Ein Intensivtagebuch ist ein Tagebuch, das von Pflegenden und Angehörigen in der Zeit geführt wird, die Patient:innen durch Bewusstseinsstörungen oder Bewusstlosigkeit nicht mitbekommen. Wie zum Beispiel bei der Sedierung für eine Beatmung.
In dem Intensivtagebuch werden Ereignisse und Entwicklungen beschrieben, es können Fotos vom Pflegeteam, besuchenden Angehörigen oder den Patient:innen eingeklebt werden. Ein solches Tagebuch hilft den Patient:innen später, die Erinnerungslücke zu schließen und die Zeit der Bewusstlosigkeit zu rekonstruieren. Die Zeit kann so aufgearbeitet und der Krankheitsverlauf besser verstanden und verarbeitet werden.
Der genaue psychologische Mechanismus ist bislang nicht verstanden und die vorhandenen Studien sind so unterschiedlich, dass eine Interpretation schwerfällt. Aber die meisten Studien zu dem Thema zeigen, dass ein Intensivtagebuch einen positiven Effekt hat.
Ohne Bewusstsein zu sein bedeutet für einen Menschen, einen Teil seiner Zeit zu „verlieren“. Die Erinnerung fehlt, die Orientierung auch, manche Eindrücke werden von den Patient:innen jedoch auch in der Bewusstlosigkeit wahrgenommen. Wie viele und welche und wie sie verarbeitet werden ist hoch individuell. Bei einigen Patient:innen können sie im Nachgang zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) führen. Ein Intensivtagebuch hilft den Betroffenen, die Eindrücke zu verarbeiten. Alptraumhafte Erinnerungen können in den richtigen Kontext gestellt werden, was ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Genesung ist. Außerdem können die Patient:innen ihre eigenen Fortschritte nachvollziehen, weil alle wichtigen Schritte im Tagebuch dokumentiert sind. Wie zum Beispiel die ersten wachen Momente (an die die Betroffenen sich meist nicht erinnern) oder der erste Atemzug aus eigener Kraft.
Angehörige fühlen sich beim Anblick eines geliebten Menschen auf der Intensivstation hilflos. Das Gefühl, nichts tun zu können, lähmt und verstört. Mit einem Intensivtagebuch können sie sich ihre Sorgen von der Seele schreiben und sie können auf diese Art mit dem bewusstlos daliegenden Menschen kommunizieren. Und sie haben eine Aufgabe, die sie aktiv übernehmen können, um dem Betroffenen später zu helfen. Das Schreiben hält die Verbindung aufrecht, gibt Sicherheit und Hoffnung, denn das Intensivtagebuch ist auch wie ein Brief. Es wird geschrieben, damit die Patient:innen es später lesen und hilft den Angehörigen dadurch, auf dieses „später“ zu vertrauen.
Ein Intensivtagebuch ist wie ein langer Brief an die Patientin oder den Patienten und sollte demnach auch direkt an sie oder ihn gerichtet sein. Die meisten Betroffenen freuen sich über Fotos, anhand derer sie später ihre Umgebung und auch die Pflegeteams zuordnen können. Fotos von den Patient:innen selbst sind jedoch aus zwei Gründen schwierig: 1. da es den Betroffenen schwer fallen kann, den eigenen Zustand aus dieser Perspektive zu sehen und anzunehmen und 2, weil sie den Fotos im bewusstlosen Zustand nicht aktiv zustimmen und diese im Nachhinein ablehnen können.
Alle Eintragungen sollten mit einem Datum und eventuell sogar mit einer Uhrzeit versehen werden. Solange der Zustand nicht stabil ist, können zwei bis drei Eintragungen pro Tag sinnvoll sein. Später reicht meist ein Eintrag pro Tag. Neben dem Gesundheitszustand, den medizinischen Maßnahmen und den wichtigen Ereignissen auf dem Weg zur Genesung, bietet das Intensivtagebuch auch Raum für die Eindrücke, Gefühle, Sorgen und Ängste der Schreibenden. Je nach Interessen und Lebenssituation der Patient:innen können zusätzlich natürlich auch ein paar Zeilen über den Alltag zu Hause geschrieben werden, ob die Lieblingsmannschaft ein Spiel gewonnen hat oder was sonst so in der Welt passiert ist. Klare Regeln für ein Intensivtagebuch gibt es nicht – wichtig ist, dass die Patient:innen nachvollziehen können, was mit ihnen geschehen ist, wo sie waren und wer sich um sie gekümmert hat.
Beim Weaning erleben viele Patient:innen Rückschläge. Vor allem Hochrisiko-Patient:innen, bei denen die Entwöhnung von der Beatmung bei den ersten Versuchen nicht gelingt, sind oft frustriert. Die Motivation sinkt. Vermutlich könnten diese Patient:innen von der Dokumentation selbst kleinster Fortschritte profitieren. Der Rückblick darauf, wie schlecht es einem Betroffenen noch vor wenigen Wochen oder Tagen ging, könnte den Blick in die Zukunft erleichtern. Fortschritte zu erkennen, hilft dabei, weiterzumachen und motiviert und frustrationstolerant zu bleiben. Aber wie gesagt: Dies ist nur eine Theorie, die bislang nicht systematisch untersucht wurde.
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