Bei Wirbelstürmen oder Überschwemmungen benötigen die Opfer auch Medikamente. Apotheker-Hilfsorganisationen stellen die Versorgung in Katastrophengebieten sicher. Arzneimittelspenden aus Apotheken hierzulande lehnen sie aber ab – das hat mehrere Gründe.
Mit bis zu 260 Stundenkilometern trafen Hurrikans im September auf die Karribik. Sie hinterließen ein Bild der Verwüstung. Menschen starben, Häuser wurden zerstört und Kliniken schwer in Mitleidenschaft gezogen. Ricardo Rosselló sprach als zuständiger Gouverneur vom „zerstörerischsten Sturm des Jahrhunderts“. Dutzende Todesopfer sind zu beklagen, und die Angst vor Seuchen wuchs. Umso dringender war rasche Hilfe erforderlich – nicht nur von Ärzten, sondern auch von Apothekern. .
Anfang Oktober war das erste Einsatzteam der Hilfsorganisation Apotheker ohne Grenzen (AoG) vor Ort. Bei ihrer Ankunft in Roseau, der Hauptstadt von Dominica mit etwa 15.000 Einwohnern, stellten Yasmin Thabet und Bettina Rüdy schwere Schäden an der lokalen Zentralapotheke fest: „Der Lagerraum mit den Medizinprodukten wurde sehr stark beschädigt“, erzählt Thabet. Das Dach sei weggeflogen und der Raum überschwemmt. „Wir haben viele alte Medizinproduktspenden gefunden, oft bereits abgelaufen oder jetzt durch das Wasser unbrauchbar“, ergänzt die Apothekerin. Um sich ein Bild von der Lage zu machen, waren beide Kolleginnen auf der Insel unterwegs. Ihre Bestandsaufnahme fiel ernüchternd aus. Thabet: „In La Plaine wohnen zirka 4.000 Einwohner, es gibt dort nur einen Apotheker, der 24 Stunden Rufbereitschaft machen muss. Sein Lager wurde zerstört; er fährt und wandert mit einem Koffer, darin die verbliebenen Medikamente, von Dorf zu Dorf.“ Vor Ort begannen Apotheker und PTA, pharmazeutische Versorgungsstrukturen neu aufzubauen. Sie sichteten vorhandene, noch brauchbare Präparate, bestellten Präparate anhand des tatsächlichen Bedarfs und verteilten Arzneimittel. Größere Fehlbestellungen wegen mangelnder Fachkenntnisse oder aufgrund nicht inventarisierter Bestände konnten sie erfolgreich vermeiden.
Während es in der Karibik vor allem darum ging, nach der Naturkatastrophe ursprünglich vorhandene Strukturen neu aufzubauen, sollen andere Projekte bekannte Defizite vor Ort beheben. So entstand im nepalesischen Basa ein neues Arzneimittellager für die Bevölkerung. „Die Leute konnten es nicht glauben, dass hier in unserem Dorf ein Medical Store errichtet wird. Davon haben sie schon immer geträumt“, erzählte Buddi Rai den Kollegen von AoG. Jetzt müssten Patienten nicht mehr ins weit entfernte Salleri laufen, um Arzneimittel zu bekommen. Schulung lokaler Mitarbeiter © AoG Die Unterstützung geht vor Ort aber noch weiter. Im Westen Ugandas fehlen nicht nur medizinisch oder pharmazeutisch geschulte Fachkräfte, sondern Infrastrukturen. Wer erkrankt, muss weite Wege auf sich nehmen, um Medikamente zu erhalten. Deshalb hat AoG zusammen mit regionalen Partnern Community Health Worker vor Ort geschult. Das sind Fachkräfte mit relativ kurzer Ausbildung und mit eng umrissenen Aufgabenbereichen. In dem viertägigen Workshop erfuhren sie mehr über Themen wie Lagermanagement, Medikamentenbestellung sowie über die Abgabe von Arzneimitteln. „Der Workshop war sehr gut und hat uns gezeigt wie wir mit einfachen Mitteln unsere tägliche Arbeit verbessern können“, sagte ein Teilnehmer zum AoG-Team. Nach ähnlichen Prinzipien arbeitet auch der Verein „Apotheker helfen“. Kollegen beteiligen sich etwa an der Finanzierung und Ausstattung eines Mutter-Kind-Gesundheitshauses im nepalesischen Dandapaya. Sie haben das „Free Eye Camp“, ein Projekt zur augen- und ohrenärztlichen Untersuchung und pharmazeutischer Behandlung ins Leben gerufen.
Apropos Medikamente: Hilfsorganisationen lehnen gespendeten Pharmaka in vielen Fällen ab. Das hat mehrere Gründe. Kein Einsatz gleicht dem anderen. Experten versuchen immer, Präparate passend zur jeweiligen Situation einzukaufen – falls möglich, auch vor Ort. Heimische Ärzte oder Apotheker kennen diese Präparate. Sie verstehen Fachinformationen oder Beipackzettel. Dabei sind Fälschungen ein großes Problem. Präparate werden nur aus bekannten Quellen bezogen und in Kooperation mit Hochschuleinrichtungen untersucht. Alternativ kommen standardisierte Zusammenstellungen, die WHO Interagency Emergency Health Kits, zum Einsatz. Das Basisset enthält wichtige Arzneistoffe und Medizinprodukte, etwa Antibiotika, Desinfektionsmittel oder Analgetika. Sie lassen sich je nach Bedarf mit verschiedenen Ergänzungsmodulen kombinieren. Dazu gehören beispielsweise Präparate zur Malaria- oder zur HIV-Therapie. Alle Inhalte der Kisten sind neuwertig. © WHO
Trotzdem fragen Apotheker bei Hilfsorganisationen immer wieder an, ob sie abgelaufene Präparate verwenden könnten, was alle Vereine ablehnen. Das hat nicht nur ethische, sondern auch praktische Gründe: Jenseits wissenschaftlicher Forschungsprojekte ist es kaum möglich, alle Chargen auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit zu untersuchen. Hilfsorganisationen wünschen sich deshalb eher Geldspenden, um vor Ort aktiv zu werden.