Die Lebensmittelindustrie hat neue Marketingformen für sich entdeckt. Health Claims steigern den Absatz. Manche Versprechen sind aber schlicht übertrieben. In einigen Fällen schaden Zusätze, falls Patienten Arzneimittel einnehmen. Von Lösungen sind Verantwortliche weit entfernt.
Manipulation im Supermarkt: Sogenannte Health Claims tauchen auf zahlreichen Etiketten von Lebensmitteln auf und haben großen Einfluss auf das Kaufverhalten. Das wissen Firmen für ihre Zwecke zu nutzen. Zusammen mit Agrifood Consulting und mit der Georg-August-Universität Göttingen haben Verbraucherschützer jetzt den Markt untersucht – und wenig Schmeichelhaftes entdeckt. „Hersteller tricksen mit Gesundheitsversprechen“, kritisiert der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Bei Kaufentscheidungen zählen primär plakative Hinweise auf der Vorderseite. Lesen Konsumenten beispielsweise „ungesüßt“, glaubt jede zweite Person, das Produkt enthalte auch keine Zuckeraustauschstoffe oder Süßstoffe. Die gesetzlich vorgeschriebene Zutatenliste findet im Alltag nur wenig Beachtung.
Damit nicht genug: Heute schmücken sich fünf Prozent aller Präparate mit einem vermeintlichen Gesundheitsnutzen, berichtet der vzbv. Auf 43 Prozent aller 46 begutachteten Produkte standen Health Claims, die aus Sicht von Verbraucherschützern nicht zulässig sind. Beispielsweise schreiben Hersteller, ihr Produkt „leistet einen wichtigen Beitrag zum Aufbau und der Funktionsfähigkeit der körpereigenen Abwehrkräfte“. Erlaubt ist der abgeschwächte Passus, ein Artikel trage „zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei“. Auch dürfen Produkte mit hohen Zucker- und Fettanteilen keine Health Claims verwenden. Laut vzbv war das bei zehn von 33 untersuchten Artikeln trotzdem der Fall. Ganz klar, die europäische Health-Claims-Verordnung ist Jahre nach ihrem Inkrafttreten noch nicht in der Praxis angekommen.
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) kritisiert außerdem Defizite bei Lebensmitteln mit pflanzlichen Extrakten (Botanicals). Dabei handelt es sich um isolierte, sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe als Zusatz von Speis´ und Trank. Hersteller rühmen heilsame Effekte. Henning Fahrenkamp, Hauptgeschäftsführer des BPI, verlangt jetzt von Regierungsvertretern, „bei der EU darauf zu pochen, dass die Bewertung der Botanicals durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) endlich durchgeführt wird“. Pharmazeuten gehen diese Forderungen nicht weit genug.
Falsche Versprechungen sind eine Sache – manche vermeintlich gesunde Substanz hat weitere Tücken. Pharmazeuten wissen beispielsweise seit Jahren, dass die Stoffe Naringin und Bergamottin aus Grapefruits verschiedene Cytochrome P450 hemmen. Damit erhöht sich die Wirkung zahlreicher Arzneistoffe. Warnungen sind bisher nicht erforderlich. Für Apotheker bedeutet das in letzter Konsequenz, beim Medikationsmanagement nicht nur Rx-Präparate, OTCs und Nahrungsergänzungsmittel zu erfassen. Sie sollten Patienten auch nach Botanicals fragen.