Der psychedelische Wirkstoff Psilocybin scheint gegen Depression zu helfen. Eine Forschergruppe ist dem Mechanismus auf der Spur – doch es gibt auch Kritik und viele offene Fragen.
Die unipolare Depression gehört zu den häufigsten psychischen Erkrankungen weltweit: Etwa elf bis 16 Prozent der Menschen erkranken daran, Frauen etwa doppelt so häufig wie Männer. Antidepressiva können helfen, allerdings haben sie oft starke Nebenwirkungen und wirken bei bis zu zwei Drittel der Patienten nicht.
Auf der Suche nach Medikamenten gegen Depressionen und andere psychische Erkrankungen befinden sich Psychedelika wie Psilocybin seit einiger Zeit im Fokus der Forschung (DocCheck berichtete). Das Halluzinogen findet sich in Pilzen, den sogenannten Magic Mushrooms.
Tatsächlich gibt es bereits Hinweise aus wissenschaftlichen Studien darauf, dass Psilocybin in Kombination mit einer Psychotherapie gegen Depressionen wirkt. Oft waren an diesen Untersuchungen aber nur wenige Testpersonen beteiligt, teils fehlten geeignete Kontrollgruppen. Zudem ist bisher nicht klar, wie genau Psilocybin auf die Psyche wirkt. Eine Veröffentlichung in Nature Medicine deutet nun darauf hin, dass die psychedelische Substanz die Verbindung und Funktion von neuronalen Netzwerken im Gehirn verändert.
Der Psychologe und Neurowissenschaftler Robin Carhart-Harris und seine Kollegen sahen sich in ihrer Studie das Gehirn von 59 depressiven Patienten im funktionellen MRT an, nachdem diese entweder Psilocybin oder das Antidepressivum Escitalopram bekommen hatten. Das Ergebnis: Nur nach einer Behandlung mit Psilocybin wurden die funktionellen Netzwerke stärker miteinander verknüpft und flexibler. Gleichzeitig verringerten sich die depressiven Symptome besonders bei den Teilnehmern, die eine starke Integration der Netzwerke zeigten. Auch eine niederländische Forschergruppe sieht Neuroplastizität, also die Induktion von funktionellen und plastischen Veränderungen im Gehirn, als möglichen Wirkmechanismus psychedelischer Substanzen.
Ganz neu sind die Daten von Carhart-Harris und seinem Team allerdings nicht: Bereits 2021 hatten sie darüber im New England Journal of Medicine berichtet. Eine weitere Untersuchung ohne Kontrollgruppe, die in der neuen Studie erläutert wird, stammt eigentlich aus dem Jahr 2017. Dazugekommen ist lediglich die Auswertung der funktionellen fMRT-Daten.
Was genau die funktionellen Veränderungen bedeuten, ist weiterhin unklar, gibt Prof. Matthias Liechti, stellvertretender Chefarzt am Universitätsspital Basel, gegenüber dem Science Media Center zu bedenken. „So wurde in anderen Studien gezeigt, dass ähnliche Veränderungen auch durch andere serotonerge Substanzen ausgelöst werden können und möglicherweise nicht spezifisch für Psychedelika sind.“
Zudem kritisieren einige Forscher die Sprache der Veröffentlichung, sagt Prof. Gerhard Gründer, Leiter der Abteilung Molekulares Neuroimaging am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim: „Sie sprechen von der Befreiung des depressiven Gehirns. Ihre Studie beschreibt aber sehr technische bildgebende Daten – damit eine so große Wirkung zu unterstellen, geht wohl zu weit.“
Gerhard Gründer, Matthias Liechti und weitere Wissenschaftler sind dennoch überzeugt, dass Psychedelika gegen Depressionen helfen können. Unter Gründers Leitung läuft am ZI Mannheim und an der Charité in Berlin derzeit die EPIsoDE Studie (Phase II) zur Wirksamkeit und Sicherheit von Psilocybin bei therapieresistenter Depression. Dabei soll es auch um die sinnvollste Dosierung gehen. Gerade die Langzeitwirkung ist noch unbekannt, so Gründer: „Bisher gibt es keine Daten dazu, wie oft man die Patienten mit Psilocybin behandeln müsste.“ In der EPIsoDE Studie sollen die Testpersonen drei Monate lang behandelt und dann nach sechs und zwölf Monaten noch einmal untersucht werden.
Sollte sich Psilocybin tatsächlich langfristig als wirksam erweisen, könnten davon nicht nur Patienten mit therapieresistenten Depressionen profitieren. „Eine solche Behandlung wäre sicher einer dauerhaften Therapie mit Antidepressiva vorzuziehen, die belastende Nebenwirkungen haben kann – etwa emotionale Verflachung.“
Die EPIsoDE Studie soll Ende 2023 veröffentlicht werden. Gerhard Gründer möchte auch eine große Phase-III-Studie auf den Weg bringen. Weitere Phase-III-Studien sind bereits von COMPASS Pathway plc in Vorbereitung. Gerhard Gründer schätzt, dass eine Zulassung für Psilocybin zur Behandlung von Depressionen etwa 2027/2028 realistisch ist. Allerdings mit einem Haken: „Bei der Zulassung geht es um die Wirksamkeit, das ist sicher machbar. Aber damit es dann auch beispielsweise von den Krankenkassen finanziert wird, muss gezeigt werden, dass es Vorteile gegenüber verfügbaren Therapien hat. Dafür bräuchten wir eigentlich zusätzliche Studien.“
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