Menschen, die in jungen Jahren von ihrem Autismus erfahren, haben im Erwachsenenalter eine höhere Lebensqualität und ein größeres Wohlbefinden. Das berichtet eine aktuelle Studie.
Bei vielen autistischen Menschen – insbesondere bei Frauen, ethnischen Minderheiten und Menschen mit begrenzten Mitteln – wird die Diagnose erst Jahre nach dem ersten Auftreten der Merkmale gestellt. In vielen Fällen erhalten autistische Menschen ihre Autismusdiagnose auch erst im Erwachsenenalter. Die frühe Konfrontation führt allerdings zu einem besseren Zugang zu Unterstützungsangeboten sowie zu einem gewissen Selbstverständnis im Umgang mit der Krankheit. Das hilft den Betroffenen dabei, im späteren Leben trotz der Diagnose erfolgreich zu sein.
Erstmals untersuchten Forscher der University of Portsmouth nun, ob es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Alter indem man die Diagnose erfährt und der Lebensqualität im Erwachsenenalter gibt. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Autism veröffentlicht.
Die Studie wurde von einem Team aus autistischen und nichtautistischen Studenten und akademischen Forschern durchgeführt. Achtundsiebzig autistische Universitätsstudenten wurden befragt und erzählten, wie sie herausgefunden haben, dass sie autistisch sind und wie sie sich mit ihrer Diagnose fühlen. Die Befragten gaben auch Auskunft darüber, wie sie ihr Leben und ihr Autismus-Dasein heute sehen.
Einer der Co-Autoren, Dr. Steven Kapp, Dozent für Psychologie an der Universität von Portsmouth, wurde im Alter von 13 Jahren mit Autismus diagnostiziert. „Studenten, die in jüngeren Jahren erfuhren, dass sie autistisch sind, fühlten sich in ihrem Leben glücklicher als Menschen, die erst in höherem Alter die Diagnose erhielten. Unsere Studie zeigt, dass es wahrscheinlich am besten ist, den Menschen so früh wie möglich in einer ausgewogenen, persönlichen und entwicklungsgerechten Weise zu sagen, dass sie autistisch sind. Zu erfahren, dass man autistisch ist, kann ermutigend sein – weil es den Menschen hilft, sich selbst zu verstehen und sich mit anderen Gleichgesinnten zu verbinden“, erklärt Dr. Kapp.
„Wenn man in einem höheren Alter von der Diagnose Autismus erfährt, ist dies mit positiveren Gefühlen verbunden – insbesondere mit Erleichterung. Dieses Ergebnis ist sinnvoll, auch wenn die emotionalen Reaktionen oft sehr komplex und bei jedem Menschen anders sind. Es gibt viele neue Forschungsergebnisse, die zeigen, dass Erleichterung eine häufige Reaktion auf eine Autismusdiagnose im Erwachsenenalter ist“, ergänzt Kapp.
Die Studie legt nahe, dass Eltern nicht damit warten sollten, ihren Kindern die Diagnose beizubringen. Dabei müssen Faktoren wie Entwicklungsstand, Unterstützungsbedarf, Neugier und Persönlichkeit berücksichtigt werden. Die Ergebnisse deuten auch darauf hin, dass Eltern ihren Kindern die Diagnose auf eine Art und Weise sagen sollten, die ihnen dabei hilft sich selbst zu verstehen und sich gut zu fühlen. Ein Studienteilnehmer dazu: „Ich würde meinem Kind sagen, dass Autismus eine andere Art des Denkens ist, dass es herausfordernd und schön und kraftvoll und anstrengend und einflussreich sein kann. Dass autistische Menschen es verdienen sie selbst zu sein, stolz auf ihre Identität zu sein und Unterstützung zu haben, die ihnen hilft, ihre Bedürfnisse zu erfüllen“.
„Es ist zu hoffen, dass dieses Ergebnis dazu beiträgt, die Bedenken der Eltern zu zerstreuen, wann sie mit ihrem Kind über Autismus sprechen sollten. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Autisten die früh von ihrer Diagnose erfahren, ein Selbstverständnis entwickeln und guten Zugang zu Unterstützung erhalten, was die Grundlage für das Wohlbefinden im Erwachsenenalter bildet“, erläutert die autistische Co-Autorin der Studie Bella Kofner.
Die Studienergebnisse deuten außerdem darauf hin, dass neben dem Alter viele andere Aspekte der Identität dazu beitragen können, wie Menschen auf eine Autismusdiagnose reagieren. So deuteten beispielsweise explorative Ergebnisse darauf hin, dass Frauen und nicht-binäre Menschen positiver darauf reagierten, dass sie autistisch sind, als Männer. Die Autoren hoffen, dass künftige Forschungen auch die autistische Identitätsentwicklung bei denjenigen Autisten untersuchen werden, die oft übersehen wurden, wie z. B. nichtsprechende Autisten und Autisten, die mehrfach marginalisiert sind.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der University of Portsmouth. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Aron Visuals, unsplash