Terror, Pandemie, Krieg: Wie geht Deutschland in der medizinischen Versorgung mit diesen Themen um? Die Notfallkonferenz zur zivilmilitärischen Zusammenarbeit gibt Einblicke – und fordert vor allem mehr Geld.
Eines der vielleicht wichtigsten Statements in der Pressekonferenz zur zivilmilitärischen Notfallversorgung in Deutschland kommt als Schlusspunkt. „Entgegen anderer Berichterstattung darf ich sagen, dass wir […] uns sehr gut vorbereitet sehen für die Behandlung von verletzten Patienten aus der Ukraine. Wir wollen aber, dass die Kosten, die dafür entstehen, auch in der Vorhaltung, erstattet werden“, sagt Moderator Prof. Andreas Seekamp, Leiter der Kieler Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie. Damit lässt sich auch das Hauptanliegen aller Redner zusammenfassen – die zunehmende Bedrohung durch Terrorangriffe und nicht zuletzt die COVID-19-Pandemie hätten gezeigt, dass Vorsorge für Krisensituationen zum Schutz der Bevölkerung nötig sei. Sie könne aber nicht von den Kliniken bezahlt werden, ist man sich einig.
Seekamp betont in diesem Zuge auch, dass die Konferenz unabhängig vom Krieg in der Ukraine angesetzt worden sei. Die Pandemie und Terroranschläge der vergangenen Jahre seien ebenso Anlass für die Entwicklung neuer Sicherheitskonzepte. Dazu gehört beispielsweise das Vorhalten wichtiger Materialien in Kliniken, wie Prof. Dietmar Pennig, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU), erläutert: „Man kann die Feuerwehr nicht gründen, konzeptionieren und ausstatten, wenn es brennt.“
Mit dem Regelvorrat lasse sich eine Krisenlage nicht stemmen, die Sterilgutversorgung müsse über Vorhaltung auch im Falle eines plötzlichen und massiven Patientenaufkommens gesichert sein. „Diese Vorhaltekosten können nicht den Kliniken aufgebürdet werden, sondern das sind Vorhaltekosten, die aus der Politik gegenzufinanzieren sind“, so Pennig. Sonst sei die Notfallversorgung ein Zusatzgeschäft – „das können wir uns nicht leisten.“ Der Sockelbetrag, den der G-BA dafür festgesetzt habe, sei „hinten und vorne nicht kostendeckend“, sagt Pennig. „Es kann nicht so weitergehen, dass wir bei einem Notfall in der Klinik eine Unterdeckung von etwa 100 Euro für die Behandlung aus den Erlösen eines Krankenhauses finanzieren müssen.“
Die Situation der Kliniken sei zudem schlechter als vor der Pandemie, sagt Prof. Michael Raschke, Präsident der DGU. Die Intensivkapazitäten seien um 30 % zurückgegangen, was größtenteils an den Pflegekräften, die sich vom Beruf abgewendet haben, liege.
Hier kommt Raschke auch auf die aktuellen Pflegestreiks in NRW zu sprechen (wir berichteten). Er räumt ein, dass die Forderungen „ganz klar berechtigt und unterstützenswert“ seien – allerdings vertieften sich dadurch die Gräben, die zwischen Ärzte- und Pflegerschaft bereits bestehen würden. „Ich weiß nicht, wie diese zugeschüttet werden sollen und wie diese Forderungen finanziert werden und die Lücken geschlossen werden sollen von Menschen, die es im Moment ja noch gar nicht gibt“, so Raschke. Das Ausmaß des Streiks führe zu extremen Engpässen in Notfallversorgung und Intensivmedizin. Als „besonders beschämend“ empfindet Raschke dabei, dass dadurch auch keine Kriegsopfer aus der Ukraine übernommen werden können. Das Grundrecht Streik werde über die Notdienstvereinbarung gestellt. „Welche Form der Daseinsvorsorge wird da im Moment gelebt?“, relativiert Raschke sein eingangs geäußertes Verständnis.
Der Faktor Mensch ist im Krisenfall immer zu bedenken. Wichtig seien daher regelmäßige Notfallübungen, damit die Belegschaft der Klinik im Ernstfall einsatzbereit ist. Denn besonders bei Terroranschlägen könnte medizinisches Personal bei einem sogenannten Second Hit ein Angriffsziel sein. Sinnvoll seien hier Sicherheitskonzepte, die zertifiziert und regelmäßig aktualisiert werden sollten.
Mit Laienübungen könne man zudem die Bevölkerung auf solche Situationen vorbereiten. Diese Ideen haben zwei Schönheitsfehler: sie kosten Zeit und Geld. Das Personal muss für solche Trainings aus den Kliniken abgezogen werden; die Kosten für eine derartige Übung setzt Pennig mit etwa 100.000 Euro an. Eine Lösung könnten digitale Simulationen oder eine Kombination aus digitaler und Vor-Ort-Übung sein, wie Oberstarzt Prof. Benedikt Friemert vorschlägt: „Dadurch könnte man a) die Kosten reduzieren, aber b) natürlich auch es vereinfachen – und überhaupt möglich machen.“ Wie gut sich das in der Praxis umsetzen lässt, bleibt abzuwarten.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Produktion von Medizingütern in Europa und Deutschland selbst. Es werde auch beim G-BA inzwischen darüber nachgedacht, ob „der Preisdruck auf bestimmte Medikamente nicht auch dazu geführt hat, dass die Firmen immer mehr ins Ausland, in die Billiglohnländer ausweichen müssen, weil wir hier jeden Cent für ganz einfache Medikamente noch runterhandeln, sodass es eine Produktion in Deutschland unmöglich macht. Das ist uns sicher auf die Füße gefallen“, sagt Friemert.
Während der Pandemie habe sich außerdem gezeigt, dass selbst so banale Dinge wie Schutzmasken und Handschuhe, die eigentlich günstig und einfach zu beschaffen sind, plötzlich zur Mangelware werden können. „Die Pandemie hat in vielen Bereichen gezeigt, dass wir uns da zu abhängig gemacht haben von bestimmten Dingen, von bestimmten Ländern. Wir sehen das jetzt auch mit der Ukraine, im Hinblick auf Öl und Gas“, so Friemert.
Deutschlands unfallchirurgisches Traumanetzwerk könne hier in der Medizin gegensteuern. Dieser Zusammenschluss von über 50 Kliniken, die Voraussetzungen erfüllen, um die Notfallversorgung sicherzustellen, ermögliche Verlegungen und den Ausgleich fehlender Ressourcen. Das habe zu Beginn der Pandemie geholfen, sei essenziell im Fall eines Terrorangriffs und auch ganz aktuell hilfreich, angesichts verletzter Geflohener aus der Ukraine. Alle hier aufgenommenen Patienten werden in ein Traumaregister eingetragen, was jedes Jahr ausgewertet wird, erklärt Friemert. Man könne so bestimmen, wie gut die Versorgung geklappt hat und welche Interventionen hilfreich waren. Wissenschaftliche Publikationen seien auf Basis der so erhobenen Daten entstanden, auch die Patientenzahlen würden genau erfasst.
Wie viele Ukrainer derzeit im Traumanetzwerk behandelt werden, lasse sich aber nicht sagen, räumt Friemert auf Nachfrage ein. Das liege zum einen daran, dass sie über das in der Pandemie entstandene Kleeblattkonzept verteilt würden – das seien etwa 300 Fälle – und zum anderen oft auch über private Kontakte in den Kliniken landen. Wie Kleeblatt und Traumanetzwerk gemeinsam funktionieren, erklärt Friemert so: Eine öffentliche Stelle in der Ukraine, beispielsweise die Regierung, stellt eine Anfrage an den europäischen Verteiler, eine bestimmte Anzahl Patienten zu behandeln. Nimmt Deutschland diese Patienten auf, landen ihre Fälle im Gemeinsamen Melde- und Lagezentrum. Die Unfallchirurgen sind Teil des Zentrums und teilen die Patienten anhand ihrer Verletzungen einer bestimmten Klinik zu. Das Kleeblattkonzept verteilt sie dann auf Länderebene, bevor sie aus der Ukraine – beispielsweise mit einem Flieger der Bundeswehr – abgeholt werden.
Das sei ein Beispiel für zivilmilitärische Zusammenarbeit, so Generalstabsarzt Dr. Stephan Schoeps: „Unser MedEvac-Flieger, der vom Personal der Krankenhäuser besetzt und von der Luftwaffe geflogen wird.“ Er betont die Bedeutung des Austausches von Wissen, vor allem wenn es um Explosions-, Schuss- und Verbrennungsverletzungen gehe. Die Expertise, die aus einem Einsatz der Bundeswehr mitgebracht werde, könne Mediziner in Deutschland ganz konkret auf zu erwartende Wunden bei einem Großunfall oder Anschlag vorbereiten.
„Die Bundeswehr ist Teil des öffentlichen Lebens und da bekennen wir uns als Fachgesellschaft eindeutig zu“, sagt Seekamp. Die Medizin sei in der Versorgung verletzter Patienten und auch in zivilen Ausnahmezuständen auf die Zusammenarbeit mit dem Militär angewiesen. Die Politik habe erkannt, dass Sparen am Schutz der Bevölkerung kontraproduktiv ist. Terror, Pandemie und Krieg seien Dinge, die man angehen könne – „aber die Struktur muss dafür vorgehalten werden, sonst schaffen wir das nicht alleine“, so Seekamp abschließend.
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