Um die Adipositas-Erkrankung besser erforschen zu können, fehlt es an einer optimalen Versuchsplattform. Reutlinger Forscher wollen das Problem mit einem sogenannten Organ-on-Chip-Modell lösen – ganze ohne Tierversuche.
Von der ersten Sekunde bis etwa zum 25. Lebensjahr – in dieser Zeitspanne nimmt ein Mensch an Gewicht zu, entwickelt sich und wächst, bis er schließlich sein endgültiges Körpergewicht erreicht hat. Dabei weiß unser Körper stets, wann unser Hunger gestillt ist und alle notwendigen Stoffe aufgenommen wurden. Als Folge tritt ein Sättigungsgefühl ein. Fehlt dieses Signal oder wird es ignoriert, ist der Weg geebnet für eine sich entwickelnde Adipositas. Nicht selten steckt aber auch eine Fehlernährung hinter der krankhaften Fettleibigkeit.
Die Wissenschaft beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit Ursachen und Therapiemöglichkeiten von Adipositas, eine optimale Versuchsplattform mit einer validen Vorhersagekraft wurde bislang nicht entwickelt. Gesundheitsrisiken für Patienten machen die direkte Forschung am Menschen unmöglich. Viele Wissenschaftler vertrauten demnach auf Tierversuche, um die pathophysiologischen Mechanismen hinter der Krankheit besser zu verstehen. Die geringe Übertragbarkeit der Ergebnisse vom Tier auf den Menschen schränkt allerdings die Aussagekraft der Tierversuche stark ein.
Die Arbeitsgruppe um Prof. Peter Loskill, Gruppenleiter am NMI und der Attract-Gruppe Organ-on-a-Chip am Fraunhofer IGB, entwickelt maßgeschneiderte Organ-on-Chip-Technologien. Diese speziellen Chips integrieren lebende Substrukturen von Organen in eine kontrollierte Mikroumgebung. Die Chips bestehen aus kleinen dreidimensionalen Kammern und Kanälen im Mikrometermaßstab und bilden die Funktionalität oder Krankheit eines Organs ab. Erste Systeme der Arbeitsgruppe konnten lediglich Fettzellen kultivieren. Das neue innovative Mix & Match System integriert darüber hinaus alle wichtigen zellulären Komponenten, die sich auch im menschlichen weißen Fettgewebe wiederfinden lassen.
„Der Adipositas-Chip der nächsten Generation zeichnet sich durch seine hohe Flexibilität und Modularität aus. Neben der Energiespeicherung und -mobilisierung lassen sich mit dem Chip ebenso die fettgewebsspezifische Hormonausschüttung simulieren und verschiedenste Entzündungsprozesse mit einbeziehen. Dieser multidimensionale Ansatz ist bislang einzigartig!“, betont Prof. Loskill.
Zukünftig bietet das neuartige System Wissenschaftlern eine humane Alternative zur Durchführung von Tierversuchen. Dadurch könnte nicht nur die Fettstoffwechsel-Forschung und die Medikamentenentwicklung von der neuen Testplattform profitieren, sondern auch die personalisierte Medizin vorangetrieben werden.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des NMI Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Instituts in Reutlingen. Die Originalpublikation haben wir euch hier verlinkt.
Bildquelle: GR Stocks, unsplash