt. So sind unterschiedliche spezifische Verbindungen zwischen Thalamus und Pallidum für die bestmöglichen Behandlungseffekte verantwortlich. Bei der Patientengruppe mit zervikaler Dystonie war die elektrische Stimulation eines bestimmten Netzwerkes entscheidend, das unter anderem auch die Hals- und Kopfregion des primären Motorkortexes aktivierte. Hier werden Bewegungen geplant, gestartet und gespeichert, eine Art Kommandozentrale für Bewegungen. Bei der Patientengruppe mit generalisierter Dystonie zeigte sich die Anregung eines anderen Netzwerks als vorteilhaft, das eine Projektion auf den gesamten primären Motorkortex einschloss.
„Unsere Studie zeigt also deutliche Unterschiede der optimalen Stimulationsstellen. Diese entsprechen der somatotopischen Struktur des inneren Pallidums. Das bedeutet, dass die Nervenareale im Gehirn analog zu den repräsentierten Körperregionen angeordnet sind“, sagt der Erstautor der Studie Dr. Andreas Horn von der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie. Prof. Kühn ergänzt: „Da alternative Behandlungsoptionen für Dystonie jenseits der Tiefen Hirnstimulation rar sind, sind unsere Erkenntnisse wichtig, um die Therapie entscheidend zu verbessern. So haben wir in Zukunft die Möglichkeit, noch präziser auf die spezifischen Formen der Erkrankung zu reagieren.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Charité Berlin. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Robina Weermeijer, unsplash